Will My Parents Come to See Me

Filmplakat: Will My Parents Come to See Me

FBW-Pressetext

Die Polizistin steigt aus dem Auto und betritt das Gefängnis. Von nun an wird sie den ganzen Tag einen jungen Mann begleiten. Sie wird ihn zum Arzt fahren, wieder zurück ins Gefängnis, sie wird ihn nach seinem Lieblingsessen fragen, sie wird hinter ihm stehen, wenn er in einem kleinen Raum vergeblich darauf wartet, dass seine Eltern ihn besuchen. Und sie wird ihn begleiten auf dem letzten Weg, bevor er den Menschen übergeben wird, die das Urteil gegen ihn vollstrecken. Der Kurzspielfilm in der Regie von Mo Harawe zeigt auf eindringliche Weise die Innensicht zweier Menschen, die nicht unterschiedlichere Perspektiven haben könnten. Auf der einen Seite der junge Mann, der in einem somalischen Gefängnis sitzt und seine letzten Stunden erlebt. Und auf der anderen Seite die Polizistin. Der Film macht deutlich, dass beide Figuren, so unterschiedlich sie auch sein mögen, Gefangene eines unbarmherzigen Systems sind. Die langen Einstellungen der Kamera zeigen einen routiniert-monotonen Ablauf der Geschehnisse. Doch trotz der trostlosen Umgebung entwickeln die Bilder in ihrer Montage eine fast poetisch-träumerische Stimmung, die erst in der letzten Sequenz aufgebrochen wird, wenn sich auf der Tonebene der Wüstenwind wie ein Schleier über die letzten Minuten im Leben des Häftlings legt und sein Wehklagen in den akkustischen Hintergrund rückt. WILL MY PARENTS COME TO SEE ME ist ein nicht nur filmhandwerklich beeindruckender Kurzspielfilm, der unglaublich viel über sein Sujet erzählt und mit seinen Bildern in den Zuschauenden nachwirkt. Ohne dafür viele Worte zu gebrauchen. Das ist große Filmkunst im Kleinen.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Spielfilm; Kurzfilm; Fiction
Regie:Mo Harawe
Darsteller:Xaliimo Cali Xasan; Shucayb Abdirahman Cabdi; Geenyada Madaw; Mohamed Hersi; Maxamed Axmed Maxamed; Faysal Colaad Muxumed; Guuleed Xasan Saleebaan
Drehbuch:Mo Harawe
Kamera:Steven Samy
Schnitt:Alexander von Piechowski
Webseite:sixpackfilm.com;
Länge:28 Minuten
Verleih:sixpackfilm
Produktion: Alexander von Piechowski, Mo Harawe;
Förderer:Wien Kultur; Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der 28-minütige, in Deutschland und Österreich produzierte und in Somalia gedrehte Kurzspielfilm in der Regie von Mo Harawe hat die Jury von der ersten bis zur letzten Minute auf allen Ebenen überzeugt.
Das beginnt schon mit der erzählerischen Konzentration auf die 24 letzten Stunden des jungen Mannes Farah, der im Gefängnis sitzt und von dem wir immer mehr ahnen, dass er hier die letzten Stunden vor seiner Hinrichtung verbringt. Er selbst wirkt dabei fast, als ob er das Geschehen bis kurz vor Schluss nicht ganz begreift. Sein Ausdruck wirkt fatalistisch, jung, aber irgendwie auch erloschen. Und gerade die Tatsache, dass wir nicht erfahren, ob er schuldig ist oder nicht oder was er überhaupt verbrochen haben soll, lenkt die Aufmerksamkeit auf das Prozedere der Todesstrafe. WILL MY PARENTS COME TO SEE ME bleibt dabei quasi dokumentarisch. Aber es ist die subtil inszenierte psychische Erschöpfung auch der Umgebung, die die Monstrosität und Inhumanität der Todesstrafe spürbar macht: die – neben dem Verurteilten – zweite Hauptfigur ist dabei die begleitende Vollzugsbeamtin und Polizistin, die am Ende einsam und erschöpft zu Bett geht und sich dem Akt der Vollstreckung der Todesstrafe auch emotional entzieht, durch stoische Sachlichkeit und das Aufdrehen der Musik im Autoradio. Auch der Gefängnis-Imam ist ein ratloser, erloschener Mensch wie auch der beigeordnete Gerichtsdiener. Als Hilfspersonal des Todes sind sie allesamt selbst fast lebendige Tote. Und der einfach leer bleibende Besuchsraum am letzten Nachmittag rührt den Zuschauer mehr als es jegliche Rührszene könnte.
Dass all diese Opferzeichnungen aller fast wortlos gelingen, zeigt die unheimlich packende, dabei sehr diskrete Psychologisierung, die der Film hier vornimmt.
Auch formal ist der Film meisterlich: klare ruhige Bilder, raffiniert im Ausschnitt, wunderbar im Spiel mit Schatten und Profilen. Dieser Umgang mit Hell und Dunkel trägt somit die komplette Erzählung auch filmisch ganz wunderbar. Auffallend gut ist auch der Einsatz des Tons – bis hin zum Ausblenden der Geräusche beim Hinrichtungsakt, allein der Wind bleibt als Sound bestehen, so dass eine starke, unbewusste Identifikation mit dem – erst am Ende ergreifend panischen – Gefangenen stattfindet. Hinzu kommen wunderbar gewählte Szenen, die die Absurdität und das Irre der Prozedur zeigen, wie die „Henkersmahlzeit“ oder eine fast amüsante Szene, wenn Ziegen nach dem Essen im Speiseraum des Gefängnisses Essensreste fressen.
So ist WILL MY PARENTS COME TO SEE ME ein wunderbares, besonders kunstvolles, dabei klares Plädoyer gegen die Todesstrafe geworden, ohne jemals suggestiv und moralisierend zu sein.
Sehr gerne verleiht die Jury dem Film das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.