Eggesin möglicherweise

FBW-Pressetext

Ein Kameramann schreibt Filmbriefe aus einer untergehenden Stadt: Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern zählte einst 15 000 Soldaten und 10 000 Einwohner, dann kam die Standortschließung. Weit über eine herkömmliche Reportage hinaus geht, was der Film aus seinem Material an poetischen Funken schlägt. Der künstlerische Umgang mit realen Problemen und der geradezu musikalische Rhythmus der kreativen Montage machen den Film zu einem vielstimmigen Filmgedicht. Ein etwas anderer und hochinteressanter Beitrag zur Stadt- und Bevölkerungsentwicklung.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Olaf Winkler; Dirk Heth
Drehbuch:Olaf Winkler
Länge:88 Minuten
Produktion: filmkombinat Nordost GmbH & Co. KG

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Mehr Filmgedicht als Dokumentarfilm, mehr künstlerisch freier Umgang mit Film- und Bilddokumenten als Reportage, entsteht hier das erstaunlich vielseitige Bild einer Stadt in einem Zwischenzustand. Mehr als 15 000 Soldaten und 10 000 Einwohner lebten einst in Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Schließung einer Vielzahl von Bundeswehrstandorten durch das Verteidigungsministerium ist für viele betroffenen Orte von existentieller Bedeutung. Am Beispiel des Standortes Eggesin führt der Film vor Augen, wie weitreichend diese Konsequenzen sein können.

Durch den Verzicht auf eine traditionelle Reportage über den Einzelfall Eggesin erhalten die in eineinviertel Jahren gemachten Beobachtungen der Veränderungen für viele Städte im Übergang eine Gültigkeit. Die geradezu künstlerischen Bild- und Tonmontagen, die an Werke von Chris Marker erinnern, lassen dem Betrachter viel Raum für eigene Interpretationen der sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die auch auf andere, vom demographischen Wandel betroffene Gemeinden übertragen werden können. Der wirtschaftlichen Hoffnungslosigkeit werden positive Einzelschicksale entgegengestellt, phrasenhafte Vorträge über standortpolitische Vor- und Nachteile werden in ihrer hohlen Rhetorik vorgeführt. In vielen Alltagsbeobachtungen finden die Filmemacher Anregendes und Aufregendes.

Blicke der Bürger sagen hier mehr als statistische Werte, Informationen werden stets indirekt geliefert, müssen vom Betrachter ebenso entschlüsselt werden wie die kunstvollen Montagen. Auch die Tonebene ist sehr sorgsam bearbeitet. Dieser Film ist in all seiner vielschichten Konstruktion beim einmaligen Betrachten nicht vollkommen zu entschlüsseln und stellt einen wertvollen Beitrag für eine über rationale Zahlen hinausgehende Diskussion zur zukünftigen bevölkerungs- und wirtschaftspolitischen Entwicklung der Bundesrepublik.

Vieles wird nur angerissen, bei manchen Fragen hätte man sich etwas mehr Tiefe gewünscht, aber insgesamt ist ein Dokumentarfilm gelungen, der durch seine Universalität sicher nicht für jedermann zugänglich ist. Wer aber sich darauf einlässt, kann in vielen der aufgeworfenen Fragen weiterführende Gedankenanstöße bekommen.