Die Konferenz oder die Rückseite des Mondes

FBW-Pressetext

In einer schnelllebigen Konsumwelt sind Bürsten und Handfeger gezwungen, sich zu organisieren und Kriegsrat abzuhalten. Gut, dass ihnen in der Zwischenzeit Schnäbel gewachsen sind, sodass die Unterhaltung untereinander leichter fällt. Dumm nur, dass interessierte Zuhörer zunächst einmal den Code durch Linguisten entschlüsseln müssen, um die Helfer im Haushalt auch zu verstehen. Und was sie sagen, ist wichtig, denn schließlich sind sie essentielle Gegenstände des täglichen Lebens. Bis sie ersetzt werden, natürlich. Animationskünstler Franz Winzentsen ist bekannt für seine einfallsreichen Beschreibungen und seine immer wieder überraschenden Ideen. Auch hier gelingt ihm wieder ein großer Coup durch den Einsatz ganz alltäglicher Gegenstände und ihre Verwandlung in individuelle Wesen. Darüber liegt ein wunderbarer und trockenhumoriger Kommentar, der, wenn man ihn genauer betrachtet, viel mehr ist als nur die Übersetzung einer Konferenz. Es ist ein satirischer Seitenblick auf unsere Konsum- und Wegwerfgesellschaft, die darunter leidet, so kurzlebig zu sein. Und was hat die Rückseite des Mondes damit zu tun? Da sollte man den eifrigen Alltagshelfern eben einfach mal genau zuhören.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Kurzfilm
Regie:Franz Winzentsen
Drehbuch:Franz Winzentsen
Kamera:Bernd Fiedler
Schnitt:Ursula Höf
Musik:Hannah Winzentsen
Länge:6 Minuten
Verleih:Kurzfilm Agentur Hamburg
Produktion: Franz Winzentsen
FSK:0
Förderer:BKM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Mit einem kleineren Rahmen kann ein Trickfilmer seine Arbeit kaum eingrenzen: Eine Gruppe alter Handfegern, denen Schnäbel gewachsen sind, wird nur durch Hin- und Herrücken sowie kleine Bewegungen der hölzernen Mundwerkzeuge animiert. Umso wichtiger ist es, was für eine Geschichte um diese lebendig gewordenen Hauswirtschaftsgegenstände gesponnen wird. Und hier zeigt sich, welch fantasievoller und ironischer Fabulierkünstler Franz Winzentsen ist. Mit seiner sonoren Erzählerstimme erklärt er, zunächst ganz realistisch und glaubwürdig, er habe die schon sehr abgenutzten Handfeger aus dem Schutt einer ehemaligen Hamburger Schraubenfabrik geborgen. Über die Zeit wären ihnen dann die Schnäbel gewachsen und sie hätten begonnen, miteinander in einer Sprache, die eher aus Gesten als aus Lauten bestehe, zu kommunizieren. Der Film zeige nun eine Konferenz von ihnen, die Sprachforscher versucht hätten, zu übersetzen.
Immer wieder weist der Erzähler darauf hin, dass die Akademiker nur vermuten würden, welche Bedeutung diese aus ruckartigen Bewegungen und dem Kratzen von Holz auf Holz bestehenden Äußerungen haben könnten. Dabei entpuppt sich dann, dass ihre Debatten (vielleicht) von Problemen der modernen Arbeitswelt und Konsumgesellschaft handeln. Beginnend mit den Gründen ihrer eigenen „Erwerbslosigkeit“ kommen sie bald zu der „geplanten Obsoleszenz“ heutiger Konsumartikel Dass die Sprachforscher solch ein kompliziertes Fremdwort aus dem Rucken und Wedeln der Handfeger herauslesen konnten, ist wohl das fantastischste Element dieser Geschichte, aber hier wird ja auch augenzwinkernd davon erzählt, wie abseitig und verwegen die Deutungen und Theorien von sogenannten Spezialisten sein können. Sicher kann also nur gesagt werden, dass Winzentsen selbst den alten Handfegern eine kleine Polemik gegen die Auswüchse des heutigen Kapitalismus in die Holzschnäbel gelegt hat. Und dass dieser Kurzfilm ein herrlich verschrobenes, vielschichtiges und extrem einfallsreich animiertes Kunstwerk ist.