Der Zauberberg

Jurybegründung

Der Bewertungsausschuss honorierte den ambitionierten Versuch, Thomas Manns umfangreichen Roman „Der Zauberberg“ mit seinen weitverzweigten zwischenmenschlichen Beziehungen und seinen vielschichtigen differenzierten Zustandsschilderungen einer morbiden Gesellschaft auf eigene Weise mit den optischen Mitteln des Zeit-Mediums Film „nachzuerzählen“. Die generellen Probleme einer solchen, nur in Ansätzen möglichen Umsetzung waren dem Regisseur sicher bewusst. Sein Film ist also ein hochzielendes Wagnis mit dem Risiko eines grundsätzlichen oder partiellen Scheiterns. An der Fallhöhe, die solch ein Risiko mit sich bringt, war der Film zu werten.



Es ist dem Film nach übereinstimmender Meinung des Bewertungsausschuss es gelungen, das Milieu des Lungensanatoriums und dessen abgeschlossene, auf die Begegnung erkrankter Menschen beschränkte Atmosphäre in detailgetreuen Interieurs dingfest zu machen. Das ist Verdienst nicht nur des Regisseurs, sondern in hohem Maße auch der bemerkenswerten Ausstattung und der Kameraführung (Ballhaus) zu danken.Es gelangen eine Reihe von Bildeinstellungen von oft großer Eindringlichkeit, leiser Intensität und hohem ästhetischem Reiz. Hier konnten Differenzierungen erreicht werden, die sonst, vor allem in der Schauspielerführung und im Aufbau des Handlungsgeschehens, vermisst wurden. Der Zwang zu zeitlicher Konzentration führte unabwendbar zu einer Reduzierung des welthaltigen Romans auf sein episches Grundgerüst, das in der vorgegebenen Filmzeit vermittelt werden sollte. Die Folge sind Vereinfachungen, vor allem in der psychologischen Motivation und Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen, zwangsläufige Reduktionen, mit denen die poetische Magie und die Sprachgewalt der Vorlage grundlegend eingeengt wird.



Die bei Thomas Mann nur sehr allmählich sich vollziehenden Wandlungen der Gestalten, ihr Verlorensein an eine gleichsam zum Stillstand kommende Zeit und das Oszillieren dieser Zeit in behutsamen Variationen kaum sich verändernder Grundzustände gehen im Film verloren. Hier wird die fast unmerkliche Veränderung an den Figuren, ihre stille Intensität, die der Phantasie großen Raum lässt, kompakter, direkter, vordergründiger, äußerlicher, sprunghafter und „lauter“. Der unendlich langsame, aber intensive Sog der Sanatoriumsatmosphäre ist nur in skizzenhaften Ansätzen zu spüren. Der Film drängt alles mehr in die Richtung unmittelbarer Wirkungen, direkter Reaktionen und gesteigerter, nicht selten sentimentaler Effekte, die in ihre episodischen Abwechslung die Spannung aufrecht erhalten sollen, es aber nur bedingt erreichen.Das Handlungsgeschehen konzentriert sich einerseits auf die unterschiedlichen Krankheitsbilder der Sanatoriumspatienten und auf Hans Castorps Reaktionen, andererseits auf seine Liebesbeziehung. I n der filmischen Schilderung der Patienten überwiegt die Betonung des Hysterisch-Absurden. Häufig kommt es zu bloß effektbetonten Überzeichnungen pathologischer Zustände. Psychosen treten plötzlich auf, ohne die langzeitig motivierenden Entwicklungen, mit denen Thomas Mann nicht nur psychologische Glaubwürdigkeit erreicht, sondern zugleich auch die Ursachen ausleuchtet und die Hintergründe einer morbiden Gesellschaft kritisch dingfest macht. Die ins Bild gebrachten Hysterien wiederholen sich zu oft und mindern dadurch die Spannung. In der Phase vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs steigert sich die im Film gezeigte Hysterie zum Veitstanz, ja sogar zu vordergründiger Prügelei. Aus den Patienten des Sanatoriums wird hier ein Panoptikum von Psychopathen. Besonders in diesen Szenen entgleitet nach Meinung des Bewertungsausschusses der Film seinem eigenen Anspruch und scheitert. Das wird unterstrichen durch undifferenziertes Chargieren in Nebenrollen. Aber auch die Darstellung des Hans Castrop scheitert, trotz guter Ansätze, an nicht ausgereiftem Differenzierungsvermögen in Sprache und Gestik. auch über die darstellerischen Leistungen fast aller weiteren Hauptrollen (Arzt, Geliebte, Settembrini, Naphta, Peeperkorn) gingen die Meinungen auseinander. Der poetische Anspruch, die differenzierte Dichte und Komplexität der Romanfiguren konnte darstellerisch nur teilweise befriedigend umgesetzt werden. Vor der Aura der Romanfigur Peeperkorns bleibt im Film nur die vordergründig präsente Dimension eines alten, verzweifelten kraftvollen Machtmenschen. Besondere Einwände erhoben sich auch gegen die letztlich chargierende Realisation jenes Handlungsfadens, der – bei Thomas Mann – in den Disputen Settembrinis und Naphtas konträre philosophische Grundpositionen der Zeit in Formulierungen von geschliffener Prägnanz sichtbar werden lässt. Im Film bleibt es bei darstellerisch unzureichend umgesetzten Zitaten und fast pantomimischen Vergröberungen, die des poetischen Reizes ermangeln. Das bedeutet einen empfindlichen Verlust an geistiger Präsenz: Die Kontroversen der geistigen Positionen gerinnen dadurch zu intellektuellen Geschwätz.



Einstimmig bemängelt wurde die durchgehend zu aufdringliche Verwendung einer letztlich epigonalen, aus Wagner-, Mahler- und Schostakowitsch-Anspielungen kompilierten Musik. Zwar signalisiert ihr bombastischer Gestus wilhelminisches Gehabe, aber eine dramaturgisch sinnvoll kommentierende Interpretation der gezeigten Zustände durch die Musik zu sehr als auf gesetztes Beiwerk, als bloßer Effekt.



Trotz der Fülle der Einwände, die streckenweise das Scheitern des Films an seinem hochzielenden Anspruch deutlich machen, stellte der Bewertungsausschuss in Anerkennung des vorgegebenen hohen Risikos und in Anerkennung gelungener Details seine Bedenken soweit zurück, dass mit Stimmenmehrheit das Prädikat wertvoll erteilt werden konnte.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Spielfilm
Regie:Hans W. Geissendörfer
Buchvorlage:Thomas Mann
Länge:153 Minuten
Produktion: Iduna Film GmbH Produktions-Gesellschaft & Co., Unterföhring, Franz Seitz Filmproduktion; ZDF; Gaumont International Paris, Opera Film Produzione, Rom
FSK:16

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Der Bewertungsausschuss honorierte den ambitionierten Versuch, Thomas Manns umfangreichen Roman „Der Zauberberg“ mit seinen weitverzweigten zwischenmenschlichen Beziehungen und seinen vielschichtigen differenzierten Zustandsschilderungen einer morbiden Gesellschaft auf eigene Weise mit den optischen Mitteln des Zeit-Mediums Film „nachzuerzählen“. Die generellen Probleme einer solchen, nur in Ansätzen möglichen Umsetzung waren dem Regisseur sicher bewusst. Sein Film ist also ein hochzielendes Wagnis mit dem Risiko eines grundsätzlichen oder partiellen Scheiterns. An der Fallhöhe, die solch ein Risiko mit sich bringt, war der Film zu werten.

Es ist dem Film nach übereinstimmender Meinung des Bewertungsausschuss es gelungen, das Milieu des Lungensanatoriums und dessen abgeschlossene, auf die Begegnung erkrankter Menschen beschränkte Atmosphäre in detailgetreuen Interieurs dingfest zu machen. Das ist Verdienst nicht nur des Regisseurs, sondern in hohem Maße auch der bemerkenswerten Ausstattung und der Kameraführung (Ballhaus) zu danken.Es gelangen eine Reihe von Bildeinstellungen von oft großer Eindringlichkeit, leiser Intensität und hohem ästhetischem Reiz. Hier konnten Differenzierungen erreicht werden, die sonst, vor allem in der Schauspielerführung und im Aufbau des Handlungsgeschehens, vermisst wurden. Der Zwang zu zeitlicher Konzentration führte unabwendbar zu einer Reduzierung des welthaltigen Romans auf sein episches Grundgerüst, das in der vorgegebenen Filmzeit vermittelt werden sollte. Die Folge sind Vereinfachungen, vor allem in der psychologischen Motivation und Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen, zwangsläufige Reduktionen, mit denen die poetische Magie und die Sprachgewalt der Vorlage grundlegend eingeengt wird.

Die bei Thomas Mann nur sehr allmählich sich vollziehenden Wandlungen der Gestalten, ihr Verlorensein an eine gleichsam zum Stillstand kommende Zeit und das Oszillieren dieser Zeit in behutsamen Variationen kaum sich verändernder Grundzustände gehen im Film verloren. Hier wird die fast unmerkliche Veränderung an den Figuren, ihre stille Intensität, die der Phantasie großen Raum lässt, kompakter, direkter, vordergründiger, äußerlicher, sprunghafter und „lauter“. Der unendlich langsame, aber intensive Sog der Sanatoriumsatmosphäre ist nur in skizzenhaften Ansätzen zu spüren. Der Film drängt alles mehr in die Richtung unmittelbarer Wirkungen, direkter Reaktionen und gesteigerter, nicht selten sentimentaler Effekte, die in ihre episodischen Abwechslung die Spannung aufrecht erhalten sollen, es aber nur bedingt erreichen.Das Handlungsgeschehen konzentriert sich einerseits auf die unterschiedlichen Krankheitsbilder der Sanatoriumspatienten und auf Hans Castorps Reaktionen, andererseits auf seine Liebesbeziehung. I n der filmischen Schilderung der Patienten überwiegt die Betonung des Hysterisch-Absurden. Häufig kommt es zu bloß effektbetonten Überzeichnungen pathologischer Zustände. Psychosen treten plötzlich auf, ohne die langzeitig motivierenden Entwicklungen, mit denen Thomas Mann nicht nur psychologische Glaubwürdigkeit erreicht, sondern zugleich auch die Ursachen ausleuchtet und die Hintergründe einer morbiden Gesellschaft kritisch dingfest macht. Die ins Bild gebrachten Hysterien wiederholen sich zu oft und mindern dadurch die Spannung. In der Phase vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs steigert sich die im Film gezeigte Hysterie zum Veitstanz, ja sogar zu vordergründiger Prügelei. Aus den Patienten des Sanatoriums wird hier ein Panoptikum von Psychopathen. Besonders in diesen Szenen entgleitet nach Meinung des Bewertungsausschusses der Film seinem eigenen Anspruch und scheitert. Das wird unterstrichen durch undifferenziertes Chargieren in Nebenrollen. Aber auch die Darstellung des Hans Castrop scheitert, trotz guter Ansätze, an nicht ausgereiftem Differenzierungsvermögen in Sprache und Gestik. auch über die darstellerischen Leistungen fast aller weiteren Hauptrollen (Arzt, Geliebte, Settembrini, Naphta, Peeperkorn) gingen die Meinungen auseinander. Der poetische Anspruch, die differenzierte Dichte und Komplexität der Romanfiguren konnte darstellerisch nur teilweise befriedigend umgesetzt werden. Vor der Aura der Romanfigur Peeperkorns bleibt im Film nur die vordergründig präsente Dimension eines alten, verzweifelten kraftvollen Machtmenschen. Besondere Einwände erhoben sich auch gegen die letztlich chargierende Realisation jenes Handlungsfadens, der – bei Thomas Mann – in den Disputen Settembrinis und Naphtas konträre philosophische Grundpositionen der Zeit in Formulierungen von geschliffener Prägnanz sichtbar werden lässt. Im Film bleibt es bei darstellerisch unzureichend umgesetzten Zitaten und fast pantomimischen Vergröberungen, die des poetischen Reizes ermangeln. Das bedeutet einen empfindlichen Verlust an geistiger Präsenz: Die Kontroversen der geistigen Positionen gerinnen dadurch zu intellektuellen Geschwätz.

Einstimmig bemängelt wurde die durchgehend zu aufdringliche Verwendung einer letztlich epigonalen, aus Wagner-, Mahler- und Schostakowitsch-Anspielungen kompilierten Musik. Zwar signalisiert ihr bombastischer Gestus wilhelminisches Gehabe, aber eine dramaturgisch sinnvoll kommentierende Interpretation der gezeigten Zustände durch die Musik zu sehr als auf gesetztes Beiwerk, als bloßer Effekt.

Trotz der Fülle der Einwände, die streckenweise das Scheitern des Films an seinem hochzielenden Anspruch deutlich machen, stellte der Bewertungsausschuss in Anerkennung des vorgegebenen hohen Risikos und in Anerkennung gelungener Details seine Bedenken soweit zurück, dass mit Stimmenmehrheit das Prädikat wertvoll erteilt werden konnte.