Zelle 5 - Eine Rekonstruktion

Filmplakat: Zelle 5 - Eine Rekonstruktion

FBW-Pressetext

Die genauen Umstände des Todes von Oury Jalloh sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Nach dem Tod des Häftlings in seiner Gefängniszelle in einem Dessauer Polizeirevier am 7. Januar 2005 werfen immer wieder neue Ermittlungen Fragen über die genaue Situation des Vorfalls auf. Der Film ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION in der Regie von Mario Pfeifer geht dieser ungelösten Problematik genauer auf den Grund. Das Ziel des Films ist es nicht in erster Linie, nach über 18 Jahren eine finale Antwort zu finden. Doch es sollen Unklarheiten verdeutlicht, weitere Untersuchungen angeregt werden. Dafür werden der Tatort der Zelle und die genauen Bedingungen des Brandes detailgetreu rekonstruiert, um einen neuen Einblick in den Fall zu ermöglichen. Das Format der Rekonstruktion eines Verbrechens ist generell eine sehr spannende und innovative Herangehensweise an einen Dokumentarfilm. Mario Pfeifer bereitet in ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION das tragische Ereignis auf eine bewegende und kraftvolle Weise auf. In seiner cleanen Sachlichkeit einer Versuchsanordnung hat der Film durchweg eine fast klaustrophobische Wirkung, die gerade wegen der Reduktion der eingesetzten filmischen Mittel die Zuschauenden überwältigt. Die von Laien nachgesprochenen Dialoge der verschiedenen Akteure und Zeugen des Vorfalls wirken gerade wegen ihrer Natürlichkeit besonders authentisch. Die gelungene Machart und die wissenschaftliche und faktenorientierte Arbeit des Filmes regen das Publikum dazu an, sich auch nach dem Film weiter mit der Thematik zu beschäftigen. ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION ist ein wichtiger und hochrelevanter Film, der gegen das Vergessen arbeitet und dabei helfen kann, die Fakten sprechen zu lassen. Damit es letzten Endes Gerechtigkeit für das Opfer geben kann.
Prädikat besonders wertvoll

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Zeitungsartikel, Fernsehsendungen und auch Podcasts zum Tod des Guineers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle gibt es viele. Die meisten kommen letztlich auch zur Konklusion, dass sich hinter dessen Tod und der schleppenden Aufklärung des Todes echte Skandale verbergen. Dass sich Jalloh vor nunmehr 17 Jahren selbst angezündet haben soll, das glaubt eigentlich kaum jemand mehr.

ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION ist eine gewissenhafte Rückverfolgung dessen, was am 7. Januar 2005 in Gewahrsamszelle Nº 5, im Keller der Dessauer Polizeistation vorgefallen sein muss. Dazu fasst Mario Pfeifer aber nicht nur die bislang bekannten Ergebnisse zusammen. Er lässt auch Teile der gemachten Aussagen von Ermittlern und Gutachtern einsprechen, gibt Sequenzen aus Nachrichtensendungen wieder und verfolgt mit der Kamera eine Rekonstruktion des Tathergangs in einem umgenutzen Hangar. Die Widersprüche, die sich daraus ergeben, sind eminent. Die Chronologie der Ereignisse ist derart gewissenhaft, klug und doch faktenorientiert rekonstruiert, dass das Publikum tief in die Geschehnisse am Tattag hineingesogen wird. Pfeifer ist so erfahren, nicht zu kommentieren. Er lässt die Ergebnisse für sich sprechen und gibt damit seinem Publikum die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Dabei macht sich bemerkbar, dass Pfeifer auch als Videokünstler arbeitet. Ästhetisch folgt der Film nicht den gewohnten Doku-Formaten. Pfeifers Film rangiert tatsächlich zwischen Filmkunst und Dokumentation. Das macht ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION nicht nur besonders beeindruckend, sondern auch extrem aussagekräftig und dient als eine dramaturgisch wichtige Unterscheidung zu den üblichen Cold-Case-Sendungen der linearen Medien. ZELLE 5 rekonstruiert aber nicht nur den Tathergang, sondern lässt auch massive Beklommenheit fühlen. Beklommenheit angesichts der Enge der Zelle, in der Oury Jallo verbrannt ist, Beklommenheit aber auch der gesellschaftlichen, politischen und judikativen Enge der der Fall zu unterliegen scheint. Denn Skandal ist nicht nur, dass eine solche Tat überhaupt passieren konnte, sondern auch, dass sie bislang nicht sauber aufgearbeitet worden ist.

Nur mit der eingesetzten Narratorin unterläuft Pfeifer nach Ansicht der Jury ein wenig sein dramaturgisches Konzept. In der Diskussion zeigte sich die Jury von deren manieriertem Habitus verstört und letztlich sogar unangenehm an manipulierende, US-Amerikanische TV-Programme erinnert. Ein eingesprochener Text, als Bindeglied zwischen den verwendeten Materialien, hätte die gebotene Neutralität vielleicht ein wenig besser widergespiegelt.

ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION lässt viele Fragen unbeantwortet, demonstriert aber, wie wichtig das mediale Wiedererinnern ist. Gerade wenn über einen Fall häufig berichtet wird, neigen Zuschauer zum innerlichen Abschalten. Mit seinem treibenden Duktus und nur geringer Redundanz kann Pfeifers Dokumentation auch die politische und gesellschaftliche Dimension des Falls abbilden ohne sperrig zu wirken. ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION gibt seinem Publikum den Auftrag mit auf den Weg, darauf hinzuwirken, dass weiterhin zu den Umständen des Todes von Oury Jallah ermittelt wird, genau, wie zur mangelhaften Aufarbeitung von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft und letztlich auch, dass sich eine Tragödie, wie die in Dessau niemals und nirgendwo wiederholen darf.

Nach eingehender Beratung kommt die Jury überein, Mario Pfeifers ZELLE 5 – EINE REKONSTRUKTION einstimmig das Prädikat besonders Wertvoll auszusprechen.