Filmplakat: Ural

FBW-Pressetext

Wird eine Atombombe auch nur im Test gezündet, werden radioaktive Strahlen freigesetzt. Menschen und Tiere, die sich in unmittelbarer Nähe aufhalten, werden getötet oder schwer verletzt, die gesamte Umwelt einer katastrophalen Strahlenbelastung aufgesetzt. In URAL erzählt die Filmemacherin und Künstlerin Alla Churikova zusammen mit ihrem Co-Drehbuchautor Dmitri Popov von einem solchen Atomtest, den die russischen Behörden durchführten. Und über den sie die Bevölkerung nie informierten. Als Erzählerstimme und Perspektive wählt Churikova die Erinnerung einer Frau, die mit ihrem Kind zusammen an die Orte ihrer Kindheit im Ural reist. Sie will ihrem Kind zeigen, wo ihre Wurzeln liegen und erzählt dabei, wie ihre Familie Teil eines Staatsgeheimnisses wurde. Denn ihr Vater arbeitete für den Staat. Die einzelnen Bilder und Sequenzen gehen sanft ineinander über, die Sandanimationen erschaffen fast schon assoziativ wirkende Bilder, dem gegenüber stehen die harten historischen Aufnahmen, teils fotografisch, teils filmisch aus den Archiven. Auf eine ganz sanfte, virtuose Weise lässt Churikova den Zuschauer in ein Stück Geschichte eintauchen. Das ist beeindruckendes Kurzfilmkino mit einer eigenen starken künstlerischen Handschrift.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Kurzfilm
Regie:Alla Churikova
Drehbuch:Alla Churikova; Dmitri Popov
Kamera:Alla Churikova
Schnitt:Stefan Urlaß
Musik:Frieder Zimmermann
Länge:14 Minuten
Verleih:Allanimation - Alla Churikova & Dmitri Popov GbR
Produktion: Allanimation Dimitri Popov
Förderer:FFA; Kulturstiftung Sachsen

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Animationsfilm beginnt wie eine nostalgische Kindergeschichte: „Als ich ein kleines Mädchen war“, erzählt eine Stimme aus dem Off zu den Zeichnungen, die eine Wohnsiedlung zeigen "in der Steppe südöstlich des Urals". Es folgen eine Reihe putziger Erinnerungen wie die, dass sie im Winter von ihrer Mutter so dick eingepackt worden sei, dass ihr die Arme seitwärts abstanden. Die Frauenstimme erinnert sich besonders auch an das Warten auf den Vater, der oft auf Dienstreise war, an ihre Freude, wenn er zurückkam. Und gerade als der Zuschauer sich eingestimmt hat, auf den wehmütigen, aber zugleich gemütlichen Memoiren-Modus, kommen auf einmal Fakten aus dem Off und Dokumentaraufnahmen: Ihr Vater sei Leutnant der Armee gewesen, berichtet die Stimme, und erst 27 Jahre alt, als die Sowjetunion in Tozk einen Atombombenversuch durchführte und dabei versuchsweise Tausende von Soldaten der Strahlung aussetzte.

In ihrem Animationsfilm verwendet Alla Churikova verschiedene Techniken, besonders herausragend unter ihnen die Sandanimation, die sich der Meinung der Jury nach besonders eignet für die Darstellung dieses Stoffes, in dem es um Spurensuche und um zerrinnende Erinnerungen geht. Zwischendurch, aber sparsam und dadurch sehr effektiv, schneidet Churikova Archivaufnahmen, die sie wiederum zum Teil in ausgesuchter Weise bearbeitet, etwa durch Hinzufügen eines gemalten Wildtiers oder ähnlichem. Die eingenommene Perspektive des Kindes holt den Zuschauer gleichsam in den Film, macht ihn zum Zeugen. Subtil und dabei höchst wirkungsvoll bringt Churikova mit diesen filmischen Techniken zwei widersprüchliche Dinge zusammen: die glücklichen Erinnerungen an den Ort der Kindheit, und das damals nicht realisierte Wissen um den Atomversuch und dessen Folgen für die Gesundheit des Vaters.
Die Jury empfand, dass es Churikova mit URAL auf nachhaltige Weise gelingt, die komplizierte Geschichte eines staatlich verordneten und kollektiv befolgten Schweigens zu schildern und damit auf ein verdrängtes Verbrechen aufmerksam zu machen.

Den einzigen Wermutstropfen fand die Jury in der Tatsache, dass dieser Kurzfilm nicht länger andauerte. Anders gesagt: sowohl der Stoff als auch die Erzählweise wären für die Jury sehr wohl auch als Langfilm denkbar.