The Tree of Life

Kinostart: 16.06.11
VÖ-Datum: 10.11.11
2011
Filmplakat: The Tree of Life

FBW-Pressetext

Wie einen berauschenden Bilderteppich staffiert Malick sein neuestes Werk aus und bettet darin die Geschichte einer amerikanischen Vorstadtfamilie ein. Die O’Briens leben in den konservativen USA der Fünfziger Jahre. Doch die drei Söhne, allen voran Jack, sind hin- und hergerissen zwischen der sanften naturliebenden Mutter, die Liebe und Vergebung predigt, und dem autoritären Vater, der die Jungs auf die Härten des Lebens vorbereiten will. Jack verliert sich selbst in diesem andauernden Konflikt, den er auch als erwachsener Mann noch nicht verarbeitet hat. Das langerwartete filmische Epos aus der Feder von Meisterregisseur Terrence Malick übersteigt die Grenzen des traditionellen Erzählkinos um Längen. Sein Werk ist eine poetische und philosophische Auseinandersetzung mit dem immerwährenden Konflikt zwischen Natur, Zivilisation und dem Platz des Menschen in diesem Gefüge. Die Bilder sind einzigartig in ihrer Komposition und Wirkung. Die Ästhetik von Kamera, Licht und Ton beeindruckt durch ihre sinnliche und dynamische Kraft. Es entsteht ein so noch nie dagewesener Rausch an Farben, Formen und Bewegungen. Malick stellt dabei keine Thesen auf, sondern wirft Fragen in den Raum, die für jeden Betrachter andere Antworten zulassen. Ein außergewöhnliches und aufregendes filmisches Kunstwerk – überwältigend, anspruchsvoll und mitreißend.
Prädikat besonders wertvoll

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Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Terrence Malick
Darsteller:Brad Pitt; Sean Penn; Jessica Chastain; Fiona Shaw; Joanna Going; Dalip Singh; Kari Matchett; Kimberly Whalen; Jackson Hurst; Crystal Mantecon; Zach Irsik; Brenna Roth; Jennifer Sipes; Brayden Whisenhunt; Danielle Rene; Will Wallace; Tamara Jolaine; Cole Cockburn
Drehbuch:Terrence Malick
Kamera:Emmanuel Lubezki
Schnitt:Hank Corwin; Jay Rabinowitz; Daniel Rezende; Billy Weber; Mark Yoshikawa
Musik:Alexandre Desplat
Länge:138 Minuten
Kinostart:16.06.2011
VÖ-Datum:10.11.2011
Verleih:Concorde
Produktion: River Road Entertainment
FSK:6
DVD EAN-Nummer:4010324027917
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Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

THE TREE OF LIFE ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Film, der in einem berauschenden Bilderteppich impressionistische Kindheitserinnerungen mit einer bombastischen Schöpfungsgeschichte vereint, viele Rätsel aufgibt, aber auch eine außergewöhnliche kinematografische Erfahrung darstellt. Der Film beginnt mit einem Bibelzitat aus Hiob 38.4.7, der rhetorischen Frage Gottes an den durch Schicksalsschläge gestraften Hiob: „Wo warst du, da ich die Erde gründete?“ Dann sehen wir eine Familie in einer texanischen Kleinstadt in den sechziger Jahren, die ein Telegramm erhält, das den Tod des 19jährigen Sohnes im Rahmen eines Militäreinsatzes anzeigt, und begegnen im Hier und Jetzt einem Architekten in seiner hochmodern gestylten Wohn- und Arbeitsumgebung. Aus Gesprächsfetzen und philosophischem Voice-Over setzt sich die Ahnung zusammen, dass es sich um einen Sohn jener Familie handelt. Es folgt ein fast 45 Minuten langer, mit klassischer Musik untermalter Bilderstrom aus Weltraum- und Wolkenpanoramen, Unterwasseraufnahmen, Lava-Massen, Eruptionen, Wasserfällen, Sauriern in menschenleeren Landschaften, Asteroideneinschlägen und Flutwellen, die von der Entstehung des Universums und schließlich vom Beginn der Menschheit künden. Dann führt der Film zurück ins Texas der 50er Jahre, wo sich Mr. und Mrs. O’Brian über die Geburt ihres ersten Sohnes Jack freuen, dem bald zwei weitere Söhne folgen. Die Kindheitserinnerungen Jacks bilden fortan das Zentrum des Films, eine auf den ersten Blick unbeschwerte Kindheit in einem idyllischen Ort im Süden, in einem zunächst bescheidenen, später großzügigen Haus, umgeben von Gärten. Hier wachsen Jack und seine Brüder heran unter der Ägide der warmherzigen, ätherischen Mutter, aber auch stets auf der Hut vor dem autoritären Vater, der seine Söhne zwar liebt, aber ihnen auch Härte fürs Leben lehren will und deshalb zu gestrengen Erziehungsmaßnahmen und drastischen Bestrafungen greift. Ein gebrochener Charakter, der zu impulsiven Ausbrüchen neigt, aber auch sentimentale Momente hat, der pedantisch auf der Einhaltung von Regeln und Ordnung besteht, aber auch voller Hingabe Klavier spielt. Auch wenn Jack zunehmend gegen den Vater rebelliert, bestimmt die Dualität zwischen dem väterlichen Prinzip der „Natur, die den Eigennutz und die Herrschaft sucht“ und dem mütterlichen Prinzip der „Gnade, die nie ein böses Ende nimmt“, sein weiteres Leben. Indem er sich mit seinem Trauma und seinen Erinnerungen konfrontiert, ist er am Ende des Films als erwachsener Mensch aber zur Versöhnung in der Lage, als er in einer Art Erlösungssequenz am Meer den verschiedenen Figuren seines Lebens noch einmal begegnet.

Es ist ein wahrhaft kühnes Unterfangen, den Mikrokosmos einer Familie in den autoritären 50er Jahren mit der universellen Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte zu vereinen. Auch wenn sich nicht alle Bezüge erschließen, so liegt die große Stärke des Films darin, dass er sich bei der Suche nach Antworten auf universelle Fragen seinen Weg durch Raum und Zeit bahnt und den Zuschauer auf eine einzigartige visuelle Reise schickt, die eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für eigene Assoziationen und Erinnerungen bietet. Der Film ist hauptsächlich durch Bilder erzählt, die in weiten Teilen nur mit Musik und Sprachfetzen unterlegt sind, und entfaltet dadurch große visuelle Kraft. Der einzige Film, mit dem er in seinem visionären Anspruch vergleichbar wäre, ist Stanley Kubricks 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM. Auch Malicks Film ist eine kulturphilosophische Odyssee und darüber hinaus ein starkes Plädoyer für den Humanismus. Er kreist um die zentralen philosophischen Fragen von Moral, von Gut und Böse, Schuld und Versöhnung und darum, wie wir zu dem wurden, was wir sind.

Das Herzstück des Films ist die Familiengeschichte. Sie wird nicht geradlinig, sondern fragmentarisch erzählt und folgt den Sprüngen der Erinnerung. Die Montage ist unkonventionell und assoziativ mit dem Mut zu Leerstellen, entwickelt aber einen suggestiven Rhythmus. Der Blick auf das Haus und die Familie ist jedoch äußerst präzise. Die Kamera ist in fließender Bewegung auf der Suche nach Eindrücken, aus denen sich Erinnerung konstituiert, und verharrt dann plötzlich, als wolle sie bestimmte Momente festhalten. Sie ist ganz nah bei den Menschen, schafft es aber auch immer wieder, die Umgebung in den Fokus zu rücken und bedeutende Details hervorzuheben. Dabei werden Innen und Außen gekonnt kontrastiert, und die natürliche Schönheit von Landschaft, Tieren und Menschen wird kulturell geschaffener Schönheit von Musik, Kunst und Kleidung gegenüber gestellt. Ausstattung, Kostüme und Maske sind außerordentlich exakt und unaufdringlich gestaltet, so dass man sich direkt in die Zeit zurück versetzt fühlt. Das Stilmittel der entsättigten Farben schafft leicht verblasste Bilder, die einer verblassten Erinnerung entsprechen. Der Film wirkt, als blättere man in einem alten Familienalbum oder als sähe man ein altes Home-Movie, das langsam seine Farben verliert. Es ist allerdings kein mildes Licht der Erinnerung, in das der Film getaucht ist, sondern ein Gefühl der Unruhe und latenten Bedrohung ist unterschwellig stets vorhanden. Die Stimmung kann jederzeit umschlagen, ein positives Erlebnis kann plötzlich ins Unheil münden. So wird ohne große Dialoge, allein durch Bilder, die prekäre Familiensituation gekennzeichnet.

Sie sind vor allem im Vater-Sohn-Konflikt begründet, der ebenso universell wie zeitlich genau in den 50er Jahren verortet ist. Der Vater, von Brad Pitt als widersprüchliche Figur in all ihrer Ambivalenz überzeugend dargestellt, ist das Produkt seiner Zeit und ihrer Umstände. Hart geworden durch den Krieg, durch eigene Enttäuschungen und gesellschaftlichen Anpassungsdruck, versucht er, gerade gegenüber Jack, männliche Normen von Stärke, Recht und Ordnung durchzusetzen. Er ist kein Despot per se, sondern fühlt die Verantwortung, seine Kinder frühzeitig auf die Härten des Lebens vorzubereiten, die er meint, am eigenen Leibe erfahren zu haben. Am Ende wird er Versöhnung anbieten und eingestehen, insbesondere Jack zu hart behandelt zu haben. Der junge Hunter McCracken, in dem man den späteren Sean Penn bereits zu erkennen meint, verkörpert auf beeindruckende Weise Jack, der ständig auf der Lauer zu liegen scheint und zwischen Unterwerfung und Aufbegehren balanciert. Unbeschwerte Momente mit der Mutter, den Brüdern oder draußen in der Natur in der Gruppe mit anderen Kindern sind selten, entfalten aber eine nachhaltige Wirkung. Die Kinderdarsteller sind allesamt sehr überzeugend und harmonieren mit den professionellen Schauspielern, die äußerst subtil agieren und Stimmungen, Gefühle und Konstellationen in erster Linie durch Blicke und Haltungen zum Ausdruck bringen. Umso nachhaltiger wirken die eruptiven Ausbrüche.

Durch die Verknüpfung mit der langen Sequenz des Weltwerdens wird die familiäre Prägung einerseits relativiert, erhält aber andererseits eine universelle Bedeutung. Jeder ist Teil eines großen Ganzen, aber auch ein Universum für sich. Auch die religiösen Implikationen, die der Film durch sein Motto nahe legt und in mehreren Kirchenszenen aufgreift, sind letztendlich nur ein Teil eines sehr heterogenen metaphysischen Deutungszusammenhangs, den Terrence Malick dem Zuschauer anbietet. Er stellt keine Thesen auf, sondern wirft existentielle Fragen in den Raum, die unterschiedliche Antworten zulassen. Für jeden Betrachter, der sich darauf einlässt, ist der Film ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches und aufregendes intellektuelles und visuelles Erlebnis.