Stille Wasser

Filmplakat: Stille Wasser

FBW-Pressetext

Das Ahrtal am Mittwoch, den 14. Juli 2021: Ein Sturmtief führt in dem Gebiet, das sich über mehrere Dörfer und Kleinstädte erstreckt, zu so viel Starkregen, dass es das Flussbett der Ahr nicht mehr halten kann. Innerhalb weniger Stunden ist das Ahrtal überflutet, unzählige Häuser und Existenzen sind zerstört, mindestens 185 Menschen sterben. Ein Jahr danach fährt der Filmemacher Kevin Koch, der an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert, dorthin, wo sich das Wasser mittlerweile in das Flussbett zurückgezogen hat. Das „normale“ Leben aber kehrt noch lange nicht zurück. Koch konzentriert sich in seinem Film auf zwei Protagonisten, die an eben jenem 14. Juli alles verloren haben – und dennoch nicht aufgeben. Der eine ist Weinhändler und arbeitet daran, seinen Weinkeller trockenzulegen. Der andere lebt in seinem zugigen, ungeschützten Haus, zusammen mit seinem Hund. Kevin Koch begleitet mit dem Kameramann Anian Krone die Beiden, lässt ihnen die Zeit, das zu sagen, was sie sagen wollen. Gleichzeitig fängt er Momente des starken Zusammenhalts der ganzen Region ein, zeigt kleine und große Gesten der Hilfsbereitschaft. Dabei entsteht nie der Eindruck eines voyeuristischen Blicks, Krones Kamera hält sich zurück, beobachtet, ganz ohne Kommentar im Off. Der einzige Kommentar des Films ist seine dramaturgische Rahmung. Denn STILLE WASSER beginnt und endet am Nürburgring, nicht weit vom Ahrtal entfernt. Und, wie eine Tafel erklärt, ist Hochwasser im Ahrtal nichts Unbekanntes. Doch die Regierung in Rheinland-Pfalz entschied sich in den 1920er Jahren gegen den Hochwasserschutz – und für den Bau des Nürburgrings. Es ist diese Kontextualisierung, die den Film über das rein Dokumentarische und reduziert Sachliche hinaus wirken lässt. Zusammen mit dem akustischen Stilmittel, das die unbehagliche Atmosphäre des Gezeigten spürbar macht: das grollende Dröhnen von Wasser, dass sich im Juli 2021 seinen Weg ins Ahrtal suchte. Und so viel Leben mit sich riss.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Kevin Koch
Kamera:Anian Krone
Schnitt:Emma Holzapfel
Musik:Peter Albrecht
Länge:30 Minuten
Produktion: Filmakademie Baden-Württemberg GmbH
Förderer:Filmakademie Baden-Württemberg

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

„Wir haben die Erde kaputt gemacht, ich genauso wie du“. Mit STILLE WASSER geht ein studentisches Filmteam der Filmakademie Baden-Württemberg sechs Monate nach der Flutkatastrophe 2021 in das Ahrtal und stellt dabei interessante Verknüpfungen her: zwischen Mensch und Natur, zwischen den Betroffenen und Helfenden vor Ort und zwischen dem benachbarten Nürburgring und dem Flutgebiet. Atmosphärische Bilder verbinden sich mit den Beobachtungen und Gesprächen.
Ein Mann steigt mit Grubenlampe am Kopf in seinen Keller hinab, um das Wasser nach oben zu befördern. Eine beinahe archaische Anmutung. Er erzählt vom Verlust aller Familienerinnerungen. Die Flut hat sie mit sich gerissen. Später nimmt der Film das im Bild wieder auf, als ein Bagger zerstörte Einrichtungen, Berge an Accessoires vieler Leben zusammenschiebt. Eine Firma spendet Weihnachtsbäume für die betroffenen Ahrtalbewohner. Man trifft sich, umarmt sich, etwas Lebensfreude scheint auf. Ein Hofeingang ist schon hergerichtet, der einlädt in frischem Hellblau. Goldfische werden neu erworben und behutsam in einem Teich im völlig zerstörten Garten wieder beheimatet. Momente von anstrengender Alltagsbewältigung.
„Der Hund hat die Augen aufgemacht, als meine Frau sie zumachte. Deshalb hänge ich an ihm.“ Lakonie der Verzweiflung. Spaziergänge mit dem Hund an der so unscheinbar wirkenden Ahr sind das einzige Tagessgeschäft. Stille Wasser. Erzählt wird von den Kois aus dem Garten, der einmal einer der schönsten in der Gegend war. Einer der Fische wird immer noch schwimmend im Fluss gesichtet. Weitermachen? Warum? Es bleiben Momentaufnahmen ohne die großen Statements und das verleiht den Bildern, die die Kamera von Anian Krone einfängt, große Unmittelbarkeit. Die Jury diskutiert, ob das ausreicht, um dem Ereignis, das auch in Deutschland den Klimawandel unmissverständlich verdeutlicht, umfänglich gerecht zu werden. Lediglich zwei Protagonisten begleiten die jungen Filmemachenden. Sie haben zwei Männer ausgewählt im mittleren und höherem Alter. Zunächst erscheint das nicht zwingend und verwundert, so die Jury in ihrer Debatte. Aber je näher die Filmemacher:innen ihren Protagonisten kommen, immer in kleinen Sequenzen, desto klarer wird, dass die beiden stellvertretend für die Betroffenen im Ahrtal stehen. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung geht das Leben dort weiter. Während einer im Baumarkt Winkel kauft und seine Existenz neu aufbaut, schaut der andere zurück im Schmerz. Die Verbindung zwischen den Protagonisten über die Liebe zu Fischen filmisch herzustellen, ist ein besonders gelungenes Erzählmoment.
Als ein Ortsbewohner in der Kirche an Weihnachten vor einem Kerzentisch Trompete spielt, - die Musik wird sehr gekonnt in das unaufdringliche, kaum spürbare Soundkonzept des Films von Peter Albrecht eingebettet -, und die Feuerwehren mit Leuchtketten und kreisendem Blaulicht durch das Ahrtal fahren und so symbolisch die Menschen und Retter verbinden, stellt sich her, was es dokumentarisch zu erfassen gilt: Berührung, Bewegung, Bekundung. Es sind genau diese minimalistischen Momentaufnahmen, die so große Kraft verströmen. Mehr ist im Moment nicht zu sagen. Die zunächst als diffus und zufällig empfunden Bilder erscheinen dann doch sehr synchron von Regisseur Kevin Koch mit dem diffusen Lebensgefühl seiner Protagonisten verknüpft. Sie sind stimmig von Emma Holzapfel montiert. All die menschlichen und politischen Tragödien zur Flut im Ahrtal kennen wir aus den Nachrichten. Im Ergebnis divergierend diskutierte die Jury die Klammer des Films am Nürburgring, wo die Geschichte beginnt und endet, und ein eingeblendeter Text eine historische Verbindung zwischen den Prioritäten Hochwasserschutz und Hochgeschwindigkeitsrennstrecke herstellt.
Am Ende stehen ein mittellanger Film, der lange nachhallt, und dessen Verdienst um dokumentarisch Erfasstes, das mit erkennbarem Stilwillen zur Inszenierung trotzdem so wenig auf Effekte aus ist. Verschiedene Elemente auf der Bild- und Textebene lassen, so die Jury, großes Potential für dokumentarisches Erzählen erkennen. Die Jury vergibt für den Film STILLE WASSER das Prädikat „besonders wertvoll“.