Sterne

Jurybegründung

Der Bewertungsausschuß hat dem Film das Prädikat "Wertvoll" verliehen.



Der Film schildert ein Kriegsschicksal in einem kleinen bulgarischen Dorf, in das ein Transport griechischer Juden gekommen ist, die wenige Tage später zur Vergasung nach Auschwitz gebracht werden sollen. Es gehört zu den besonderen Vorzügen des Films, daß er das deutsche Militär lediglich durch zwei Soldaten verkörpern läßt, den Leutnant Kurt und den Unteroffizier Walter. Der kurze Auftritt eines "schneidigen" Hauptmanns macht von vornherein deutlich, daß die beiden Soldaten Kurt und Walter zunächst durchaus als Menschen gesehen werden. Der Unteroffizier Walter ist ein mittelmäßiger Maler, der an der Sinnlosigkeit, aber auch an der Langeweile des Krieges leidet, während sein Stubenkamerad, Leutnant Kurt, den typischen Reserve-Offizier der Etappe darstellt, im Grunde nicht schlecht, aber keineswegs geneigt, über die verbrecherischen Maßnahmen der Regierung und der Vorgesetzten nachzudenken. Dabei legt er aber den Wert auf seine kameradschaftlichen Bezienungen zu Walter. Auch wenn er dessen empfindliches Gewissen nicht versteht, nimmt er doch Rücksicht darauf. Er selbst betäubt sein Gewissen mit Alkohol und leichten Mädchen. Ihm entgegen steht der Unteroffizier Walter, dessen Empfindlichkeit zu einer gewissen Menschenverachtung und einem annähernd nihilistischen Lebensgefühl geführt hat.



Durch das jüdische Mädchen Ruth wird Walter, während er am Stacheldraht des Lagers vorbeigeht, angerufen und gebeten, einen Arzt zu schicken, da eine jüdische Frau in den Wehen zu sterben droht. Walter schüttelt diesen Hilferuf zunächst ab, schickt dann aber doch den Arzt. Damit ist eine ganze Reihe von verbotenen Hilfsmaßnahmen ins Rollen gebracht, zu denen sich der Unteroffizier durch die die Begegnung mit der jüdischen Lehrerin bewegen läßt. Leutnant Kurt schickt auf einem Saufabend in einer Winkelkneipe einen Wachsoldaten fort, um für Walter ein Mädchen zu holen. Der Wachsoldat kommt mit Ruth zurück. Dieser Vorgang wiederholt sich am nächsten Abend. In den Gesprächen zwischen Walter und Ruth entwickelt sich die Wandlung des deutschen Unteroffiziers, der das Mädchen zur Flucht bestimmen will. Ruth kehrt am zweiten Abend dennoch in das Lager zurück, weil sie sich nicht allein retten lassen will. Es wird aber bei ihrer Rückkehr in das Lager deutlich, daß sie diesen Entschluß innerlich noch nicht vollzogen hat. Walter bereitet ihre Flucht vor, begibt sich in das Versteck bulgarischer Juden, diedas Mädchen zu den Partisanen in die Berge bringen wollen. Kurt hat Walter Gesagt, die Juden würden am nächsten Mittag abtransportiert. Als Walter in der Frühe zum Judenlager kommt, um Ruth herauszuholen, ist das Lager bereits geräumt. Diese durchaus glaubwürdige Geschichte hat gerade dadurch an Eindruckskraft erheblich gewonnen, daß sie auf einem nicht nur äußerlich, dondern auch menschlich eng begrenzten Raum dargestellt wird. Walter erlebt in der Begegnung mit der Jüdin Ruth eine Überwindung seiner Menschenverachtung, zumal er von Ruth erfährt, daß sie ihr künftiges Schicksal in Auschwitz genau kennt.



Der junge Regisseur Konrad Wolf hat den Film im Stil eines überhöhten Realismus mit künstlerischem Feingefühl gestaltet. Dabei fällt die Einheitlichkeit des Stils wohltuend auf, auch wenn gewisse pathetische Übertreibungen zu verzeichnen sind. Die weitaus eindruckvollsten Bildfolge ist die Szene auf dem Hof des Lagers, wo die Juden im Halbkreis angetreten sind und deutsche Medikamente herausgeben sollen, die Walter ihnen durch Mittelsmänner zugespielt hat. Sogar in dieser Szene wird der deutsche Leutnant nicht karikiert. Die verborgene Brutalität seines Eingriffs kommt im Bild lediglich durch die Kommißstiefel zum Vorschein, mit denen er die Chininrollen zertritt.



Die theatralischen Übertreibungen sind insofern bedenklich, als sie die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen gegenüber den Juden eher abfangen als unterstreichen. Private Gefühle sind der Wucht des Geschehens nicht gewachsen. Die Kamera hat sich, gerade auch in den pathetischen Passagen, dem Stilwillen des Regisseurs vollkommen angepaßt.



Erfreulicherweise ließ man die Menschen des Films in ihren verschiedenen Landessprachen reden und behalf sich da, wo es zum Verständnis notwendig erschien, lieber mit eingeblendeten Untertiteln, als daß man die Glaubwürdigkeit des Milieus zerstörte. Die vier wesentlichen Rollen des Films einschließlich des Partisanen Petko sind ausgezeichnet besetzt.



Der Hauptausschuß hat dem Film das Prädikat "besonders wertvoll" verliehen. Die Deutschen sind, wie schon im Gutachten des Bewertungsausschusses hervorgehoben wurde, im wesentlichen durch zwei Figuren repräsentiert, durch den Leutnant Kurt, der unsympathisch, zu Feistheit, Undiszipliniertheit, Willkür und Unflätigkeit neigend, dennoch nicht verwerflich von Grund auf ist; und durch den Unteroffizier Walter, der nicht nur das gute Element darstellt, vor allem mit seiner wachen Menschlikeit und Hilfsbereitschaft, sondern an dessen Verhalten ständig ablesbar ist, wie schwer es war, seine gute Gesinnung gegen eine rohe, gemeine Umwelt durchzusetzen.



Der Film zeigt uns die Ankunft griechischer Juden in einem bulgarischen Dorf, ihren Aufenthalt in Not und Elend - bis zum Abtransport nach Auschwitz. Es wäre ein leichtes gewesen, sich mit der Erinnerung an historische Schuld des Hiltler-Regimes und all jener Deutschen zu begnügen, die in den Sog seiner Irrlehren gerieten. Es wäre auch nicht schwer gewesen, an diese geschichtlichen Fakten anknüpfend, einen wilden Haßgesang gegen die Deutschen - oder doch, sagen wir, Millionen von Deutschen anzustimmen. Gerade das ist ein hervorstechender Zug des Films STERNE, dass er einen stärkeren Akzent auf das Inferno legt, in dem die Juden bangten, litten und starben, als auf die Teufel, die das Inferno errichteten und verwalteten. Der Film ist mehr ein Klagelied als rhetorische Anklage. Das ist zum Beispiel auch der Grund, weshalb zahlreiche, großartig photographierte Gesichter der Juden stumm gezeigt werden. Die Male und Runen ihres Leidens sind weit erschütternder als Beredsamkeit.



Es ist gelungen, einen Stil zu finden, der beides bindet und vereinigt, einen hohen Grad von Realistik (so als handle es sich vorwiegend um dokumentarisches Material) und das dunkle schwere, ergreifende Moll. Kameramann, Schauspieler und Regisseur bewegen sich ungezwungen auf dieser stilistischen Ebene.



Der Hauptausschuß verleiht das Prädikat "besonders wertvoll", weil der Film ein Dokument im höheren Sinne ist: weniger das äußere Dokument einer nachweisbaren Situation von einst als das Dokument der inneren Verfassung vieler Menschen von heute, die an die begrenzte Macht des Hasses und an die fortzeugende Kraft der Menschlichkeit glauben.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Kategorie:Spielfilm
Regie:Konrad Wolf
Darsteller:Sascha Kruscharska; Jürgen Frohriep; Erik S. Klein; Stefan Pejtschew; Georgi Nanmow
Drehbuch:Angel Wagenstein
Kamera:Werner Bergmann
Schnitt:Christa Wernicke
Musik:Simeon Pirenkow
Länge:90 Minuten
Verleih:Europa Filmverleih
Produktion: , DEFA Deutsche Film AG, Berlin + Studio für Spielfilme, Sofia

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Bewertungsausschuß hat dem Film das Prädikat "Wertvoll" verliehen.

Der Film schildert ein Kriegsschicksal in einem kleinen bulgarischen Dorf, in das ein Transport griechischer Juden gekommen ist, die wenige Tage später zur Vergasung nach Auschwitz gebracht werden sollen. Es gehört zu den besonderen Vorzügen des Films, daß er das deutsche Militär lediglich durch zwei Soldaten verkörpern läßt, den Leutnant Kurt und den Unteroffizier Walter. Der kurze Auftritt eines "schneidigen" Hauptmanns macht von vornherein deutlich, daß die beiden Soldaten Kurt und Walter zunächst durchaus als Menschen gesehen werden. Der Unteroffizier Walter ist ein mittelmäßiger Maler, der an der Sinnlosigkeit, aber auch an der Langeweile des Krieges leidet, während sein Stubenkamerad, Leutnant Kurt, den typischen Reserve-Offizier der Etappe darstellt, im Grunde nicht schlecht, aber keineswegs geneigt, über die verbrecherischen Maßnahmen der Regierung und der Vorgesetzten nachzudenken. Dabei legt er aber den Wert auf seine kameradschaftlichen Bezienungen zu Walter. Auch wenn er dessen empfindliches Gewissen nicht versteht, nimmt er doch Rücksicht darauf. Er selbst betäubt sein Gewissen mit Alkohol und leichten Mädchen. Ihm entgegen steht der Unteroffizier Walter, dessen Empfindlichkeit zu einer gewissen Menschenverachtung und einem annähernd nihilistischen Lebensgefühl geführt hat.

Durch das jüdische Mädchen Ruth wird Walter, während er am Stacheldraht des Lagers vorbeigeht, angerufen und gebeten, einen Arzt zu schicken, da eine jüdische Frau in den Wehen zu sterben droht. Walter schüttelt diesen Hilferuf zunächst ab, schickt dann aber doch den Arzt. Damit ist eine ganze Reihe von verbotenen Hilfsmaßnahmen ins Rollen gebracht, zu denen sich der Unteroffizier durch die die Begegnung mit der jüdischen Lehrerin bewegen läßt. Leutnant Kurt schickt auf einem Saufabend in einer Winkelkneipe einen Wachsoldaten fort, um für Walter ein Mädchen zu holen. Der Wachsoldat kommt mit Ruth zurück. Dieser Vorgang wiederholt sich am nächsten Abend. In den Gesprächen zwischen Walter und Ruth entwickelt sich die Wandlung des deutschen Unteroffiziers, der das Mädchen zur Flucht bestimmen will. Ruth kehrt am zweiten Abend dennoch in das Lager zurück, weil sie sich nicht allein retten lassen will. Es wird aber bei ihrer Rückkehr in das Lager deutlich, daß sie diesen Entschluß innerlich noch nicht vollzogen hat. Walter bereitet ihre Flucht vor, begibt sich in das Versteck bulgarischer Juden, diedas Mädchen zu den Partisanen in die Berge bringen wollen. Kurt hat Walter Gesagt, die Juden würden am nächsten Mittag abtransportiert. Als Walter in der Frühe zum Judenlager kommt, um Ruth herauszuholen, ist das Lager bereits geräumt. Diese durchaus glaubwürdige Geschichte hat gerade dadurch an Eindruckskraft erheblich gewonnen, daß sie auf einem nicht nur äußerlich, dondern auch menschlich eng begrenzten Raum dargestellt wird. Walter erlebt in der Begegnung mit der Jüdin Ruth eine Überwindung seiner Menschenverachtung, zumal er von Ruth erfährt, daß sie ihr künftiges Schicksal in Auschwitz genau kennt.

Der junge Regisseur Konrad Wolf hat den Film im Stil eines überhöhten Realismus mit künstlerischem Feingefühl gestaltet. Dabei fällt die Einheitlichkeit des Stils wohltuend auf, auch wenn gewisse pathetische Übertreibungen zu verzeichnen sind. Die weitaus eindruckvollsten Bildfolge ist die Szene auf dem Hof des Lagers, wo die Juden im Halbkreis angetreten sind und deutsche Medikamente herausgeben sollen, die Walter ihnen durch Mittelsmänner zugespielt hat. Sogar in dieser Szene wird der deutsche Leutnant nicht karikiert. Die verborgene Brutalität seines Eingriffs kommt im Bild lediglich durch die Kommißstiefel zum Vorschein, mit denen er die Chininrollen zertritt.

Die theatralischen Übertreibungen sind insofern bedenklich, als sie die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen gegenüber den Juden eher abfangen als unterstreichen. Private Gefühle sind der Wucht des Geschehens nicht gewachsen. Die Kamera hat sich, gerade auch in den pathetischen Passagen, dem Stilwillen des Regisseurs vollkommen angepaßt.

Erfreulicherweise ließ man die Menschen des Films in ihren verschiedenen Landessprachen reden und behalf sich da, wo es zum Verständnis notwendig erschien, lieber mit eingeblendeten Untertiteln, als daß man die Glaubwürdigkeit des Milieus zerstörte. Die vier wesentlichen Rollen des Films einschließlich des Partisanen Petko sind ausgezeichnet besetzt.

Der Hauptausschuß hat dem Film das Prädikat "besonders wertvoll" verliehen. Die Deutschen sind, wie schon im Gutachten des Bewertungsausschusses hervorgehoben wurde, im wesentlichen durch zwei Figuren repräsentiert, durch den Leutnant Kurt, der unsympathisch, zu Feistheit, Undiszipliniertheit, Willkür und Unflätigkeit neigend, dennoch nicht verwerflich von Grund auf ist; und durch den Unteroffizier Walter, der nicht nur das gute Element darstellt, vor allem mit seiner wachen Menschlikeit und Hilfsbereitschaft, sondern an dessen Verhalten ständig ablesbar ist, wie schwer es war, seine gute Gesinnung gegen eine rohe, gemeine Umwelt durchzusetzen.

Der Film zeigt uns die Ankunft griechischer Juden in einem bulgarischen Dorf, ihren Aufenthalt in Not und Elend - bis zum Abtransport nach Auschwitz. Es wäre ein leichtes gewesen, sich mit der Erinnerung an historische Schuld des Hiltler-Regimes und all jener Deutschen zu begnügen, die in den Sog seiner Irrlehren gerieten. Es wäre auch nicht schwer gewesen, an diese geschichtlichen Fakten anknüpfend, einen wilden Haßgesang gegen die Deutschen - oder doch, sagen wir, Millionen von Deutschen anzustimmen. Gerade das ist ein hervorstechender Zug des Films STERNE, dass er einen stärkeren Akzent auf das Inferno legt, in dem die Juden bangten, litten und starben, als auf die Teufel, die das Inferno errichteten und verwalteten. Der Film ist mehr ein Klagelied als rhetorische Anklage. Das ist zum Beispiel auch der Grund, weshalb zahlreiche, großartig photographierte Gesichter der Juden stumm gezeigt werden. Die Male und Runen ihres Leidens sind weit erschütternder als Beredsamkeit.

Es ist gelungen, einen Stil zu finden, der beides bindet und vereinigt, einen hohen Grad von Realistik (so als handle es sich vorwiegend um dokumentarisches Material) und das dunkle schwere, ergreifende Moll. Kameramann, Schauspieler und Regisseur bewegen sich ungezwungen auf dieser stilistischen Ebene.

Der Hauptausschuß verleiht das Prädikat "besonders wertvoll", weil der Film ein Dokument im höheren Sinne ist: weniger das äußere Dokument einer nachweisbaren Situation von einst als das Dokument der inneren Verfassung vieler Menschen von heute, die an die begrenzte Macht des Hasses und an die fortzeugende Kraft der Menschlichkeit glauben.