Filmplakat: SSRC

FBW-Pressetext

Der Süden von L.A. ist nicht der Ort, an dem man Taubenzüchter erwarten würde. Und doch stehen genau dort regelmäßig viele Männer des „Secret Society Roller Clubs“ zusammen und blicken in den Himmel, wo die wunderschönen Tiere ihre Flügel aufspannen und umeinander zu schweben scheinen, um dann wie von Geisterhand in Richtung Erde zu stürzen und sich kurz danach wieder zu fangen. In einer fast lautlosen, von einer imaginären Musik umrahmten Choreografie der Lüfte. Die Filmemacherin Yalda Afsah hat die Männer des Clubs bei ihrer Arbeit mit den Tauben begleitet. Dabei offenbaren die auf den ersten oberflächlichen Blick so hart wirkenden Männer eine große Zartheit im Umgang mit den Tieren. Sie erzählen, wie sie zu dem außergewöhnlichen Hobby gefunden haben, was es für sie bedeutet, wie es sie von der Straße fernhält. Dabei sind nur ihre Hände zu sehen, die die Taube festhalten, die sie streicheln, sie fachmännisch untersuchen. Yalda Afsah gelingt es durch diese Konzentration die Essenz der Verbindung zwischen Mensch und Tier festzuhalten und eine Nähe zu dokumentieren, die überrascht und berührt. Die beim Zusehen bezaubernden Choreografien der Tauben in der Luft dienen als stiller Kommentar der unberührten Schönheit der Tiere, die im krassen Gegensatz zu ihrer Domestizierung steht. SSRC ist als experimenteller Kurzdokumentarfilm die perfekte Symbiose aus einer klug gewählten Erzählhaltung und einer sinnlich-ästhetisierenden Inszenierung einer perfekten Stimmung.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Experimentalfilm; Kurzfilm
Regie:Yalda Afsah
Drehbuch:Yalda Afsah
Kamera:Oli Cohen; Alicia Denegar; Seth MacMillan
Schnitt:Janina Herhoffer; Yalda Afsah
Musik:Steffen Martin; Jochen Jezussek
Länge:20 Minuten
Produktion: RosenPictures Filmproduktion GbR
FSK:0
Förderer:FFA; MBB

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Eine Gruppe von Männern starrt gebannt gen Himmel. Was fesselt ihre Aufmerksamkeit? Es sind Tauben, die in großer Höhe kreisen, plötzlich im freien Flug Rückwärtsüberschläge vollführen, sich mit ausgebreiteten Flügeln und ausgestrecktem Körper um die eigene Achse drehen und in einer zirkelnden Bewegung einige Meter abwärts taumeln, bis sie ihren normalen Flug fortzusetzen. Das ist spektakuläre Luftakrobatik und faszinierende Schau, vollführt durch „Roller“, eine spezielle Art von Flugsporttauben, die von den Mitgliedern des „Secret Society Roller Clubs“ aus Compton im Süden von Los Angeles gezüchtet werden. Taubenzüchter hätte man in dieser schwarzen Vorstadt, deren Alltag durch Polizeigewalt und Gangkriminalität geprägt wird, nicht erwartet. Aber die Tauben, die die Männer mit großer Hingabe züchten, pflegen und trainieren, haben sie von den Straßen ferngehalten. Der Film begleitet die Clubmitglieder zu lokalen Wettkämpfen und zu ihren Taubenschlägen in den Hinterhöfen. Hier erzählen sie, wie sie meist schon in früher Kindheit von Tauben fasziniert waren und dieses Hobby für sich entdeckt haben. Dabei halten sie die Vögel voller Stolz und Zärtlichkeit in ihren Händen, streichen über ihr Gefieder, spreizen die Flügel. Die harten Kerle und die filigranen Tiere sind in großer Zuneigung miteinander verbunden.

SSRC ist weder Tierfilm noch sozialrealistische Dokumentation über Angehörige einer schwarzen Community mit ihren besonderen Problemen. Vielmehr erkundet die Künstlerin und Filmemacherin Yalda Afsah das besondere Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Obwohl sie zunächst eine klassisch dokumentarische Herangehensweise von Beobachtung und Interview, Originalton und eigenen Ton gewählt hat, hat sie durch die anschließende Trennung von Bild- und Tonebene und nachträglicher Tonbearbeitung einen gewissen Verfremdungseffekt geschaffen, der insbesondere in den beeindruckenden Flugsequenzen zur Geltung kommt. Beim Zuschauen meint man seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Tauben beim Taumeln und Purzeln beobachtet. Ist es der Wind, der ihnen zu schaffen macht, oder handelt es sich tatsächlich um einen ganz eigenen Flugstil, das Ergebnis von Züchtung und Training? Der Film erklärt nicht, sondern zelebriert zu imaginären Sounds die Choreografie der Lüfte. Er lädt dazu ein, genau zuzuschauen und hinzuhören und eine ganz besondere Welt zu entdecken.

Es ist ein interessantes Phänomen, dass der Vogelsport - auch hierzulande - fest in Männerhand ist. Die „Freiheit über den Wolken“ übt eine große Faszination aus. Und während Falken als Statussymbol der Scheichs gelten, prägten Taubenschläge die Hinterhöfe der Bergbau- und Industriesiedlungen in Europa. Der Secret Society Roller Club im Süden von Los Angeles steht in dieser Tradition. Es ist eine symbiotische Beziehung, die die Männer mit ihren Tauben verbindet. Durch die Taubenzucht erzielen sie sportliche Erfolgen, erleben sie Gemeinschaft und erlangen Anerkennung und Ansehen. Und sie schaffen beträchtliche Werte, denn besonders schöne und erfolgreiche Tauben werden zu hohen Preisen gehandelt. Im Umgang mit den Tieren können die Männer ihre weiche Seite ausleben, was im harten Milieu der Vorstadt sonst nicht angesagt ist. Die Tiere erhalten hingebungsvolle Pflege und Zuwendung, müssen aber auch performen und die Erwartungen der Community erfüllen. Allerdings scheinen sie auch selbst Freude an ihren atemberaubenden Kunststücken zu haben.

Für die Zuschauenden lässt der Film viel Raum für visuelle Faszination und Interpretation: Man kann sich an der Schönheit und Akrobatik der Tiere sowie an der Hingabe und Ernsthaftigkeit der Männer erfreuen und über ihr besonderes Verhältnis nachdenken.