Sein oder Nichtsein

1942

Jurybegründung

Der Bewertungsausschuß hat dem Film das Prädikat „besonders wertvoll" verliehen. Ernst Lubitsch hat mit seinem letzten Film eine der schwersten Aufgaben im Bereich der künstlerischen Darstellung meisterhaft bewältigt. Es gelang ihm, die dunkelsten Abseiten der Geschichte und die makabren Methoden tyrannischer Willkür mit einem stets heiteren und zutiefst menschlichen Spiel sozusagen lachend ad absurdum zu führen. Er ging darin sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Rollen des Tyrannen und seiner Schergen anscheinend willkürlich gegen kleine Komödianten auswechseln ließ und damit eine wahrlich frappierende Entlarvung unserer jüngsten Geschichte erreichte. Die entlarvende Konfrontierung zwischen den Komödianten und den „Trägern der Geschichte" wird besonders evident in der Begegnung zwischen dem Hamletdarsteller Tura und dem SS-Obergruppen-führer, den Tura kurz vorher selbst verkörpert hatte. Auf die Begegnung mit Tura in der Rolle des deutschen Geheimagenten reagiert der wirkliche SS-Obergruppenführer wörtlich genau so wie kurz zuvor der Komödiant in der Rolle des Obergruppenführers auf die Begegnung mit dem wirklichen Agenten. Unter dem Spaß klaffen Abgründe der Tragödie, ohne daß der Spaß deshalb aufhörte, ein Spaß zu sein.



Der Film bleibt gerade dort vergnüglich und heiter, wo dem Betrachter das Lachen vergeht, weil die Hintergründe der Komödie allzu dunkel, allzu makaber werden. Damit hat Lubitsch eine kaum erträgliche Spannung zwischen Gelächter und Schauder erzeugt. Sie ist das wirkungsvollste Mittel seiner Entlarvung der Hitler-Tyrannei. Auch den gefährlichsten Verwicklungen im blutigen Spiel der Unterdrückung stellt er die Heiterkeit und geradezu bürgerliche Menschlichkeit der polnischen Widerstandskämpfer aus der Welt des Theaters gegenüber. Das Motiv der komödiantischen Eitelkeit und Eifersucht des Tura wird gerade in den beklemmendsten Wendungen des grausamen Spiels mit aller Glaubwürdigkeit ver-wendet.

Das Drehbuch ist so dicht und nahtlos gearbeitet, daß man dem Film mit gespanntester Aufmerksamkeit folgt, zumal die Dialoge so konzentriert und zugespitzt sind, daß man kein Wort versäumen möchte. Auch in der deutschen Synchronisation fällt die sprachliche Qualität der Dialoge besonders auf. Auch sie bewegen sich in der höchsten dramatischen Spannung zwischen dem anscheinend nur heiteren Spiel und dem düsteren Hintergrund des historischen Vorganges. Daß diese Spannung ohne jeden Bruch durchgehalten werden konnte, ist um so erstaunlicher, als der Film in einem der schlimmsten Jahre brutaler Unterdrückungen durch die Machthaber des Dritten Reiches gedreht wurde. Der Haß auf die Unterdrücker des polnischen Volkes hat sich in ein ebenso befreiendes wie für den Be-troffenen tödliches Lachen sublimiert.

Lubitsch entwickelte in der Regie ein lebhaftes Tempo. Sein Film kennt keine Längen und keine Pausen, so daß denn auch zwischen den beiden Welten dieses Films keinerlei Distanz aufkommen kann. Mitunter weiß man im ersten Augenblick nicht einmal, mit welcher der beiden Welten man es jetzt zu tun hat. Das war von der Regie zweifellos so beabsichtigt. Die Verquickung von privater Menschlichkeit, List und Humor auf der einen Seite mit der Grausamkeit, Sturheit und dem Kadavergehorsam auf der anderen Seite ist nicht zuletzt deshalb so faszinierend gelungen, weil Lubitsch Schauspieler zur Verfügung hatte, die dieser darstellerisch schwierigen Verquickung bis in die kleinsten Nuancen zu folgen vermochten. Auch die Darsteller der deutschen Gestapo-Männer haben die Regieabsichten von Lubitsch vollkommen verstanden, indem sie keine billigen Karikaturen zeichneten, sondern sogar auch ihre düsteren Rollen mit einer verstohlenen Heiterkeit spielten. Die Kameraarbeit und der Schnitt entsprechen dem außergewöhnlichen Rang dieses Films. Ernst Lubitschs letzter Film ist über die Grenzen des Films hinaus ein wohl einzigartiges Beispiel für die menschliche Intensität und die heitere, wenngleich tödliche Entlarvungskraft der wahren Komödie.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Kategorie:Spielfilm
Regie:Ernst Lubitsch
Darsteller:Carole Lombard; Jack Benny; Felix Bressart; Robert Stack; Lionel Atwill; Stanley Ridges
Drehbuch:Edwin Justus Mayer
Kamera:Rudolf Matä
Schnitt:Dorothy Spencer
Musik:Werner R. Heymann
Länge:98 Minuten
Verleih:United Artists
Produktion: , United Artists Corporation, New York, N.Y.

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Bewertungsausschuß hat dem Film das Prädikat „besonders wertvoll" verliehen. Ernst Lubitsch hat mit seinem letzten Film eine der schwersten Aufgaben im Bereich der künstlerischen Darstellung meisterhaft bewältigt. Es gelang ihm, die dunkelsten Abseiten der Geschichte und die makabren Methoden tyrannischer Willkür mit einem stets heiteren und zutiefst menschlichen Spiel sozusagen lachend ad absurdum zu führen. Er ging darin sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Rollen des Tyrannen und seiner Schergen anscheinend willkürlich gegen kleine Komödianten auswechseln ließ und damit eine wahrlich frappierende Entlarvung unserer jüngsten Geschichte erreichte. Die entlarvende Konfrontierung zwischen den Komödianten und den „Trägern der Geschichte" wird besonders evident in der Begegnung zwischen dem Hamletdarsteller Tura und dem SS-Obergruppen-führer, den Tura kurz vorher selbst verkörpert hatte. Auf die Begegnung mit Tura in der Rolle des deutschen Geheimagenten reagiert der wirkliche SS-Obergruppenführer wörtlich genau so wie kurz zuvor der Komödiant in der Rolle des Obergruppenführers auf die Begegnung mit dem wirklichen Agenten. Unter dem Spaß klaffen Abgründe der Tragödie, ohne daß der Spaß deshalb aufhörte, ein Spaß zu sein.

Der Film bleibt gerade dort vergnüglich und heiter, wo dem Betrachter das Lachen vergeht, weil die Hintergründe der Komödie allzu dunkel, allzu makaber werden. Damit hat Lubitsch eine kaum erträgliche Spannung zwischen Gelächter und Schauder erzeugt. Sie ist das wirkungsvollste Mittel seiner Entlarvung der Hitler-Tyrannei. Auch den gefährlichsten Verwicklungen im blutigen Spiel der Unterdrückung stellt er die Heiterkeit und geradezu bürgerliche Menschlichkeit der polnischen Widerstandskämpfer aus der Welt des Theaters gegenüber. Das Motiv der komödiantischen Eitelkeit und Eifersucht des Tura wird gerade in den beklemmendsten Wendungen des grausamen Spiels mit aller Glaubwürdigkeit ver-wendet.
Das Drehbuch ist so dicht und nahtlos gearbeitet, daß man dem Film mit gespanntester Aufmerksamkeit folgt, zumal die Dialoge so konzentriert und zugespitzt sind, daß man kein Wort versäumen möchte. Auch in der deutschen Synchronisation fällt die sprachliche Qualität der Dialoge besonders auf. Auch sie bewegen sich in der höchsten dramatischen Spannung zwischen dem anscheinend nur heiteren Spiel und dem düsteren Hintergrund des historischen Vorganges. Daß diese Spannung ohne jeden Bruch durchgehalten werden konnte, ist um so erstaunlicher, als der Film in einem der schlimmsten Jahre brutaler Unterdrückungen durch die Machthaber des Dritten Reiches gedreht wurde. Der Haß auf die Unterdrücker des polnischen Volkes hat sich in ein ebenso befreiendes wie für den Be-troffenen tödliches Lachen sublimiert.
Lubitsch entwickelte in der Regie ein lebhaftes Tempo. Sein Film kennt keine Längen und keine Pausen, so daß denn auch zwischen den beiden Welten dieses Films keinerlei Distanz aufkommen kann. Mitunter weiß man im ersten Augenblick nicht einmal, mit welcher der beiden Welten man es jetzt zu tun hat. Das war von der Regie zweifellos so beabsichtigt. Die Verquickung von privater Menschlichkeit, List und Humor auf der einen Seite mit der Grausamkeit, Sturheit und dem Kadavergehorsam auf der anderen Seite ist nicht zuletzt deshalb so faszinierend gelungen, weil Lubitsch Schauspieler zur Verfügung hatte, die dieser darstellerisch schwierigen Verquickung bis in die kleinsten Nuancen zu folgen vermochten. Auch die Darsteller der deutschen Gestapo-Männer haben die Regieabsichten von Lubitsch vollkommen verstanden, indem sie keine billigen Karikaturen zeichneten, sondern sogar auch ihre düsteren Rollen mit einer verstohlenen Heiterkeit spielten. Die Kameraarbeit und der Schnitt entsprechen dem außergewöhnlichen Rang dieses Films. Ernst Lubitschs letzter Film ist über die Grenzen des Films hinaus ein wohl einzigartiges Beispiel für die menschliche Intensität und die heitere, wenngleich tödliche Entlarvungskraft der wahren Komödie.