Retrodreaming

Kurzbeschreibung

"Retrodreaming" untersucht das in Japan durch demografischen Wandel verursachte, weit verbreitete Phänomen von geisterhaften, verlassenen Schulen. Leere Schulen in verlassenen Dörfern erzählen ihre eigene Geschichte: Sei es während einer Pandemie, nach einer Nuklearkatastrophe oder schlicht aufgrund von Entvölkerung. Der Film verweist auf die japanische Tradition des Erzählens von "Kaidan" (Geistergeschichten/Gruselgeschichten) und auf die zahlreichen „Gakk? no Kaidan“ (japanisch für "Gruselige Schulgeschichten") in der japanischen Mainstream-Kultur, welche auf der Idee beruhen, dass Geister-Wesen und Erinnerungen, in verlassenen Architekturen verbleiben.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Experimentalfilm; Kurzfilm
Regie:Alisa Berger
Darsteller:Momo Mei
Drehbuch:Alisa Berger; Thorsten Krämer
Kamera:Alisa Berger
Schnitt:Stefan Ramírez Pérez; Alisa Berger
Länge:17 Minuten
Produktion: Alisa Berger

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Sogenannte „Lost Places“, oder wie es vielleicht sogar etwas treffender im Englischen heißt: „ruin porn“, sind en vogue. Die Aura des Vergänglichen, der Charme des Verfalls, verlassene Orte: Das alles begeistert Fotografen und Filmemacher gleichermaßen. Auch Alisa Berger folgt mit RETRODREAMING dieser Spur, der gerade in Zeiten von Pandemie und Krieg ziemlich aktuell wirkt.

Ein wenig voyeuristisch zieht Bergers Kamera durch die verlassenen Räume einer japanischen Schule. Langsam ertastet sie das Areal, während eine Frauenstimme dazu von einem immer waghalsiger gestalteten Experiment erzählt. Mithilfe psychoaktiver Substanzen und Computern wurden einst die Träume von Probanden erforscht, stimuliert und gesteuert. Dann aber sei es zu ernsthaften Problemen mit Teilnehmerin #521 gekommen.

Mit Netzbrummen, interessanten Band-, Tasten- und Spulgeräuschen sowie zielgerichteten Textloops weiß RETRODREAMING die textuellen Aussagen auf der akustischen Ebene zu unterstreichen. Bisweilen ins Fantastische übersteigerte Bildelemente unterstützen die tonalen Ereignisse auf brillante Weise. Bergers Kamera schwenkt kühl und automatisiert durch verlassene Räume und gibt den Blick auf noch vorhandenes Mobiliar, auf Tische, Stühle und Computerteile frei. Durch wiederkehrende, vielfältig verfremdete Bildelemente erschafft der Film aussagekräftige Bezugspunkte zum einstigen Leben innerhalb der Schulmauern. Und dann bewegt sich eine Tänzerin geisterhaft im Raum.

All diese gut zusammengeführten Elemente funktionieren, und doch fühlt sich die Jury nicht vollständig überzeugt. Menschenexperimente mit fatalem oder gar letalem Ausgang? Eine ungeheuerliche Missachtung jeglicher Menschenrechte? In der Diskussion zeigte sich, dass der Eindruck der eingesprochenen Informationen von diesem Experiment so gravierend wirkt, dass sich die Jurymitglieder nur schwerlich entscheiden konnten, ob sie den verbalen oder den visuellen Informationen folgen sollten, oder doch eher den filmimmanenten, emotionalen Momenten. Mehr noch: Nach Ansicht der Jury schiebt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des bestialischen Experiments diktatorisch in den Vordergrund. Ohne weiteren Schlüssel dominiert das Apollinische über das Dionysische. Damit aber wird Zuschauern der ästhetische-relevante Einstieg zur Akzeptanz der Schule, als Ort des Geschichtenerzählens, ein wenig erschwert oder gar verwehrt.

So aber steht das Publikum bei der Beurteilung einer handwerklich perfekten Arbeit ein wenig hilflos da. Der Jury selbst haben erst die klärenden Worte der Synopsis entscheidend bei der Dechiffrierung von RETRODREAMING geholfen, die von der Tradition der japanischen Kaidan-Erzählungen berichten. Nach Darlegung aller Argumente und nach ausführlicher Diskussion vergibt die Jury das Prädikat „wertvoll“.