Nenn mich nicht Bruder

Filmplakat: Nenn mich nicht Bruder

FBW-Pressetext

Für Cheyenne ist es ganz normal, mit ihrem Freund und dessen Freunden abzuhängen und zu trinken. Denn in der trostlosen Wohngegend, in der Cheyenne lebt, gibt es ja auch sonst nichts zu tun. Außer vielleicht Fußball spielen. Und so ist Cheyenne inzwischen „einer von den Jungs“ geworden. Als eines Tages ein Neuer namens Dany auftaucht und bei Cheyenne in der Mannschaft mitspielen möchte, wird Cheyenne misstrauisch. Irgendwas ist komisch an Dany. Als sie herausfindet, was los ist, muss sie sich entscheiden: Kann sie Danys Geheimnis für sich behalten? Oder will sie beweisen, dass sie wirklich einer von den „starken Jungs“ ist? Von der ersten Minute an beeindruckt der Kurzspielfilm NENN MICH NICHT BRUDER von Gina Wenzel durch das authentische Spiel der Darsteller. Die Trost- und Perspektivlosigkeit des Milieus und der Zusammenhang der Clique, der letztlich aber nur auf Alkohol, Drogen und gemeinsamer Langeweile basiert, bilden einen stimmigen und glaubhaften Rahmen für die eindrückliche LGBTQ-Geschichte. Die Arbeit mit der Handkamera unterstützt die große Nähe zu den Figuren – und dass in entscheidenden Momenten Wenzel und ihr Kameramann Sebastian Bergfeld das Geschehen nicht zeigen, erhöht den starken Eindruck noch zusätzlich. NENN MICH NICHT BRUDER hält sich fern von jedem erhobenen Zeigefinger und kann seine Botschaft für mehr Toleranz und Offenheit gerade deswegen glaubhaft vermitteln. Starkes Kurzfilmkino.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Gina Wenzel
Darsteller:Marie Schulte-Werning; Mateo Wansing Lorrio; Moritz Reinisch; Julien Wolff; Chakan Moscho Osmam Oglou
Drehbuch:Gina Wenzel
Kamera:Sebastian Bergfeld
Schnitt:Gina Wenzel
Musik:Dein Junge STV
Länge:18 Minuten
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln
FSK:16
Förderer:Kunsthochschule für Medien Köln

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die ersten Bilder von NENN MICH NICHT BRUDER wirken noch überraschend. Eine Spielplatzszene, mit wackliger gedrehter Handycam. Rap von „Dein Junge STV“ dröhnt über einen Platz. Einige Jugendliche produzieren sich vor der Linse, trinken hochprozentigen Alkohol und überbieten sich mit derben Sprüchen. Ein Pärchen küsst sich intensiv, die Kommentare dazu wirken gespielt, sogar schlecht gespielt. Das sorgt bei der Jury zunächst für Irritation. Die aber weicht, als sich in der nächsten Szene herausstellt, dass es sich beim Opener tatsächlich nur um ein Handyvideo handelt, eines wie es vieltausendfach gemacht wird, aus Langeweile, um die Zeit Tod zu schlagen. Gina Wenzels Kurzfilm widmet sich ein paar Jugendlichen aus einem der vielen Brennpunkte Deutschlands. Sie treffen sich täglich auf Sport- und Spielplätzen und verbringen ihre Zeit mit Trinken und Kiffen und Mannbarkeitsriten. Bis hier ist NENN MICH NICHT BRUDER ein gut gemachter Milieufilm, der allerdings nicht viel Neues erzählen kann. Das aber soll sich ändern.
Unter den Jugendlichen ist auch Cheyenne. Wenn sie nicht in der örtlichen Frauenmannschaft Fußball spielt, dann mischt sie bei den Jungs der Clique mit. Eines Tages trainiert ein fremder Junge in ihrer Mannschaft. Eher zufällig bekommt Cheyenne mit, dass es sich bei diesem Gastspieler um ein Mädchen handelt, eine Transsexuelle, einen Jungen, der im falschen Körper geboren wurde.
Ein LGBTQ-Thema in eine Milieustudie zu integrieren, ist mutig. Gina Wenzel ist genau das aber großartig gelungen. Mit nur wenigen Andeutungen vermag sie wesentlich mehr darzulegen als mit expliziten Aufnahmen. Viel zum Gelingen beigetragen hat in den Augen der Jury sicherlich auch ihr hervorragender Cast. Obwohl die meisten vermutlich Laien sind, agieren die jugendlichen Darsteller vollkommen authentisch. In ihren zwischengeschnittenen Handyvideos erweisen sie sich als lärmende Idioten, vor der Kamera aber als hervorragende Darsteller.
Während eines nächtlichen Besäufnisses kann Cheyenne nicht mehr an sich halten. Obwohl, bzw. gerade weil sich „der Neue“ so hervorragend in ihre Gang integriert, greift sie zu einer drastischen Maßnahme.
Auch wenn in NENN MICH NICHT BRUDER filmische Welten aufeinander treffen, konstatiert die Jury in der Diskussion, dass es eben auch in der harten Welt der Hochhaus-Ghettos Transgender-Themen gibt. Gerade dort, wo explizite Männlichkeit und explizite Weiblichkeit propagiert werden, haben es Menschen, die im falschen Körper geboren wurden wesentlich schwerer, bei sich zu bleiben, bzw. zu sich zu stehen. Gina Wenzels Kurzfilm zeigt nicht nur gruppendynamische Prozesse, aus denen in den Hochhaussiedlungen Gewalt entsteht, er zeigt auch die Unsicherheit, die sich hinter der Fassade eines ultra-heterosexuellen Milieu verbirgt und die Hilflosigkeit, die nach einem forcierten Outing entsteht. Dabei ist NENN MICH NICHT BRUDER nie mahnend oder erklärend, sondern stets authentisch-kurzweilig.