Nach zwei Stunden waren zehn Minuten vergangen

Filmplakat: Nach zwei Stunden waren zehn Minuten vergangen

FBW-Pressetext

Wie vergeht die Zeit, wenn man wartet? Vor allem, wenn man nichts anderes tun kann. Dieser Frage geht Steffen Goldkamp in seinem Kurzfilm NACH ZWEI STUNDEN WAREN ZEHN MINUTEN VERGANGEN nach. Der Film fängt die Ereignisse, besser gesagt, die Nichtereignisse in einer Jugendstrafanstalt ein. Goldkamp und sein Kameramann Tom Otte filmen die Jugendlichen in ihrem Alltag. Dabei konzentrieren sie sich ganz bewusst auf einzelne enge Bildausschnitte. Das Wischen des Gefängnisbodens, das Schlafen in den kargen Räumen, die Gitterstäbe an den Fenstern, das Kontrollieren der Zellen, das Essen aus Plastikgeschirr. Gesichter sind nicht zu sehen, doch durch das, was der Bildausschnitt zeigt, drückt sich die Lebensrealität einer Existenz im Dämmerzustand genau aus, ohne das große Ganze drumherum zu etablieren. Die Bilder wirken bedrückend und zeigen mit großer Brennschärfe ein Empfinden, für das es keine Worte benötigt. Und als dann eine getragene klassische Musik die Szenen unterlegt und eine Schildkröte über den Boden zur Tür hinauskriecht, wird der krasse Gegensatz zu dem, was man Freiheit nennt, auf eindrucksvolle Weise deutlich. Konsequent und mit großer Ruhe macht Goldkamps essayistischer Kurzfilm das Vergehen von Zeit erfahrbar.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Kurzfilm
Regie:Steffen Goldkamp
Drehbuch:Steffen Goldkamp
Kamera:Tom Otte
Schnitt:Jelena Maksimovic; Steffen Goldkamp
Musik:Ludwig van Beethoven
Länge:19 Minuten
Produktion: Steffen Goldkamp
Förderer:FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Welche Bilder können die Erfahrung von toter Zeit vermitteln? Zeit, in der nichts passiert, in der jeden Tag wieder die gleichen Rituale ausgeführt werden? Zeit, die abgesessen werden muss? Steffen Goldkamp hat Insassen der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand bei Hamburg gefilmt. Doch durch die Kadrierung vermeidet er jedes Zeichen von Persönlichkeit. Er zeigt keine Gesichter, sondern Körper. Körper, die sitzen, liegen, schlafen und essen. Hände, die versuchen etwas zu verstecken. Andere Hände, die Briefe öffnen, um deren Inhalt zu kontrollieren. Mit der Freiheit wird den Verurteilten auch die Individualität genommen. Kleine Reste davon setzten sich durch, wenn etwa ein Telefongespräch nach außen geführt wird. Steffen Goldkamp gelingt es so, die Leere des Lebens im Gefängnis spürbar zu machen. Der Film erfordert Aufmerksamkeit, denn von den gezeigten Fragmenten versucht man unwillkürlich aufs Ganze zu schließen. Und im letzten Drittel gibt es dann noch zwei überraschende Stilwechsel, die die Faszination des Kurzfilms nur noch vergrößern. Nachdem bis dahin durch ein raffiniertes Sounddesign mit Geräuschen und vereinzelten Stimmen die Leere im Gefängnis auch ihre akustische Entsprechung fand, hört man plötzlich eine Streichersonate von Beethoven. Und für eine Sequenz verlässt die Kamera den Knast und zeigt eine junge Frau in einer Betonlandschaft, die draußen auf ihren inhaftierten Freund wartet. So gelingt es Goldkamp, ständig zu überraschen, und auch deshalb wirkt sein Film kürzer als seine 19 Minuten.