Milchzähne
FBW-Pressetext
In einer postapokalyptischen nahen Zukunft beschützt eine junge Frau ein Kind gegen die Feindseligkeiten der Dorfgemeinschaft. Das Debüt von Sophia Bösch, nach der gleichnamigen Romanvorlage, überzeugt als atmosphärisch dichtes und mysteriöses Drama.Skalde weiß, dass es vor allen Dingen ums Überleben geht. Und dass man den Regeln der Gemeinschaft folgen muss, wenn man ein Teil von ihr bleiben will. Skaldes Mutter Edith aber ist schon immer eine Außenseiterin gewesen und wird als Hexe bezeichnet und gemieden. Als Skalde im Wald ein kleines Mädchen namens Meisis findet, von dem niemand weiß, woher es kommt, geht eine Angst im Dorf um. Denn alles, was fremd ist, muss verstoßen werden. Skalde und Edith nehmen Meisis bei sich auf. Und ziehen damit die immer deutlich hervortretende Feindseligkeit der Gemeinschaft auf sich.
Für ihr Langfilmdebüt hat sich die Regisseurin Sophia Bösch, zusammen mit ihrem Co-Drehbuchautor Roman Gielke, dem in einer nicht allzu fernen Zukunft spielenden dystopischen Roman MILCHZÄHNE von Helen Bukowski angenommen und eine filmische Welt erschaffen, in der die bedrohliche Atmosphäre wie ein kalter Nebel durch die Szenerie zu fließen scheint. Bösch verortet den Handlungsraum bewusst nicht zeitlich oder räumlich, aber die Isolation der Gemeinschaft und ihre Feindseligkeit gegenüber allem Fremden hat etwas apokalyptisch Dystopisches an sich, ohne ein Science-Fiction-Setting zu benötigen. Viel mehr setzen Bösch und ihre hervorragende Kamerafrau Aleksandra Medianikova auf Nahaufnahmen der einzelnen Figuren in einer kargen Landschaft am Waldrand. Dazu passt das intensive Spiel der Darstellenden, allen voran Mathilde Bundschuh, die Skalde mit herber Härte verkörpert, hinter deren Fassade es aber immer zu brodeln scheint. Und Viola Hinz ist als Meisis in ihrer ersten großen Rolle beeindruckend. So wie Skalde wissen auch die Zuschauenden nicht, wie sie zu dem scheuen fremden Mädchen stehen sollen. Dazu wirkt der gelungene Score von Rahel Zimmermann und Moritz Widrig unheimlich und mysteriös, hält sich aber an vielen Stellen zurück und lässt die Geräusche des Waldes und des Flusses umso lauter erscheinen. Mit MILCHZÄHNE ist Sophia Bösch ein eindrucksvolles Debüt gelungen, das beweist, dass eine mysteriöse Atmosphäre, die durch das kluge Zusammenspiel der Gewerke entsteht, viel wichtiger sein kann als jeder künstlich erzeugte digitale Effekt.
Filminfos
Gattung: | Drama; Spielfilm |
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Regie: | Sophia Bösch |
Darsteller: | Mathilde Bundschuh; Susanne Wolff; Ulrich Matthes; Viola Hinz; Karin Neuhäuser; Lola Dockhorn; u.a. |
Drehbuch: | Sophia Bösch; Roman Gielke |
Buchvorlage: | Helene Bukowski |
Kamera: | Aleksandra Medianikova |
Schnitt: | Andrea Muñoz |
Musik: | Rahel Zimmermann; Moritz Widrig |
Webseite: | ; |
Weblinks: | kinofans.com; |
Länge: | 97 Minuten |
Kinostart: | 21.11.2024 |
Verleih: | Farbfilm Verleih |
Produktion: | Weydemann Bros. GmbH |
FSK: | 12 |
Förderer: | BKM; MBB; DFFF; BAK; Filmstiftung Zürich; Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern; HessenFilm und Medien; Creative Europe Media; MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein |
Jury-Begründung
„Der Himmel zwischen den Baumwipfeln sieht manchmal aus wie ein Fluss“, sagt die Mutter von Skalde. Eine Metapher der ortlosen Sehnsucht. Denn der wahre Fluss bildet eine schier unüberwindliche Grenze. Diesseits dieser Grenze hat sich eine verrohte irgendwie degenerierte Dorfgemeinschaft mit rigiden Gesetzen gebildet. Der Film MILCHZÄHNE von Sophia Bösch ist das Langfilmdebüt der Regisseurin, nach einem gemeinsam mit Roman Gielke verfassten Drehbuch. Das Filmgeschehen adaptiert literarisch einen Roman von Helene Bukowski. Skalde, gespielt von Mathilde Bundschuh, hat sich, anders als ihre Mutter (Susanne Wolff), den Dorfregeln angepasst. Denn sie kann nur dazugehören, wenn sie sich anders verhält als ihre Mutter. Aber ein quasi epiphanisches Ereignis verändert ihre Gesinnung. Im Wald erscheint ein fremdes Kind (Viola Hinz), welches Skalde anfangs wieder im Wald aussetzt. Schließlich entschließt sie sich jedoch, das vereinsamte Kind aufzunehmen. Ganz gegen die Gesetze der Dorfgemeinschaft, ganz gegen den Willen der Einheimischen, die ihre Drohungen in einem „offiziellen Besuch“ verkünden und abergläubisch das Kind als Wolfskind betrachten. Der angesprochene Argwohn wird verstärkt, als das Kind von sich selbst sagt, es sei ein Wolf. Aus kindlichem Leichtsinn? Die Herkunft des Kindes bleibt dunkel. Über verbrannte Felder sei es gekommen, die Eltern seien gestorben. Irgendetwas sei mit diesem Kind, wird gesagt. Vieh verschwindet. Dann die beiden Kinder eines Nachbarn. Im Dorf sind alle Hunde ausgerissen. Der Dorfpatriarch (Ulrich Matthes) weiß: Unsere Kinder werden uns nach und nach alle verlassen. Das Kind muss also verschwinden, um größeres Unheil abzuwehren.Ein allegorischer Film, der, so die Anmerkung der Regie im Presseheft, ‚von Müttern und Töchtern erzähle, von der Angst vor dem Fremden und von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit‘.… In der Jury wurde der Film wegen seiner mythischen Komplexität, atmosphärischen Dichte und Düsternis gelobt. Als kritischer Einwand wurde das Casting in einzelnen Fällen als etwas problematisch empfunden, ebenso das teils „artifizielle“ Kostümdesign. Auch inhaltlich bleibt der Film stellenweise nebulös. Vieles bleibe unklar. Dies aber, zu diesem Schluss kam die Jury in ihrer Diskussion, womöglich gerade im Sinn der gewollten Mystik. Die Darstellenden agieren nicht tatsächlich wie auf der Bühne. Sie bringen die Retardation ihrer Figuren zum Ausdruck, die dort irgendwo im „Gehölz“ hausen. Gleichermaßen wurden die guten darstellerischen Leistungen von der Jury hervorgehoben, ebenso die vielen trefflichen Bilder einer ausgesprochen souveränen Kameraarbeit von Aleksandra Medianikova. Sehr eindrucksvoll besonders in den Nahaufnahmen zu Beginn des Films. Auch die Filmmusik von Rahel Zimmermann und Moritz Widrig wurde gewürdigt. Und selbstverständlich ist das Kind kein erscheinendes mythisches Wesen. Seine mögliche Tötung bestimmt auch nicht das dramaturgische „Gebälk“ oder „Fachwerk“ des Films. Der Wald beherbergt in ihrer primitiven Zurückgebliebenheit eine irgendwie auch faschistoide Gemeinschaft mit degoutanten Neigungen, ohne Zugehörigkeiten zuzulassen, gefühlskalt, starrsinnig und besserwisserisch. Die Allegorie bezog die Jury eher auf Geisteszustände der kulturellen und politischen Gegenwart. Im Anschluss an eine spannende und ausführliche Diskussion verleiht die FBW-Jury dem Film das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.