Milch ins Feuer

Kinostart: 07.08.25
2024
Filmplakat: Milch ins Feuer

FBW-Pressetext

Ein Sommer auf dem Land. Katinka will Bäuerin werden – doch die Umstände machen es ihr nicht einfach, diesen Traum zu leben. Der erste Langfilm von Justine Bauer ist ein reifes, stimmungsvolles Debüt mit erzählerischer Kraft.

Es ist Sommer auf dem Land. Katinka, ihre Geschwister und ihre Mutter bewirtschaften den Milchkühe-Hof und versuchen, mit ihren Produkten und einer Alpaka-Farm über die Runden zu kommen. Und auch wenn die Arbeit anstrengend ist, so will Katinka doch nichts anderes als später einmal den Hof zu übernehmen. Doch eigentlich dürfen das ja nur die Söhne. Dazu wird es immer schwerer, ökologische Landwirtschaft auch zukunftsfähig zu gestalten. Viele Probleme, die den Sommer noch schwerer und heißer erscheinen lassen als er es eh schon ist.

Der Abschlussfilm von Justine Bauer, die auf der Kunsthochschule für Medien in Köln Spielfilmregie studierte, lässt in ihrer Inszenierung eine große Intimität mit den Protagonistinnen zu. Die Kamera von Pedro Carnicer bleibt immer ganz nah bei den ausdrucksstarken Gesichtern der jungen Frauen, die Bildgestaltung lässt trotz der Außenaufnahmen die klaustrophobische Enge eines Hitzesommers spüren und die Szenen sind mit viel Ruhe und dem Mut zur lakonischen Ereignisleere erzählt, die das Lebensgefühl auf dem Land gut vermitteln. Dass es sich bei den Darstellenden – außer der von Johanna Wokalek überzeugend gespielten Mutter – komplett um Laien handelt, erzeugt den Eindruck des dokumentarischen Erzählens. Und doch spürt man die kluge fiktionale Dramaturgie, die sich einzelne Geschehnisse herauspickt, um über die Handlung heraus auch zu kommentieren, sowohl im Dramatischen als auch im Komischen. Wenn eines der Alpakas kastriert wird und die jungen Frauen eine gewisse Genugtuung empfinden, dass hier wenigstens ein „Mann“ nicht mehr für Probleme sorgen kann – während gleichzeitig einer der Protagonistinnen ungewollt schwanger geworden ist, oder aber die Verkrampftheit aller Beteiligter beim Posieren für ein Werbefoto für einen Joghurtglas deutlich wird, dann spürt man, wie reich der Film an Themen ist, die die Realität vieler Menschen darstellen, deren Existenz an die Landwirtschaft geknüpft ist. Mit MILCH INS FEUER gelingt Justine Bauer ein reifes Debüt, das ihr Talent zum atmosphärischen Erzählen deutlich macht.

Filminfos

Gattung:Drama; Komödie
Regie:Justine Bauer
Darsteller:Karolin Nothacker; Johanna Wokalek; Pauline Bullinger; Lore Bauer; Anne Nothacker; Sara Nothacker
Drehbuch:Justine Bauer
Kamera:Pedro Carnicer
Schnitt:Semith Korhan Güner; Justine Bauer
Musik:Cris Derksen
Länge:79 Minuten
Kinostart:07.08.2025
Verleih:Filmperlen
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln, Justine Bauer;
Förderer:Filmstiftung NRW

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll verliehen.

Zügig und effektiv arbeiten die beiden Frauen – Mutter und Tochter - Seite an Seite im Stall. Sorgfältig tupfen sie den Kühen den Euter ab, nachdem sie die Schläuche der Melkmaschine entfernt haben. Ihre Haare sind mit Tüchern zurückgebunden, der grüne BH ist schweißgetränkt, fürs Reden bleibt wenig Zeit.

Drei Generationen von Frauen porträtiert die Regisseurin Justine Bauer in ihrem semidokumentarischen Spielfilm MILCH INS FEUER. Angesiedelt hat sie ihn im Hohenlohischen – ebendort, wo Bauer selbst auf einer Straßenfarm aufgewachsen ist.

Es ist ein ebenso zugewandter wie ungeschönter Blick, den die Regisseurin auf ihre Protagonistinnen wirft. Neben der u.a. aus dem „Tatort“ bekannten Johanna Wokalek setzt Bauer in ihrem Ensemble komplett auf Laiendarstellerinnen. Die Jury zeigt sich beeindruckt von deren Leinwandpräsenz – und lobt Bauers Entscheidung, die Figuren in der ihnen eigenen Mundart sprechen zu lassen (zum besseren Verständnis wurde der Film mit deutschen Untertiteln gezeigt).

Dramaturgisch setzt Bauer auf ein fragmentarisches Erzählen, das viele Themen anreißt (Migration, wirtschaftliche Probleme, Emanzipation), aber sich nie in einem von ihnen verliert. Ganz nah an den Frauen bleibt dieser Film, an ihren Körpern und Gesichtern, an ihren Sehnsüchten und Nöten. Es ist ein Einblick in das Leben moderner junger Frauen auf dem Land, der im deutschen Film ansonsten nur wenig vertreten ist. Mehrfach betont die Jury die Authentizität des Films, der sich das Publikum in knapp 80 Minuten nur schwer entziehen kann. Am Ende wird man diesen Frauen nahe gekommen sein, obwohl sie ihre Biografien zum großen Teil für sich behalten haben.

Die Schwangerschaft einer der jungen Frauen etwa wird mit einer gewissen Beiläufigkeit erzählt, ohne die problematischen Gefühle in diesem Zusammenhang auszublenden. Gleiches gilt für das Arbeitsleben der Protagonistinnen. Nichts wird hier romantisiert; die vorherrschende Haltung ist ein gesunder Pragmatismus nach dem Motto „Nicht reden, machen“. Dass nach getaner Arbeit auch Zeit bleibt für gemeinsames Frisieren gehört zu den vielen besonderen Anekdoten, die dem Film seine Unverwechselbarkeit verleihen.

MILCH INS FEUER begnügt sich laut Jury keinesfalls damit, ländliche Idylle und körperliche Landarbeit zu zeigen. Die politische und gesellschaftliche (Schatten)Seite des gegenwärtigen Landlebens ist fortwährend präsent. Wie verdient man als Landwirt in der heutigen Wirtschaftslage genügend Geld, um seine Familie ernähren zu können? (Antwort: nur schwer möglich). Wie schafft man es, sich als moderne Bäuerin gegen das alte Patriarchat zu behaupten? (Antwort: beinahe noch schwerer möglich). Bauer findet Bezüge aus der Vergangenheit und Ausblicke in die Zukunft – und dass, obwohl ihr Film mit beiden Beinen geerdet in der Gegenwart, in einem einzigen, langen Sommer steht.

Der Jury gefällt die bereits in der ersten Szene sorgfältig angelegte Bildkomposition des Films (eine junge Frau schwingt auf einer großen Schaukel über den See). Der Film finde sowohl eine eigene Form der Poesie als auch eine Erdverbundenheit. Es ist ein so unsentimentaler wie empathischer Film, den Bauer in ihrem Abschlussfilm an der Filmhochschule gedreht hat. Die Jury findet in ihm einen lakonischen Humor und fühlt sich mitunter an so namhafte Vorbilder wie Edgar Reitz' „Heimat“ erinnert. „Eigenartig im besten Sinne“, so ein Juryeindruck.

MILCH INS FEUER erfüllt alle Standards eines modernen Heimatfilms und schafft es, das Publikum emotional einzubinden in sein Sujet.
Die Jury entscheidet sich nach angeregter Diskussion einstimmig für die Vergabe des Prädikates besonders wertvoll.