Mich vermisst keiner!

Filmplakat: Mich vermisst keiner!

FBW-Pressetext

Evelin weiß, dass sie allein in der Welt ist. Beide Beine wurden ihr amputiert, in einem Rollstuhl bewegt sie sich mühsam zwischen Bett, Küche und Wohnzimmer hin und her. Das Leben draußen meidet sie. Freunde hat sie eh kaum noch welche. Und auch die Erinnerungen an das frühere Leben fallen schwer. Ein Leben, in dem Evelin noch ein Mann war und sogar eine Tochter hatte. Nichts von diesem früheren Leben ist mehr da. Bis auf Evelin selbst. Der Filmemacher Erik Lemke porträtiert in seinem dokumentarischen Kurzfilm MICH VERMISST KEINER! eine Frau, die aus sich selbst heraus so gar kein Verlangen nach Selbstdarstellung zu haben scheint. Doch ganz sensibel, mit Einfühlungsvermögen und Taktgefühl, gelingt es Lemke, Evelin für ihre Erinnerungen zu öffnen. Und je mehr er ihr die Zeit gibt, die sie braucht, desto mehr offenbart sich eine komplexe und hochinteressante Biografie. Das „erste“ Leben als Mann, die Arbeit in einer Fabrik, die schwierigen Familienverhältnisse – ein zufällig gefundenes Heimvideo zeigt die Bilder, die Evelin kommentiert. Durch die enge Kameraführung spürt man das Vertrauen zwischen der Gefilmten und dem Regisseur – und auch die Close-Ups auf Einrichtungsgegenstände oder scheinbaren „Nippes“ offenbaren einen interessierten und immer respektvollen Blick. MICH VERMISST KEINER! ist ein feinfühliges und ebenso feinnuanciertes Porträt eines Menschen, der von der Gesellschaft nicht gesehen wird. Eine Biografie von vielen – und dennoch so einzigartig, wie ein Mensch nur sein kann.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Erik Lemke
Drehbuch:Erik Lemke
Kamera:Erik Lemke
Schnitt:Erik Lemke
Musik:Aleksandr Skrjabin
Webseite:eriklemke.com;
Länge:28 Minuten
Produktion: IDFABRIK
FSK:0
Förderer:Kulturstiftung Sachsen

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Erik Lemke drehte mit MICH VERMISST KEINER! ein mittellanges dokumentarisches Porträt über seine entfernte Verwandte Evi, eine Frau im Rollstuhl, der beide Beine amputiert wurden. Wir beobachten Evis Alltag geduldig, teilen ihre soziale Vereinsamung und hören Episoden aus ihrer Vergangenheit. In der persönlichen Selbstdarstellung werden Kommunikationshemmungen und die Probleme der Körperlichkeit deutlich – ebenso wie die Vergangenheit von Evi als Mann.

Lange stehende Einstellungen und seltene Zwischenschnitte vermitteln auf sehr sensible Weise eine Nähe zu einem vereinsamten Menschen. Eine VHS-Cassette mit Aufnahmen der Vergangenheit wird gemeinsam gesichtet und weckt bei Evi schmerzliche Erinnerungen.

Auf subtile und intensive Weise beschäftigt sich der Film so mit Transgenderidentität und Altern, Krankheit und Verfall. Der berührende Film beweist einen respektvollen Umgang mit der Protagonistin, bedrängt sie nicht und bewahrt so auch letztlich das Geheimnis hinter der Figur. Nicht alle Fragen aus der Vergangenheit werden geklärt. Die Inszenierung baut auf eine subtile Entfaltung der Schichten und stellt viele existenzielle Fragen.

Sehr gerne würdigt die Jury der FBW diesen Film nach einer intensiven Diskussion mit dem höchsten Prädikat BESONDERS WERTVOLL.