Mahlzeiten

Filmplakat: Mahlzeiten

Kurzbeschreibung

Zwei Studenten heiraten aufgrund einer Schwangerschaft. Das Familienglück wird von unerfüllten Träumen und spiritueller Ziellosigkeit zerstört.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Edgar Reitz
Darsteller:Heidi Stroh; Georg Hauke; Nina Frank; Ilona Schütze; Ruth von Zerboni; Dirk Borchert; Klaus Lackschweitz; Peter Hohberger
Drehbuch:Edgar Reitz
Kamera:Thomas Mauch
Schnitt:Beate Mainka; Anni Giese; Elisabeth Orlow; Maxi Mainka
Musik:Maurice Ravel
Länge:94 Minuten
Verleih:Constantin Film Verleih GmbH
Produktion: Edgar Reitz Filmproduktion, Edgar Reitz Filmproduktion, Ulm (Donau)
FSK:18

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Bewertungsausschuss hat dem Film das Prädikat "wertvoll" verliehen. Dabei stand er hauptsächlich unter dem Eindruck gewisser formaler Qualitäten des Films. Vor allem die Kameraarbeit ist bemerkenswert in ihrer Fähigkeit, die formalen Intentionen der Regie optisch umzusetzen. Das fällt besonder bei einigen "Liebesszenen" auf, bei denen die Kameraführung die Absichten der Regie besser aufzunehmen vermochte als die Darsteller. Auch sonst finden sich in dem Film bemerkenswerte formale Anregungen, die sehr differenziert angewendet werden und vielleicht fruchtbare Folgen haben können für eine zukünftige deutsche Spielfilmproduktion. Auf der anderen Seite hat Edgar Reitz seinerseits Anregungen aus der jungen deutschen Filmproduktion verarbeitet. Anregungen vor allem aus dem Film "Abschied von gestern" von Alexander Kluge. Er verwendet diese Anregungen jedoch nicht als bloße Zitate, sondern hat si in seinen eigenen Filmstil eingeschmolzen. Im formalen Bereich der filmischen Gestaltung verdient der erste Spielfilm von Edgar Reitz demnach einige Aufmerksamkeit.
Edgar Reitz hat die Stilmittel seines Films aus der besonderen Mentalität jener Geschichte heraus entwickelt, die er in einer eher beiläufigen, aphoristisch verkürzten und immer wieder in Reflexionen ausweichenden Art darzustellen versucht, mit der erklärten Absicht, hier nicht in den landläufigen Duktus einer üblichen Filmstory zu verfallen. Bei diesem sehr respektablen Versuch sind ihm mancherlei Unsicherheiten unterlaufen, so dass die formalen Qualitäten seiner filmischen Gestaltung nicht immer nahtlos mit der Geschichte der jungen Ehe übereinstimmen. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Geschichte der jungen Ehe in manchen wichtigen Elementen augenscheinlich als vorgegeben übernommen wurde, sich also nicht durchweg aus dem Zusammenklang mit den ästhetischen Stilmitteln ergab. Das aber hat zur Folge, dass der Betrachter mehr und mehr aus dem Engagement an das Schicksal der beiden jungen Menschen entlassen wird. Er stößt sich an Unwahrscheinlichkeiten und findet das Gewicht der Realität in diesem eigentlich doch realistisch gestalteten Film nicht genügen berücksichtigt.
Alle diese Bedenken lassen sich in einer einzigen, anscheinend sehr naiven Frage an den Film zusammenfassen: wo bleiben eigentlich die Kinder? Bei der Darstellung einer jungen Ehe kann man Kinder, dazu noch in einer solchen Anzahl, nicht einfach bloß als Tatsachen zitieren, um sich hernach um diesen Existenzkern einer jungen Ehe so gut wie gar nicht zu kümmern. Fünf Kinder bleiben auch dann ein Existenzkerg, wenn sie von den jungen Eheleuten innerlich vielleicht nicht angenommen wurden. Man sieht die junge Frau recht häufig außerhalb ihrer Wohnung, niemals jedoch um ihre Kinder besorgt. Auf die Folgerung, dass eine solche Kinderschar schließlich auch für das Zusammenleben zwischen Mann und Frau einiges Gewicht hat, ist man gar nicht erst verfallen.
Die Totale Introvertiertheit der beiden jungen Menschen kann bei den Umständen ihres Familienstandes schwerlich akzeptiert werden. Aber auch sonst hat Edgar Reitz wenig Sorgfalt an die Eheleute gewendet. Das plötzliche Verschwinden des Mannes erscheint ebenso notdürftig motiviert wie sein Selbstmord. Das gilt auch für die Abtreibung, der sofort ein weiteres Kind folgt. Übersehen wurde zudem, dass eine Abtreibung, falls die Frau dann in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss, recht missliche Folgen zu haben pflegt.
Der Ausschuss hat sich mit derlei Bedenken so ausführlich befasst, weil er der Überzeugung ist, dass das mitunter recht ungenaue Spiel der beide Hauptdarsteller durch die verschwommenen Konturen in der Motivation verursacht wurde.
Diesen Bedenken stehen jedoch erhebliche Vorzüge des Films gegenüber, die eine Prädikatisierung rechtfertigen. Es mag bezeichnend sein für die ganze Anlage dieses Films, dass er seinen filmischen Höhepunkt im Gegenspiel der Irina findet. Diese Frauengestalt ist von der optischen Gestaltung her weitaus am besten gelungen. Mit dem Mittel höchst differenzierter Gesichtsstudien wurde hier eine überzeugende Gegenwelt ausgebaut. Die beiden Bildfolgen von der Mormonentaufe und von dem Selbstmord sind filmische Kabinettstücke, selbst wenn gerade ihnen das Fundament einer einigermaßen zugänglichen Motivierung fehlt. Die Lücke zwischen der formalen Gestaltung und den dargestellten Lebensvorgängen wurde in diesem Film noch nicht ausreichend geschlossen.

Der Hauotausschuss erteilt dem Film das höchste Prädikat. Der Film zeigt dramaturgische Genauigkeit. Er kaschiert Gescheitheit hinter einer Fassade von Simplizität. Er hantiert mit gesellschaftlichen Normen und Konventionen, um zu zeigen, wie zwei Menschen an ihnen scheitern, weil sie, innerlich hohl, phantasielos, eine kritische und schöpferische Distanz weder zu sich noch zum anderen gweinnen.
Hinter den Kulissen konventioneller chronologischer Erzähltechnik zeigt sich eine Brückigkeit und psychische Impotenz: Der Film ist gerade auch da modern, wo er auf die modische Allüre verzichtet. Er hat nahezu dokumentartischen Charakter, sofern man darunter nicht etwa das Abziehbild-Verfahren der Zeitgeschichte, sondern das Festhalten von psychischen Sachverhalten versteht.
Der Ausschuss hatte auch Bedenken zu überwinden. Sie betrafen zum Beispiel die Fotografie, die das ästhetische hochwertige Arrangement beherrscht, zuweilen jedoch ihren Auftrag zu vergessen scheint: zwar nicht die Abbilder, aber doch bildliche Entsprechungen einer nicht intakten Welt ins Spiel zu setzen.