Märtyrer der Strebsamkeit
FBW-Pressetext
Es gibt nichts herumzudiskutieren, der Eingang zum Fürstentum Württtemberg bleibt geschlossen! Denn 1349 herrscht die Pest und die Gefahr einer Ansteckung ist zu groß. Außerdem hat der Graf den Erlass gegeben, niemanden in die Stadt zu lassen. Vor allem nicht mit abgelaufenem Passierschein. Sagt zumindest der Wachsoldat Volckel. Doch sein Kollege Utz, der es mit den Regeln nicht immer so genau nimmt, will den Reisenden in der dunklen Kapuze, der Einlass nach Württemberg verlangt, passieren lassen. Volckel widerspricht. Wie er immer widerspricht, wenn Utz etwas sagt. Und er marschiert eigenständig zum Grafen, um zu klären, wie denn jetzt zu verfahren wäre. Der kurze Spielfilm MÄRTYRER DER STREBSAMKEIT von Alexander Peskador ist eine schwarzhumorige und augenzwinkernde Annäherung an eines der schwierigen Themen unserer aktuellen Zeit: Der undurchsichtige Dschungel an Corona-Verordnungen und der Sisyphus-Versuch, diese komplett zu durchdringen. Mit augenscheinlich jeder Menge Spaß agieren die beiden Darsteller Benedikt Paulun und Gunther Nickles in ihren Rollen, ihre altertümliche Mundart ist eine klug durchdachte Mischung aus dem Mittelhochdeutschen und dem Schwäbischen, was durch die Deftigkeit der Ausdrücke den Situationshumor nur noch erhöht. Das schnelle Tempo der pointierten Dialoge wird durch die Montage mit exaktem Timing ergänzt und nach vielen wunderbaren kreativen Einfällen setzt die überraschende Schlussvolte am Ende den perfekten Schlusspunkt für eine Geschichte aus einem längst vergangenen Damals, die nahtlos den Bogen zu unserem ganz aktuellen Jetzt schlagen kann.Filminfos
Gattung: | Kurzfilm; Historischer Film |
---|---|
Regie: | Alexander Fischer (Peskador) |
Darsteller: | Benedikt Paulun; Gunther Nickles; Robert Cecil Beerbohm |
Drehbuch: | Alexander Fischer (Peskador) |
Kamera: | Vincent Eckert |
Schnitt: | Simon Schares |
Musik: | Guiseppe Verdi |
Webseite: | peskador.at; |
Länge: | 14 Minuten |
Verleih: | Filmakademie Baden-Württemberg |
Produktion: | Filmakademie Baden-Württemberg GmbH |
Förderer: | Filmakademie Baden-Württemberg |
Jury-Begründung
Wachsamkeit ist gefordert, denn rasant breitet sich Mitte des 14. Jahrhunderts der Schwarze Tod in Mitteleuropa aus und fordert Millionen von Opfern. Im Jahr 1349 erreicht er die Grenze zu Württemberg. Aber hier hat er die Rechnung ohne die beiden Wachsoldaten Volckel und Utz gemacht, die ihn aufhalten und ein Streitgespräch über Pestverordnungen und Einreisebestimmungen beginnen. Während der sinistere Reisende scheinbar selbstvergessen seine Sichel schärft, sind sich die beiden Wächter uneins, wie der Erlass des Grafen, niemanden ins Land hineinzulassen, auszulegen ist. Während Utz es mit den Regeln nicht so genau nimmt und der düsteren Gestalt auf ihrem Pferdefuhrwerk trotz abgelaufenen Passierscheins Einlass gewähren will, beharrt Volckel rigoros auf der strikten Einhaltung der Bestimmungen. Schließlich macht er sich auf zum Schloss, um den Grafen höchstpersönlich zu fragen, wie zu verfahren sei. Aber der hohe Herr hilft nicht weiter, und die wackeren Soldaten sind auf sich allein gestellt.Heute wüssten wir sofort, wen wir vor uns haben, und dass sich jegliche Diskussion erübrigt: Die dunkle Gestalt im schwarzen Kapuzenumhang mit Sichel und Sanduhr ist der Tod, und man kann ihm nicht entrinnen. Er lässt nicht mit sich handeln oder durch ein Schachspiel Zeit abkaufen, und weder Grenzen noch Gesetze halten ihn auf. Aber die Grenzschützer Volckel und Utz sind als Zeitgenossen der großen Pest-Epidemie, in der überhaupt die ersten Totentanz-Darstellungen mit dem allegorischen Sensenmann geschaffen werden, noch völlig ahnungslos und unbedarft. Als gute Württemberger sind sie zwar bestrebt, das Beste zu tun, haben aber unterschiedliche Auffassungen, was die geeigneten Methoden und deren Durchsetzung betrifft. Und vor allem lieben sie es zu streiten. Dabei unterscheiden sie sich in keiner Weise von den Menschen heutzutage, die angesichts der gegenwärtigen Corona-Pandemie ebenso ratlos sind, sich aber gleichwohl empören und gegenseitig attackieren, was Gefahren und Schutzmaßnahmen angeht.
So ist Autor und Regisseur Alexander Fischer (Peskador) etwas gelungen, was man angesichts verhärteter Fronten kaum für möglich gehalten hätte: ein hoch aktueller Beitrag zur derzeitigen Corona-Debatte und ein engagiertes Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit in Krisenzeiten. Er bedient sich dabei geschickt eines doppelten Verfremdungseffekts, indem er seine Geschichte als schwarzhumorige Komödie erzählt und ins Gewand eines Historienfilms packt. Damit nimmt er dem Thema die Schwere und regt dazu an, miteinander zu lachen und schließlich auch ins Gespräch zu kommen.
Der Film ist ebenso unterhaltsam wie hintergründig – und für eine Hochschulproduktion sehr aufwendig und stimmig gestaltet. Peskador lässt das späte Mittelalter aufleben durch ein atmosphärisches Szenenbild und eine sorgfältige, mit liebevollen Details gespickte Ausstattung. Die gesamte Szenerie wird gekonnt ins rechte Licht gesetzt und von der Kamera eingefangen. So thront hoch über dem Geschehen das beleuchtete Schloss, während unten Nebelschwaden über den Waldwegen wabern und für eine unheimliche Stimmung sorgen. Die Geschichte ist präzise inszeniert, verfügt über ein gutes Timing und überraschende Wendungen. Vor allem aber zeichnet sie sich durch ihre pointierten, teils absurd-komischen Dialoge aus, die von den beiden Darstellern Benedikt Paulun und Gunther Nickles überzeugend in altertümlicher Mundart dargeboten werden. Diese Sprache wurde eigens für den Film in einer sehr glaubwürdig klingenden Mischung aus Mittelhochdeutsch und Schwäbisch erschaffen und wird dem heutigen (oder auch norddeutschen) Publikum durch hochdeutsche Untertitel verständlich gemacht.
So ist der Film zum 70. Geburtstag eine gebührende Würdigung des Bundeslandes Baden-Württemberg und seiner ebenso strebsamen wie streitlustigen Bewohner:innen. Gerne zeichnet die Jury den Film mit dem höchsten Prädikat BESONDERS WERTVOLL aus.