Lieber Thomas

Kinostart: 11.11.21
VÖ-Datum: 21.04.22
2020
Filmplakat: Lieber Thomas

FBW-Pressetext

Eine intensiv-eindrückliche Künstlerbiografie – mit großer dynamischer Wucht erzählt und gespielt.

Das Biopic erzählt die Geschichte des Schriftstellers und Künstlers Thomas Brasch, der in den 1970er Jahren den Zwängen der DDR durch den Aufbruch in den Westen entflieht, jedoch auch dort keine Erfüllung findet. Die ausdrucksstarke Bildsprache und das phänomenale Ensemble mit einem wie entfesselt aufspielenden Albrecht Schuch in der Titelrolle machen diese Künstlerbiografie zu einem filmischen Glanzstück.

Der Film in der Regie von Andreas Kleinert (Drehbuch: Thomas Wendrich) lässt die Zuschauer*innen tief eintauchen in das Erleben und Empfinden des Künstlers Thomas Brasch. Dabei vermischen sich reale Ereignisse mit Traumwelten und ganz im Sinne eines unzuverlässigen Erzählers kann man sich nie sicher sein, was Thomas Brasch wirklich erlebt hat und welche Momente überhöht sind. Erzählerisch spannt der Film einen langen Bogen, angefangen mit der Zeit in der DDR, die von politischen Restriktionen bestimmt ist, gegen welche sich Brasch auflehnt. Dem Film gelingt es, mit klaren Einstellungen in schwarz-weiß, die lebendig statt trist wirken, sowie mit einer exzellenten Ausstattung, das Leben in der DDR greifbar zu machen, ohne es zu dämonisieren. Immer betten Archivbilder die Handlung authentisch in die wahre Geschichte ein. Als Brasch mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Katarina, die Chance ergreifen kann, in den Westen zu fliehen, nutzt er sie. Doch der Film zeichnet Brasch klar auch in dieser Phase als einen ewig Getriebenen, der im Westen nicht die Erfüllung finden kann, die er sucht. Die Kamera von Johann Feindt ist dynamisch, immer ganz nah, vor allem an dem Hauptdarsteller Albrecht Schuch, der einmal mehr unter Beweis stellt, warum an ihm schauspielerisch momentan kein Vorbeikommen ist. Schuch interpretiert Brasch als einen rastlos Suchenden, in seinem weit aufgerissenen Blick mischt sich kindlich naive Unschuld mit einer fast schon verbissenen Sehnsucht nach etwas Neuem, etwas Anderem. So verleiht er Braschs Gedichtauszügen, die die Filmhandlung wie Kapitel einrahmen und in denen jede Zeile mit einem „aber…“ endet, ein Gefühl. Neben Schuch agiert ein großartiges Ensemble, allen voran Jella Haase als Katarina und Jörg Schüttauf als Braschs Vater, der als DDR-Funktionär seinen eigenen Sohn als Staatsfeind überführt und selbst gefangen ist in einem System, in dem er funktionieren muss. Mit LIEBER THOMAS ist Andreas Kleinert eine präzise Studie eines großen Künstlerlebens gelungen. Und darüber hinaus ein erhellender Einblick in die deutsch-deutsche Geschichte.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm; Biopic
Regie:Andreas Kleinert
Darsteller:Albrecht Schuch; Peter Kremer; Jella Haase; Jörg Schüttauf; Anja Schneider; Joel Basman; Ioana Iacob; Paula Hans
Drehbuch:Thomas Wendrich
Buchvorlage:Klaus Pohl
Kamera:Johann Feindt
Schnitt:Gisela Zick
Musik:Jens Quandt; Daniel Michael Kaiser
Jugend Filmjury:Lesen Sie auch, was die Jugend Filmjury zu diesem Film sagt...
Länge:150 Minuten
Kinostart:11.11.2021
VÖ-Datum:21.04.2022
Verleih:Wild Bunch Germany
Produktion: Zeitsprung Pictures, NDR; BR; WDR; ARTE G.E.I.E.;
FSK:16
Förderer:FFA; BKM; MBB; DFFF; Film- und Medienstiftung NRW

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Andreas Kleinerts Film über den Dramatiker, Lyriker und Filmemacher Thomas Brasch ist ein auf allen Ebenen gelungenes Beispiel eines Biopics, das sich mit Bildern, Atmosphären und Metaebenen seinem Protagonisten annähert und nicht über die bloße Aneinanderreihung von Lebensstationen. Als besonders gelungen empfand die Jury die Charakterisierung des Protagonisten in all seiner Ambivalenz, der Angst vor der eigenen Courage, den scheinbaren Widersprüchen und der Zerrissenheit. Zum Einstieg erzählt uns der Film mit einer wie ein Prolog erscheinenden Internatsszene, wie Thomas Brasch nicht richtig mitmacht, wie er sich nicht anpasst. Diese Einstellung begleitet ihn den gesamten Film über, immer wieder eckt er damit an, vor allem in der DDR, aber auch im Westen. Der Film macht es sich dabei keineswegs leicht, sondern erzählt Braschs stete Konfrontationen als komplexes Geflecht aus den direkten Auswirkungen des realsozialistischen Systems, seiner Beziehung zum Vater sowie seiner ausschweifenden Persönlichkeit. In keinem Moment moralisiert der Film oder wertet die Handlungen seiner Figuren – auch nicht die seines linientreuen Vaters. Das dergestalt zuhöchst differenziert gestaltete Bild nicht nur der Charaktere, sondern des Lebens in der DDR ganz allgemein, stellt eines der Höhepunkte dieses außergewöhnlichen Films dar, der sich mit diesen exakten Studien vom Gros der aktuellen filmischen Erzählperspektiven auf die DDR wohltuend absetzt.
Zu dieser komplexen Figurenzeichnung gesellt sich auf der inszenatorischen Ebene die fantastische Umsetzung der Fantasie- und Traumebenen Braschs, die mit der „realen“ Handlung so brillant verknüpft werden, dass sich auf äußerst organische Weise weitere Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus bindet Andreas Kleinert immer wieder auch Found Footage ein, das atmosphärisch eine Menge dazu beiträgt, uns in Handlungszeit und Milieu zurecht zu finden. Für das überzeugende Gefühl der Authentizität tragen hier außerdem die Ausstattung und die Wahl der Drehorte ganz besonders bei – vielleicht gerade, weil sie vergleichsweise dezent und reduziert ausfallen. Dadurch, dass es eher um die passende Stimmung als um eine detailgetreue faktische Korrektheit geht, fühlen sich die Bilder nicht an wie Kreationen aus einem Heimatmuseum, sondern strahlen wahres Leben aus. Auch Einfälle wie der, Braschs Wohnungen in Ost- und Westdeutschland fast gleich erscheinen zu lassen, tragen aufs Überzeugendste zur Tiefe des Erzählten bei. Dass dieses stimmige erzählerische und visuelle Konzept funktioniert, resultiert auch maßgeblich aus der Entscheidung, in Schwarzweiß zu drehen. Das dadurch in der herausragenden Bildgestaltung entstandene ambivalente Amalgam aus Abstraktion, Lebendigkeit, Tiefe und Historizität bildet mit dem Erzählten eine perfekte Einheit. Die von Bläsern bestimmte ungewöhnliche Musik und ein durchweg umwerfend aufspielendes Ensemble komplettieren den Film zu einem großartigen Erlebnis.