Filmplakat: Leib

FBW-Pressetext

Er lebt bei der Frau, weil er anpacken kann. Und weil sie die Arbeit auf dem Hof schon längst nicht mehr alleine schafft. Also hilft er ihr. Beim Scheren der Schafe, beim Holzhacken, bei allem, was so anfällt. Doch mehr als dulden kann sie ihn nicht. Weil er so anders ist. So roh, so bedrohlich, so stumm. Sie schämt sich für ihn, vor allem vor ihrem Sohn, der seinen Besuch angekündigt hat. Deswegen bringt sie den Mann in den Wald. Sagt, sie käme bald wieder, um ihn zu holen. Doch dieses Versprechen ist ihm nun endgültig zu wenig. Viel von seiner expressiven Kraft zieht der Kurzspielfilm in der Regie von Marijana Verhoef, aus der körperlich intensiven Darstellerleistung von Dustin Schanz. In der konstanten Stummheit, die die Figur auszeichnet, scheint die Frustration der Figur wie ein Vulkan zu schlummern und zu brodeln, und die drohende Gefahr eines unkontrollierten Gewaltausbruchs liegt wie ein Schwelbrand in der Luft. Doch neben dem Aspekt des geheimnisvoll Bedrohlichen verleihen die exzellente Kamera von Leyla Hoppe und die Inszenierung von Verhoef seiner Figur etwas Unschuldiges und Verletzliches. Wie ein verängstigtes Tier versteckt sich Schanz in einer Hecke am Rande des Waldes, um dann – dank einer ganz genau ausgeklügelten Lichtsetzung – mehr und mehr mit ihr zu verschmelzen. Wildheit und Zivilisation, Erniedrigung und Würde, Angst und Zuneigung. Allesamt thematische Gegensätze, die Verhoef in LEIB elegant und kraftvoll behandelt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Thriller; Kurzfilm
Regie:Marijana Verhoef
Darsteller:Dustin Schanz; Susanne Bredehöft
Drehbuch:Marijana Verhoef
Kamera:Leyla Hoppe
Schnitt:Marijana Verhoef; Marina Palma
Musik:Benedikt Schiefer
Webseite:dffb.de;
Länge:17 Minuten
Verleih:DFFB
Produktion: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH (DFFB)

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ein sonnenverbrannter, kräftiger Mann inmitten eines Feldes, eine Bäuerin, die ihn als Arbeitskraft nutzt und doch wie ein Tier hält. Es sind genauso einfache wie mächtige, tableauartige Bilder, die von LEIB in Erinnerung bleiben. Marijana Verhoefs Kurzfilm erzählt als märchenhafte Fabel vom Menschlich sein, vom Verstoßen werden und vom Verlangen nach Nähe.

In der Diskussion gibt die Jury zunächst ihr Erstaunen über den Wandel ihres Blicks auf den hünenhaften Landarbeiter zu verstehen. Verhoef spielt mit den Erwartungen der Rezipient*innen. Mit minimalen Modifikationen, kleinen Gesten, geringen Veränderungen in Sound und Beleuchtung vermag sie viel auszudrücken. Erscheint ihr der Landarbeiter zunächst als bedrohliches Monster, wird er mehr und mehr zur schutzbedürftigen Kreatur. Und mit dieser Wandlung gerät auch das Bild der Bäuerin ins Wanken.

Mit großer, ästhetischer Kraft setzt Marijana Verhoef in LEIB ein anspruchsvolles Thema sauber um. Obwohl sie überzeichnet, droht ihre Dramaturgie niemals ins Kitschige oder Grobe abzudriften. Im Gegenteil: Die Jury zeigt sich im Verlauf der Diskussion von Verhoefs genauso ruhigen wie relevanten Bildern und ihrer bemerkenswerten Farbsprache begeistert. Verhoefs Bildgestaltung ist stark und aussagekräftig, ihre Erzählung und Dramaturgie geduldig und klar.

Wie ein Tier wird der Landarbeiter dargestellt, doch es ist spürbar, da ist noch mehr. Weil er zupacken kann, ist er für die Bäuerin wichtig, seine Selbstständigkeit hingegen ist nicht erwünscht. Der Hüne ist ein sanfter Riese, trotz seiner Kraft schutzlos, verletzbar, wie ein kleines Kind. Und wie ein Kind sehnt er sich nach Nähe, nach Zugehörigkeit. Als er ganz allmählich versucht, seine Gefühle zu äußern, bringt er das genauso fragile wie fragwürdige Beziehungsgeflecht ins Wanken. Beide werden den Zuschauern ihr wahres Gesicht zu erkennen geben und die müssen eventuell ihre Weltanschauung überdenken.

LEIB ist eine Parabel auf alle Machtverhältnisse dieser Welt, in denen emotionale Stärke leider nur von geringem Wert ist. Gleichzeitig ist LEIB aber auch ein großartiger Film, mit dem es gelingt eigene Urteile und Vorurteile zu hinterfragen. Für so viel Finesse, Originalität und Inspiration erteilt die Jury gerne das Prädikat „besonders wertvoll“.