L'Artificio

Filmplakat: L'Artificio

FBW-Pressetext

Der Traum von der idealen Stadt, eine Symbiose aus Wohnen und Arbeiten – das war das Zeitalter der Planstädte. In den 1960er Jahren wurde die architektonische Utopie auch mit der Stadt Zingonia im italienischen Bergamo verfolgt. Heute ist der Lack ab, Bagger fressen sich durch die Plattenbauten und der einstige Lebensmittelpunkt driftet in eine Geisterstadt ab. Zurück bleiben Drogenhandel, Prostitution und versprengte Alteingesessene, die in einer Umsiedlung weder Sinn noch Perspektive erkennen. L’ARTIFICIO zeigt in kleinen, authentischen Episoden wo Menschen um ihre Heimat kämpfen und doch auch kapitulieren, immer wieder angetrieben durch die Erinnerung an das einstige Versprechen von Idylle und Traumstadt. Der Film vermittelt eindrucksvoll und mit großem, sensiblen Gespür die Hoffnung, die für die Bewohner zuletzt stirbt und schließlich dennoch im undurchdringlichen Nebel der Vergessenheit versinkt. Legt sich einst der Baustaub der Abrissbagger, wird auch Zingonia verschwunden sein – ein Film, der Schicksalen ein Gewicht verleiht.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Francesca Bertin
Drehbuch:Francesca Bertin
Kamera:Max Sänger
Schnitt:Francesca Bertin; Max Sänger
Länge:22 Minuten
Verleih:AG Kurzfilm
Produktion: Francesca Bertin
Förderer:FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

In einer Mischung aus unterschiedlichem Filmmaterial, dokumentarisch und inszeniert, historisch und aktuell, widmet sich der vorliegende Film der damaligen Entstehung und dem gegenwärtig geplanten Abriss der einst zukunftsweisenden Satellitenstadt Zingonia nahe Bergamo. Archivaufnahmen erinnern an die mit solchen modernen Biotopen und avancierten Architekturen einst verbundenen Hoffnungen. Dazu erzählen Anwohnerinnen und Anwohner aus ihrer Kindheit und wie sie die Entwicklung des Neubaugebietes zu einem sozialen Brennpunkt erlebt haben.
Die Gegenwart vermittelt der Film in gestochen scharfen Schwarzweißbildern, oft statisch und atmosphärisch. Lange bleibt unklar, wo genau wir uns befinden, denn viele der Einwohner hier scheinen arabischer Herkunft zu sein. Migrantische Jugendliche posieren, während im Hintergrund die Gebäude im Verfall begriffen sind. In der Tradition des italienischen Neorealismo der Nachkriegszeit entfaltet Bertin in nächtlichen Eindrücken eine eigenwillige Poesie des Melancholischen, des latenten Abschieds von einem Ort der Hoffnung.
Subjektive Stimmen ergänzen die poetischen Impressionen, eine Frau beklagt Schlaflosigkeit, die Enttäuschung der Bewohnerinnen und Bewohner wird in Dialogen deutlich. Der Film vermittelt mit audiovisuellen Mitteln die Melancholie eines Lebens angesichts einer vergehenden Welt. Dabei konzentriert er sich auf die Konstruktionsentwürfe von damals und die Realität von heute. In seinem Fokus auf die mitunter skurrilen Bewohner vermittelt er vor allem Fragmente, kleine Geschichten, die die Imagination anregen.
Die Jury hat diesen Film intensiv diskutiert. Es gab kritische Einwände bezüglich der Laufzeit des Films. Zudem wurde kritisch angemerkt, dass man nur den Beginn und das Ende des Projekts vorgestellt bekommt, nicht den Prozess dazwischen. Auf diese Weise fiel es der Jury schwerer, den historischen Kontext zu erfassen. Durchweg gelobt wurde der künstlerische Duktus, der den Film weniger als Dokumentar-, denn als Essayfilm erscheinen lässt. Die Jury würdigt den Film in seiner inspirativen, essayistischen Kraft und zeichnet ihn daher in mehrheitlichem Votum gerne mit dem höchsten Prädikat BESONDERS WERTVOLL aus.