Filmplakat: Kaugummi

FBW-Pressetext

Zusammen abhängen, was trinken, quatschen bis spät in die Nacht, in den Sommertag hineinleben: Die 16-jährige Tati will genau das. Denn ihre Freundinnen dürfen das ja schließlich auch. Doch bei Tati zuhause ist alles ein bisschen anders. Ihre Mutter will ständig wissen, wo Tati hingeht, will nicht, dass sie so lange ausgeht, erlaubt nicht, dass sie woanders schläft. Und weil die Mutter selbst nicht so gut deutsch spricht, muss Tati oft bei Amtssachen helfen oder für sie übersetzen. Doch Tati will das nicht mehr. Sie will frei sein. Und so sucht sie eines Abends das Weite und findet Zuflucht bei ihrer besten Freundin. In ihrem Abschlussfilm an der Hochschule Rhein-Main erzählt die Regisseurin Dascha Petuchow die Geschichte einer jungen Frau, die sich zwischen der Enge des eigenen, von einer anderen Kultur geprägten Zuhauses und der scheinbar endlos freien Welt „da draußen“ ihren eigenen Weg suchen muss. Nirgendwo scheint sie so richtig dazuzugehören – ein Konflikt, den die Hauptdarstellerin Amira Demirkiran mit authentischer Natürlichkeit verkörpert. Dazu gelingt Petuchow und ihrem Team, allen voran dem Kameramann Laurenz Strasser, die Monotonie eines Sommers in der Kleinstadt und das sich treibenlassen der Jugendlichen stimmungsvoll zu inszenieren. Der Film lässt sich Zeit, zu erzählen – und macht damit ein Generations-Lebensgefühl inmitten einer scheinbar „endlosen“ Zeit spürbar. Die reduzierten Dialoge sind ebenso auf den Punkt wie die genaue Bildsprache. Die angespannte Situation mit der Mutter (sympathisch und überzeugend gespielt von Elena Petuchow) vermittelt sich in nur wenigen prägnanten Szenen. Ein genau beobachteter, empathisch erzählter und klug inszenierter Kurzfilm mit einer ganz eigenen filmischen Handschrift.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Coming-of-Age; Kurzfilm
Regie:Dascha Petuchow
Darsteller:Amira Demirkiran; Elena Petuchow; Celine Buchholz; Julia Knöß; Mia Laufenberg
Drehbuch:Dascha Petuchow
Kamera:Laurenz Strasser
Schnitt:Julian Gerchow
Webseite:plotlessfilm.de;
Länge:29 Minuten
Produktion: Dascha Petuchow
Förderer:HessenFilm und Medien

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Regisseurin und Autorin Dascha Petuchow gelingt mit ihrem mittellangen Coming-of-Age-Film KAUGUMMI ein ganz wunderbares Porträt eines Teenagers, das ganz ohne große Gesten und dramatische Momente auskommt und trotzdem sehr präzise erzählt. Es geht um die 16-jährige Tati, die mit ihrer Mutter lebt, der sie immer wieder mal bei Behördensachen helfen muss, da ihre Mutter kaum deutsch spricht. Es sind Sommerferien in der Kleinstadt, und die Kulturpflege der Teenager-Langeweile hat Hochkonjunktur: rumsitzen, reden, Bier trinken. Der größte Nervenkitzel besteht noch darin, im lokalen Supermarkt Süßigkeiten zu klauen, aber selbst dafür fühlt sich Tati mit ihrer besten Freundin eigentlich schon zu cool. Nach einem Streit mit der Mutter legt Tati einen großen Abgang hin und flieht zu ihrer Freundin. Aber was soll sie in dem Ort schon groß machen?
Der Film erzählt mit sehr reduzierten Mitteln und hält lange Momente von Wortlosigkeit und Statik aus. Diese Konsequenz entwickelt einen großartigen Sog und eine sehr natürliche Atmosphäre, in der vor allem die bildliche Ebene und die Feinheiten in den Figuren zählen. Denn obwohl oberflächlich gesehen im Grunde nichts passiert, schälen sich doch in sehr authentischer Weise drei Konflikte heraus, die sich am Ende in einer Frühstücksszene ganz unspektakulär und doch sehr rührend auflösen. Ganz nebenbei vermittelt der Film durch seine Erzählperspektive zudem, mit welch anderen Voraussetzungen Tati, als Tochter einer Migrantin, im Vergleich zu ihrer im Ort verwurzelten Freundin aufwächst. Ihre Mutter ist deutlich strenger und erlaubt weniger, weil ihre sprachlichen Defizite und das Sich-Fremdfühlen sie verunsichert und weil auch die Konsequenzen, wenn etwas passiert, sehr viel ernster ausfallen können. Somit stellt dieser warme Augenblick zwischen Tati, Mutter und Freundin am Frühstückstisch, in dem sie alle sich für einen Wimpernschlag in ihren tiefsten Persönlichkeiten erkennen, einen in vielerlei Hinsicht starken und auch optimistischen Moment in diesem wunderbar unaufgeregten und präzisen Film dar.