JUD SÜSS - Film ohne Gewissen

Kinostart: 23.09.10
VÖ-Datum: 31.03.11
2010
Filmplakat: JUD SÜSS - Film ohne Gewissen

FBW-Pressetext

Der geachtete Bühnenschauspieler Ferdinand Marian reagiert völlig überrascht, als Joseph Goebbels ihm die „Rolle seines Lebens“ anbietet: Er soll den jüdischen Kaufmann in dem antisemitischen Propagandafilm Jud Süss von Veit Harlan übernehmen. Doch Marian zögert: Soll er sich zur Marionette der Nationalsozialisten machen lassen, ohne das Regime kritisch zu hinterfragen? Und welche Auswirkungen hat dies auf seine Karriere, seine Ehe und seine Beziehungen zu Kollegen und Freunden, ob jüdisch oder nicht? All diese Fragen stellt der kontroverse Film von Oskar Roehler in den Raum. Und anstatt sie zu beantworten, führt er seinen Helden Marian, überzeugend dargestellt von Tobias Moretti, durch die Erzählung, hin- und hergerissen zwischen Ruhm und Gewissen. Neben vielen hochkarätigen Schauspielern brilliert besonders Moritz Bleibtreu mit einer fast schon parodistischen und dennoch authentischen Darstellung des fanatischen Goebbels. Die notwendige Distanz zum brisanten Thema wird durch die hohe Künstlichkeit stets aufrecht erhalten. Der Zuschauer kann reflektieren und ist niemals gezwungen, sich zu identifizieren. Der Film will und kann nicht allen gefallen, er polarisiert. Ohne erhobenen Zeigefinger und mit einem Mut zum Risiko, der hohe Beachtung verdient.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Oskar Roehler
Darsteller:Moritz Bleibtreu; Martina Gedeck; Tobias Moretti
Drehbuch:Klaus Richter
Buchvorlage:Friedrich Knilli
Kamera:Carl-Friedrich Koschnick
Schnitt:Bettina Böhler
Musik:Martin Todsharow
Webseite:jud-suess-film.de;
Länge:120 Minuten
Kinostart:23.09.2010
VÖ-Datum:31.03.2011
Verleih:Concorde
Produktion: Clasart Film + TV Produktions GmbH, Novotny & Novotny Filmproduktion; Tele München Fernseh Produktionsgesellschaft;
FSK:12
Bildungseinsatz:;
Förderer:FFF Bayern; Filmstiftung NRW; DFFF
DVD EAN-Nummer:4009750205044
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Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Diesen Film von Oskar Roehler hat die FBW-Jury intensiv und lange diskutiert. Zahlreiche Gesichtpunkte wurden in dieser interessanten Diskussion angeführt und im Hinblick auf den künstlerischen Wert sowie die kommunikative Wirkung betrachtet. Es wurden plausible Argumente für und gegen den Film vorgebracht. Diese Kontroverse war einerseits sachlich, aber andererseits blieben die Gemüter erhitzt. Der Stoff ist brisant und dessen Inszenierung provokant. Die Figuren und symbolkräftigen Bilder sind ambivalent und ermöglichen die unterschiedlichsten Deutungen.

Umstritten war unter anderem die Frage, ob parodistische sowie kolportageartige Stilelemente dem ernsten Thema gerecht werden. Sind Filme mit ausgeprägtem Unterhaltungscharakter angemessen, wenn es auch um Genozid geht? Was sollen diese drastischen Darstellungen von Sex und Krieg (wenn z. B. eine perverse Offiziersgattin mit Marian die Vergewaltigungsszene aus JUD SÜSS nachahmt und sich dem verbotenen Sex mit einem fiktiven Juden hingibt, während über dem brennenden Berlin die Bomben fallen)? Wieso setzt Roehler auf gezielt übertriebene Spielweisen der Darsteller?

Moritz Bleibtreu versprüht in der Rolle des Joseph Goebbels luziden Charme und verbreitet mit Scherzen und aufmunternden Blicken und Gesten gute Laune. Diese mephistophelische Figur ist scheinbar der Protagonist im Film, obwohl es ja eigentlich um Ferdinand Marian und seine Hauptrolle geht. Der für Jud Süss verantwortliche Regisseur Veit Harlan rutscht quasi zur Nebenfigur herab. Es gehört durchaus zur künstlerischen Freiheit, dass historische Fakten vernachlässigt werden und diverses Material für eine fiktionale Szenerie eigenwillig angeordnet wird. Allerdings ist es dann naheliegend, dass gerade angesichts der deutschen Geschichte "politisch inkorrekte" Inhalte scharf kritisiert werden. Roehler geht diese Risiken mutwillig ein. Er experimentiert, fabuliert und provoziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Versuche filmkünstlerisch scheitern, ist groß. Unter den Jurymitgliedern fiel die Bewertung sehr heterogen aus. Es gab von keinem Gutachter uneingeschränkte Zustimmung. Die Einwände waren jeweils mit plausiblen Argumenten belegt. Ob verschiedene Gestaltungsmittel (wie die entsättigte Farbe, der UFA-Ton, die nachgestellten Szenen aus dem Originalfilm, die mit authentischen Originalaufnahmen kombiniert sind usw.) angemessen sind oder nicht, darüber gab es geteilte Meinungen. Dennoch setzte sich nach längerer Diskussion bei der Mehrheit die Auffassung durch, dass trotz der verschiedenen Punkte, an denen der Film angreifbar wird bzw. wegen der sonderbaren „Schwachstellen“, die zur Kritik und kontroversen Diskussion herausfordern, ein außergewöhnliches filmkünstlerisches Resultat zu verzeichnen ist. Die Transgression von Verhaltensmustern, die Durchleuchtung von Machtstrukturen, die Verdeutlichung des Dilemmas, in dem die Individuen stecken und andere neuralgische Aspekte bilden eine kritische Masse mit spezifischer filmästhetischer Qualität.

Filme, die polarisieren und kontroverse Diskussionen auslösen, haben ihren Wert. Selbst wenn handwerklich nicht alles gelungen ist, ausschlaggebend ist letztlich die kommunikative Relevanz. Angesichts einer komplexen Semantik, die dem Publikum Sichtweisen vorstellt und offene Fragen hinterlässt, gelangte die Mehrheit der FBW-Gutachter zu der Auffassung, dass dieser filmische Beitrag zum Diskurs über individuelles Verhalten im Kontext von Machtstrukturen des Nationalsozialismus einen besonderen Wert bietet.