Inflorescence

Filmplakat: Inflorescence

FBW-Pressetext

Die Blütenblätter der Rose sind üppig, sie hat einen schönen Sommer durchlebt. Doch jetzt kommt der Herbst und damit auch der Wind. Immer stärker weht er, immer mehr muss sie sich biegen, um keine Blätter zu verlieren. Doch sie weiß, was zu tun ist. Der Filmemacher Nicolaas Schmidt hält in seinem Kurzexperimentalfilm INFLORESCENCE den Blick stetig auf den Platz geheftet, wo die Rose steht. Doch während die Kamera starr bleibt, entzieht sich die Rose immer schneller und energischer dem Bildausschnitt. Sie wankt, sie schleudert die Blütenköpfe nach vorne, nach hinten, zur Seite. Geschickt erweckt Schmidt dabei den Schein eines ungeschnittenen Bildes, doch der Loop und die exakte Kompositon der Montage sind dennoch zu erkennen. Sowohl visuell als auch akustisch. Denn auf der Tonebene ist über acht Minuten nur ein Lied zu hören: „Don’t dream it’s over“ von Crowded House. Im Grunde sind es nur die Refrain-Zeilen, die mal im normalen, mal im bis auf einen Fast-Stillstand heruntergebrochenen Tempo abgespielt werden. Dieser retardierende Moment sorgt für Irritationen. Doch durch die Kombination von Bild und Ton entsteht ein Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Und am Ende ist man froh, wenn die Rose der Aufforderung des Liedes („They come, they come to build a wall between us. Don’t let them win“) erfolgreich nachkommen konnte. Mit seinem faszinierenden und synästhetischen Zusammenspiel von Bild und Ton ist INFLORESCENCE ein einzigartiges filmisches Experiment.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Experimentalfilm; Kurzfilm
Regie:Nicolaas Schmidt
Drehbuch:Nicolaas Schmidt
Kamera:Nicolaas Schmidt
Schnitt:Nicolaas Schmidt
Musik:Crowded House
Länge:8 Minuten
Produktion: Nicolaas Schmidt
Förderer:BKM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ein Rosenzweig, der sich heftig im Wind bewegt. Zuckende Blitze am gewittrigen, rosa-orange gefärbten Himmel. Im Hintergrund eine wehende Deutschlandflagge an einem Fahnenmast. Eigentlich zeigt INFLORESCENCE nicht viel mehr als eine ganz normale Gartenszene, eine romantische Komposition an einem gewittrigen Sommertag. Eigentlich, wenn sich das Ganze nicht zum Loop des Chorus eines 80er Jahre Hits abspielt: „Hey now, hey now. Don't dream it's over. Hey now, hey now. When the world comes in...“

Genau acht Minuten lang zeitlich soft getrimmte, hartnäckige Wiederholungen. Fast möchte man glauben, dass Regisseur Nicolaas Schmidt der Schalk im Nacken gesessen hat, als er INFLORESCENCE konzipierte. Sicher, die Redundanz hat Witz, aber bei längerem Nachdenken lässt sich bemerken, dass Schmidts Kurzfilm durchaus auch Tiefe besitzt.

Ein langes Schweigen hat die Diskussionsphase zunächst eingeleitet. Zu unterschiedlich waren die Eindrücke, zu groß die Bild-Ton-Schere, auch die Absurdität des Visuellen hatte einen erkennbaren Effekt auf die Wahrnehmung. Kein Zweifel, INFLORESCENCE ist ein filmisches Experiment, das ein wenig Wirkungszeit braucht. Dann aber hat die Jury rasch unterschiedliche, erste Eindrücke sammeln können: Rosen vor gewittrigen Himmel, dann der Titel des Songs „Don‘t dream it‘s over“, keine einzelne Blüte ist zu sehen, sondern ein Blütenstand mehrerer aufgeblühter Rosen. Liebe soll hier tatsächlich eine Rolle spielen. Aber ist INFLORESCENCE ein bewegtes Stimmungsbild, eine Allegorie auf einen Trennungsschmerz oder lediglich die Dekonstruktion eines Musikvideos? Eine eindeutige Antwort fällt schwer.

Durch Schnitte und die tonale Verfremdung scheinen die vom Sturm geschüttelten Rosen vor dem Auge des Betrachters nachgerade zu tanzen. Immer wenn die Jury sich vorstellen konnte, dass diese Tanzsequenz durch eine neue Sequenz oder andere Einstellung abgelöst wird, beginnt die Tanzeinlage von neuem. In dieser Beziehung ist INFLORESCENCE gnadenlos und zerstört Hoffnungen auf Veränderung. Und dennoch ist INFLORESCENCE motivierend. So wie die Rosen dem Sturm standhalten, so wie sie immer wieder von Neuem anfangen, vor dem Betrachter zu tanzen, so verweist auch die letzte Textzeile des Liedes, die schließlich auch als Textinsert vor den Rosen erscheint, auf Widerstand: “They come to build a wall between us - don‘t let them win.“

Nicolaas Schmidts Filmexperiment steht eindeutig nicht für eindeutige Antworten. Doch INFLORESCENCE erscheint der Jury als romantisches Experiment, dessen Reiz auch in seiner malerischen Komposition, vor allem aber in der Vielfalt der möglichen Interpretationen und der Originalität liegt. Nach ausgiebiger Beratung vergibt sie dem Film das höchste Prädikat.