Im Stillen erwachen

Filmplakat: Im Stillen erwachen

FBW-Pressetext

Wo einst Krieg den Alltag bestimmte, finden heute Geflüchtete aus der Ukraine eine zweite Heimat. In einem Dokumentarfilm wie ein Sommermärchen blicken Mila Zhluktenko und Daniel Asadi Faezi hinter die Zäune einer ehemaligen Wehrmachtskaserne, die zwischenzeitlich auch von den US-Streitkräften genutzt wurde. Nur steinerne Reichsadler über den Hauseingängen zeugen noch davon, welchen Zweck die Baracken einst erfüllten. Heute allerdings sind sie Zufluchtsort für Familien, die ihrer Heimat beraubt wurden. Dabei bleibt der Krieg in Europa stets ein Trauma, das an diesem Ort nur fern am Horizont zu grollen scheint. Hier können Kinder wieder Kind sein, Kirschen essen, Fahrrad fahren und die Umgebung erkunden. Unter der poetisch fotografierten Sonne wirkt der Sommertag nahezu unendlich. Im strengen Kontrast dazu stehen die Bombardierungen in der Heimat, die mit einem Telefonat mit einem Vater bedrückend in nächste Nähe zu geraten scheinen. Doch hier an diesem Ort können die Familien wieder friedlich einschlafen und dem nächsten Sommertag entgegenträumen. Ein beeindruckend stimmungsvoller Kurzdokumentarfilm, der Krieg und Schrecken bildstark Idylle und Geborgenheit entgegensetzt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Mila Zhluktenko; Daniel Asadi Faezi
Drehbuch:Mila Zhluktenko; Daniel Asadi Faezi
Buchvorlage:Mila Zhluktenko; Daniel Asadi Faezi
Kamera:Tobias Blickle
Schnitt:Mila Zhluktenko; Daniel Asadi Faezi
Musik:Anton Baibakov; Dewey Martino
Länge:17 Minuten
Produktion: Daniel Asadi Faezi, Lotas Film; Babylon'13;
Förderer:FFA; HFF München

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Bereits mit der ersten Einstellung wird etabliert, worauf es diesem Dokumentarfilm ästhetisch und inhaltlich ankommt. Die Kamera blickt aus einem Innenraum mehrere Stockwerke hinab auf eine betonierte Straße, wo sich spärliche Spielgelegenheiten für Kinder befinden, während im Off mehrfach der Name Wadim gerufen wird. Die Kamera verharrt lange in dieser Einstellung, bis ein Junge von etwa dreizehn Jahren ins Bild kommt und den anderen antwortet.

Wadim ist einer der Protagonisten des Films, zusammen mit vielen anderen Kindern ist er – so stellt sich schnell heraus – auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in Schweinfurt gelandet. Wie wir wissen, sind es Kinder ohne Väter und so erleben wir auch Wadim, wie er sein Fahrrad selber repariert. An seinen Knien sehen wir mehrere Verletzungen, die von Stürzen mit dem Rad herrühren könnten.

Der kurzen Laufzeit des Dokumentarfilms angemessen, wird ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben der Kinder gezeigt. Wir folgen ihnen an einem Sommertag, wie sie spielen, Rad fahren, Kirschen naschen oder sich aus Blumen Haarkränze flechten. Die Kamera nimmt sich ihrer behutsam an, beobachtet, wie sie sich diesen tristen Ort aneignen, um ein bisschen unbeschwerten Sommer erleben zu können. Unterbrochen wird diese Scheinidylle durch den Smartphone-Kontakt mit dem Vater in der Ukraine, der sich bei Anbruch der Dunkelheit nicht mehr draußen aufhalten darf.

Auf einer weiteren Ebene erzählt der Film die Beziehung der Kinder zu diesem konkreten Ort, der sie beherbergt. Denn die Wohnhäuser gehören zu den „Ledward Barracks“. Der Name rührt von der Nutzung des Geländes durch die US-Armee, die von 1945 bis 2014 hier stationiert war. Ursprünglich wurden die Häuser jedoch im Nationalsozialismus für die Wehrmacht gebaut. Diese ambivalente Bedeutung des Ortes im Kontext eines neuerlichen Krieges in Europa wird oft fast beiläufig von der Kamera eingefangen oder in Gespräche der Kinder integriert, wenn sie etwa ein Wandgemälde mit kriegerischen Darstellungen (der US-Armee) zu verstehen versuchen.

Daniel Asadi Faezi, Mila Zhluktenko und ihrem Team ist ein beeindruckender Dokumentarfilm über die Gegenwart des Krieges gelungen, die durch die Wahl der Protagonist:innen sowie die ebenso respektvolle wie behutsame Darstellungsweise auch für ältere Kinder und Jugendliche sehr gut geeignet ist. Diese Leistung hat das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL verdient.