I See Them Bloom

Filmplakat: I See Them Bloom

FBW-Pressetext

Eine Fahrt durch die Nacht. Unzählige Kilometer weg von Zuhause. Einem Zuhause, in dem die Schwestern Eugina und Nastya nicht mehr bleiben können. Denn in der Ukraine herrscht Krieg. Und München, der Stadt, in der die Beiden nun ankommen, bedeutet Sicherheit. Während Nastya sich schnell mit den Studenten und Studentinnen vor Ort anfreundet und darauf drängt, dass das Leben nun mal weitergehen muss, kann Eugina das Erlebte nicht so schnell abstreifen. Denn wie kann man nach vorne blicken, wenn das, was man zurücklassen musste, einen im Innern nicht loslässt? Mykyta Gibalenko, der an der HFF München Regie studiert, benötigt für seinen 27-minütigen Spielfilm (Drehbuch co-verfasst mit Laura Lybaschenko und Sharyhan Osman) keine großen Dialoge, um die ambivalenten Beziehungen der Figuren untereinander klar herauszuarbeiten. Die klug kadrierten Bilder von Kameramann Mirko Hans erzählen eine klare Bildsprache, die die ausdrucksstarke Mimik der Hauptdarstellerinnen Maria Shtofa und Olexandra Barstok aufgreift und so mit großer Ruhe vermittelt, was sich eben nicht in Worte packen lässt. Das starke Band der Schwestern, das erlebte Grauen von Krieg und Vertreibung aus dem sichergeglaubten Zuhause, die Hilflosigkeit ob der neuen Situation, die Sehnsucht der einen Schwester nach dem Dazugehören und das Sträuben der anderen Schwester gegen genau das. Die Szenen wirken nie auserzählt, eher erscheint die Geschichte wie ein Mosaik, das die Geheimnisse des großen Ganzen für sich behält. Eine offene Erzählweise, die umso mehr für den Film gefangen nimmt und große Lust auf weitere Arbeiten des Regisseurs macht.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Mykyta Gibalenko
Darsteller:Maria Shtofa; Olexandra Barstok; Julius Kestner; Vanessa Eckert; Jurij Diez; Svitlana Gibalenko, Polina Gibalenko,
Drehbuch:Mykyta Gibalenko; Laura Lybaschenko; Sharyhan Osman
Kamera:Mirko Hans
Schnitt:Mykyla Gibalenko
Musik:Giovanni Berg; Mykyta Moiseiv
Webseite:mykytagibalenko.com;
Länge:26 Minuten
Produktion: Hochschule für Fernsehen und Film München, Hans Joachim Köglmeier;
Förderer:HFF München

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Nach ihrer Flucht aus der Ukraine kommen die Schwestern Eugenia und Nastya im nächtlichen München an. Dort werden die Beiden schon von Studenten einer WG erwartet, die ihnen ein Zimmer hergerichtet haben. In München erscheint die Welt noch rund und schön, die Menschen um sie herum ungetrübt. Das Gefühl der Freiheit aber unbeschwert genießen ist sichtlich schwer.

Wer hätte gedacht, dass ein Halbsatz aus Louis Armstrongs „What a wonderful world“ irgendwann einmal ein Publikum mit Schuldgefühlen konfrontieren könnte. I SEE THEM BLOOM macht genau das… und noch mehr. Regisseur Mykyta Gibalenko vermittelt in seinem Kurzfilm Innenansicht dessen, was Ukrainer*innen verspüren, wenn sie ihr kriegserschüttertes Heimatland, für eine gesichertere Zukunft, hinter sich lassen. Mit der Flucht fallen allerdings nicht auch gleich alle Erinnerungen.

Während sich Nastya schnell den neuen Freiheiten ihrer Umgebung anpasst, fällt es der älteren Schwester Eugenia sichtlich schwer, sich für einen unbekümmerteren Alltag zu öffnen. Gewöhnliche Gegenstände, einfache Dinge, alltägliche Handlungen überall scheinen ihre Erinnerungen an die Ukraine gespiegelt.

Schon mit der ersten Szene fällt die unglaublich talentierte Kamera von Mirko Hans auf. Beobachtend, fast lauernd, immer dicht an den Protagonistinnen gelingt es ihr in I SEE THEM BLOOM kleinste Regungen einzufangen. Wie für ein Mosaik fügt sie Bild an Bild, bis ein großes Ganzes entstanden ist. Kleine visuelle Versatzstücke, die dem Publikum die Tragweite einer solchen Flucht allmählich erklären. Szenen, die jeder kennt, die hier aber, in einem neuen Kontext gekleidet, ungeahnte Größe entfalten können. In unzähligen, kleinen Bildern zieht der Film Parallelen zwischen einem Leben in der Ukraine und München. Das andere Land, die andere Stadt, die anderen Menschen sind freundlich, gleichzeitig aber scheinen sie sich vor die Erinnerungen drängen, das hinter-sich-Gelassene vergessen machen zu wollen.

Ein Glücksfall sind auch die beiden Protagonistinnen. Oleksandra Barstok, als Eugenia Maria Shtofa, als Nastya agieren vollkommen überzeugend. Äußerst feinfühlig, ohne an Authentizität und Natürlichkeit zu verlieren, geben sie 27 Filmminuten lang tiefe Einblicke in die Psyche der zwei Neuankömmlinge aus der Ukraine, mit ihren so unterschiedlichen Einstellungen zum neuen Wohnort. Für Nastya erscheint München, nach den Erlebnissen in der Ukraine und ihrer Flucht, verheißungsvoll und anziehend. Für Eugenia dagegen ist das neue Zuhause eine zu wundervolle Welt, sie zieht es letztlich zu derben Kontrasten, zu Betonflächen und abgeklebten Fensterscheiben einer neonbeleuchteten Baustelle, weil sie fürchtet, sich an das glitzernde Lichtermeer der Stadt verlieren zu können.

Sehr erfreut zeigte sich die Jury über die Tischszene in der WG, die ganz typische „Tischkonversationen“, die man aus unzähligen anderen Filmen kennt, gekonnt persifliert und ironisch spiegelt, aufgrund der ukrainischen Perspektive, bzw. Distanz.

Gibalenko demonstriert mit I SEE THEM BLOOM überzeugend, wie Vergangenheit die Gegenwart überlagern kann. Nach eingehender Diskussion freut sich die Jury, seinem Kurzfilm das Prädikat BESONDERS WERTVOLL aussprechen zu können.