Filmplakat: Halmaspiel

FBW-Pressetext

Aufgewachsen in der NS-Zeit, Leben mit der Familie und Arbeiten als Modedesignerin in der DDR, der Neuanfang nach dem Mauerfall und dann das Ende. Und immer wieder, egal wann, wo und wie, das Halmaspiel. Denn die Mutter der Filmemacherin Betina Kuntzsch liebte dieses Spiel. Und sie war gut darin – wie in so vielem. Mit HALMASPIEL setzt Kuntzsch sich intensiv mit der Biografie ihrer Mutter auseinander. Dazu animiert sie, in liebevoller und detailgenauer Arbeit, verschiedene Stoffe, Zeichnungen, Notizen und Materialien, die nicht nur eine inhaltliche Verbindung zu ihrer Mutter darstellen, sondern auch tatsächlich aus dem Familienfundus stammen. Durch den pointierten und mit gutem Rhythmus versehenen Kommentar erzählt Kuntzsch eine komplette Biografie, die auch viel über die deutsch-deutsche Geschichte erzählt. Wie ein roter Faden fungiert dabei das Halmaspiel. Kunstvoll setzt Kuntzsch es immer wieder in einen neuen Kontext und erzählt so eine Geschichte, die fasziniert, informiert und von Anfang bis Ende auch berührt. Ein sehr persönlicher und doch so universeller und hochinformativer Film über ein Leben in Deutschland.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Betina Kuntzsch
Drehbuch:Betina Kuntzsch
Kamera:Betina Kuntzsch
Schnitt:Betina Kuntzsch
Musik:Joachim Gies
Länge:14 Minuten
Produktion: Element Video Betina Kuntzsch

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Wohl fast jeder, der sich schon einmal durch Unterlagen und Erinnerungsstücke seiner Eltern wühlen musste, hat sich gefragt, was mit all den Stücken anzufangen sei, die sich im Laufe eines Lebens angesammelt haben. Betina Kuntzsch verwendet Dokumente, statisches Footage, Papier-, Stoff- und Filmschnipseln und vieles mehr für eine filmische Collage über das Leben ihrer verstorbenen Mutter.
Das Halmaspiel dient der Regisseurin dabei als thematischer Leitfaden durch den Lebenslauf der Mutter. Eine Richtschnur, die genauso kunstvoll, wie gekonnt verhindert, dass ihre Dokumentation ausufert und sich mit der Menge der Fundstücke verliert.
Gleich zu Beginn erfährt der Zuschauer: das Halmaspiel hat die Mutter immer begleitet. Durch die Kindheit während der NS-Zeit, in der DDR und auch nach dem Fall der Mauer ist es ein wiederkehrendes Bindeglied und ein Kommunikationsmittel ihres Lebens gewesen. So ist es naheliegend, dass Regisseurin Betina Kuntzsch das Spiel zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Dokumentation gemacht hat. Halma ist in Betina Kuntzschs Film aber auch gleichgesetzt mit dem Schlange stehen und sich Durchwurschteln, dem Zeitvertreib im Gefängnis und irgendwie auch das Netzwerken der Gegenwart. Und, so heißt es im Film, Betina Kuntzschs Mutter „war eine gute Halmaspielerin.“
Ungestrichenes, grobes DDR-Papier, Schnittmuster oder pastellige Modezeichnungen: Auf die Jury wirkten die ausgesuchten Fundstücke aus den Hinterlassenschaften wie Inbegriffe ihrer Zeit. Linear bewegt sich der Film aus der NS-Zeit bis in die Gegenwart. Erzählt von Ernteeinsatz und plötzlich verschwundenen, jüdischen Mitschülern, Republikflucht und Gefängnis, einer Karriere als Modezeichnerin, der Grenzöffnung und dem Leben danach. Das Hexagramm des Halmaspiels lässt Kuntzsch immer wieder auftauchen, mal als Davidstern, mal als selbstgefertigtes Gefängnisspiel, mal als neuronale Netzstruktur.
In der Diskussion zeigte sich die Jury erstaunt darüber, dass Kuntzschs Film in einer Viertelstunde ein ganzes Leben zu erzählen vermag, ohne gerafft zu wirken. HALMASPIEL wirkt assoziativ und weiterführend. Die Fragmente aus der Hinterlassenschaft der Mutter zeigen nur Facetten aus deren Leben, stehen aber für vieles mehr. HALMASPIEL steht für das Dasein in drei Regierungssystemen, drei Regimen, drei deutschen Staatsformen, in denen die Mutter gelebt hat.
Jeder Frame des Films, so stellt die Jury fest, wirkt wie eine Postkarte. Dass Betina Kuntzsch aus einem Künstler- und Architektenhaushalt kommt, das merkt man dem Film an. Die Jury bemerkt aber auch Leerstellen in der Biografie, die die Filmemacherin vielleicht bewusst, vielleicht auch unbewusst nicht ausgeführt hat. Und dennoch hat die Jury bei HALMASPIEL durchgängig das Gefühl, dass Betina Kuntzsch durchaus zu abstrahieren weiß und um Objektivierung bemüht ist.