Führer und Verführer

Kinostart: 11.07.24
2024
Filmplakat: Führer und Verführer

FBW-Pressetext

Der Aufstieg Joseph Goebbels als Propagandachef des Dritten Reichs, erzählt als Mischung aus Dokumentarfilm und fiktionalem Re-Enactment. Ein fundiert aufbereiteter Film, der seine schwierige Erzählperspektive klug und mit Feingefühl in den richtigen Kontext bettet.

Joseph Goebbels war bei den Nationalsozialisten Reichspropagandaleiter unter Adolf Hitler. Er war es, der den Diktator als Führerfigur, als charismatischen Redner und scheinbaren Held inszenierte, er war es, der für die Wirkung der Bilder in allen Medien sorgte, der die Menschen in Deutschland manipulierte und der den antisemitischen Hass durch demagogische Reden befeuerte. Über seine Zeit an der Seite Adolf Hitlers, im Zentrum der Nazi-Macht, führte Goebbels penibelst Tagebuch. Bis zu dem Tag, an dem er sich, seine Frau und seine sechs Kinder tötete – als letztes Opfer für eine größenwahnsinnige, menschenverachtende und machthungrige Idee, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen.

Mit seinem Film setzt Joachim A. Lang ein klares Ziel – welches schon zu Beginn mit einem Disclaimer deutlich gemacht wird: Durch das Gezeigte von Damals auch „die Hetzer von heute zu entlarven“. Ein Ziel, das der Film ohne jeden Zweifel einlöst. Denn die Hassparolen, die durch Goebbels massenverführende Propagandamaschine ihren Weg auf allen Kanälen in die Ohren und Augen der Zuhörer fanden, es gibt sie heute wieder. Und obwohl der Verweis auf aktuelle Geschehnisse klar im Raum steht, bleibt der Film in der historischen Geschichte des Aufstiegs von Joseph Goebbels, bis hin zu seinem Selbstmord. Robert Stadlober spielt ihn mit beeindruckender Genauigkeit. Der rheinische Dialekt, der eiskalte Schauer erzeugende, manipulative Blick, die manische Hingabe an den „Führer“-Mythos – Stadlober liefert eine darstellerische Glanzleistung. Und auch Franziska Weisz als dem Regime ergebene Vorzeige-Ehefrau und -Mutter Magda Goebbels und Fritz Karl als Hitler können glaubhaft und mit dem Mut zur Ambivalenz die historischen Figuren verkörpern. Lang verbindet – unterstützt von Rainer Nigrellis kongenialer Montage – Original-Bildmaterial mit Re-Enactment und Interviewpassagen mit Holocaust-Überlebenden wie etwa Margot Friedländer oder auch Eva Umlauf. Diese eingeblendeten Passagen verleihen dem Gezeigten zusätzliche Tiefe und machen klar: Das, was der Film hier beschreibt, ist keine Fiktion, ist keine Übertreibung. Um es mit Primo Levis Worten zu sagen, die den Film als eingeblendete Texttafel einrahmen: „Es ist geschehen – und folglich kann es wieder geschehen.“ FÜHRER UND VERFÜHRER arbeitet die Thematik des Aufstiegs des nationalsozialistischen Terrorregimes durch die Planung des Propagandaleiters Goebbels historisch genau, wissenschaftlich fundiert und mit klugem Gespür für Zwischentöne auf. Das macht ihn zu einem wichtigen Film zur rechten Zeit, der mahnt, aus dem, was geschehen ist, für die Gegenwart zu lernen.

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Das Sprichwort ‚Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer‘ hat aktuell, in einer Zeit, in der ein Krieg in Europa und Nahost herrscht und Extremismus und identitäre Bewegungen auf dem Vormarsch sind, eine besonders bittere Note. Doch auch wenn das Thema sicher nicht bequem und die eigene Reflexionsarbeit mühsam ist, führt kein Weg daran vorbei. Insbesondere nicht in Deutschland. So ist es sicher kein Zufall, dass gerade jetzt sich Joachim A. Lang in seinem neuen Film dem Chefdemagogen Hitlers, dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, zuwendet und genau hinblickt. Schon in den einleitenden Tafeln wird unmissverständlich klar gemacht, es geht um das Demaskieren der Manipulation, der Analyse von Hetze und Verführung, um Methoden der Falschinformation und des Populismus – von denen wir heute immer noch und wieder betroffen sind – bloß zu stellen.

Das erste Beispiel schlägt bereits ein wie eine Bombe: ein kaum bekanntes Ton-Dokument, in dem ein ganz unbekannter Hitler spricht, zweifelnde Worte, nachdenklicher Tonfall, keine überschlagende Stimme. Mit diesem einen Beispiel zeigt FÜHRER UND VERFÜHRER auf: Es gibt einen Mann vor den Kameras und Mikrophonen und einen dahinter. Einen, der für die Inszenierung und das Portionieren der (Fehl-)Informationen sorgt.

In einer klugen Mischung aus Spielszenen auf Kinoniveau und Archivaufnahmen, gespickt mit Zitaten aus Tagebüchern und Zeugenaussagen, nimmt sich Lang nun diesen Mann vor. Bis zum Schluss schafft es der Film, insbesondere durch die ungewöhnliche aber meisterhafte Besetzung Robert Stadlobers als Goebbels, Interesse für diesen Mann zu haben, aber kein Mitgefühl zu empfinden. Noch nicht mal, als Goebbels zusammen mit seiner Frau die sechs Kinder ermordet und sich danach selbst tötet. Die Ideologie kennt keine moralischen oder familiären Grenzen, der Machthunger keine Unschuldigen.

Dabei gibt es viel zu entdecken, auch bei einer der bekanntesten Figuren aus Hitlers Machtapparat. Beispielsweise die Dynamik zwischen Hitler und Goebbels, die Durchdringung von politischer sowie kriegerischer Strategie und Kommunikationskniffen. Aufmärsche und propagandistische Filme, gestellte Fotos und das Instrumentalisieren (und die Kooperation) der Kultur, das alles ist bekannt. Aber wie weit die Einflussnahme Goebbels, der sich zum zweiten Mann hinter Hitler hocharbeitete, ging, zeigen Aktionen wie diese: Als der Zweifrontenkrieg in Stalingrad vor dem Aus steht und die Kriegsmüdigkeit in Deutschland ihren Gipfel erreicht, organisiert Goebbels Sammlungen von Winterkleidung und Skiern. Weniger, um den Soldaten an der Front zu helfen, als vielmehr der Bevölkerung das Gefühl zu gehen, etwas tun zu können. Dieses perfide Appellieren an den menschlichen Instinkt beherrschte Goebbels wie kein anderer und das machte ihn so gefährlich. Der Film fokussiert sich hier klugerweise auf das perfide ‚Alltagsgeschäft‘ und lässt dafür historische Ereignisse wie beispielsweise die Wannsee-Konferenz aus.

Immer wenn FÜHRER UND VERFÜHRER droht, zu plakativ oder gar unglaubwürdig zu wirken – was kein Wunder ist bei den haarsträubenden dargelegten Manipulationen! – werden Aussagen von Zeitzeug:innen, wie Charlotte Knobloch oder Margot Friedländer dagegen gesetzt, um den Wahrheitsgehalt zu belegen und den Film ins Heute zu holen. Es ist passiert, und daher kann es wieder passieren.

Obwohl der Ausgang von Goebbels Geschichte bekannt ist, folgt man schockiert und gebannt dem Geschehen. Dies ist durch die filmische Gestaltung, insbesondere durch die Montage, die Übergänge zwischen den vielen Ebenen, die Gestaltung des Sounds, wie etwa die Wiederholung der Original-Dialoge im Anschluss an die gespielten Dialoge, sowie den zurückhaltende Einsatz von Musik sehr gelungen. Alles stellt sich in den Dienst, die Hetzer von damals und heute zu entlarven.

FÜHRER UND VERFÜHRER ist kein Bekehrungs-Film, aber es ist ein Film, der klug und fundiert informiert, um Protesthaltungen oder Indifferenzen aufzubrechen.

Die FBW-Jury vergibt einstimmig das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.