Filmplakat: Endjährig

FBW-Pressetext

Atmosphärisch dichter und realistisch düsterer Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft.

Das dystopische Drama in der Regie von Willi Kubica erzählt von einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Rohstoffe knapp sind – und in der die Regierung beschließt, das Ableben der Bürger selbst zu terminieren. Dank der atmosphärischen Dichte und einer nah an der Wirklichkeit konstruierten Geschichte erzeugt der Film eine große Spannung, die sich glaubwürdig vermittelt.

In seinem Langfilmdebüt erzählt Regisseur Willi Kubica eine Geschichte, die zwar in der Zukunft liegt, aber doch auf so vielen aktuellen Entwicklungen aufbaut, dass es den Zuschauer*innen leichtgemacht wird, sich auf sie einzulassen. Die Figuren sind gewollt sperrig, große Emotionen entstehen nicht zwischen ihnen – und doch spürt man die große Verletzlichkeit und das aufgestaute Konfliktpotenzial zwischen ihnen. Das gilt besonders für die Hauptfiguren: Der Vater, der kurz vor seinem 80. Geburtstag steht und vor seinem Schicksal fliehen möchte, dass er damit in die sogenanne „Endjährigkeit“ kommt und sein Leben damit zu enden hat. Und auf der anderen Seite der Sohn Karl, der seinem Vater beistehen will, aber gleichzeitig für die Regierung arbeitet und von seiner Chefin zur absoluten Loyalität verpflichtet wird. Peter Meinhardt und Matthias Lier spielen Vater und Sohn mit einem äußerst ambivalenten Verhältnis zueinander, was den Reiz und die Komplexität der Geschichte unterstützt. Mit seiner Geschichte gelingt Kubica, der an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie studiert hat, auch ein gesellschaftskritischer Blick auf aktuelle Entwicklungen. Die Dialoge sind ebenso reduziert wie die Kulisse – und doch genügen wenige Worte und wenige Eindrücke, um eine dystopisch beängstigende Welt von morgen zu erschaffen, die doch heute schon näher erscheint als wir uns das vorstellen wollen.

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Wie viele Science-Fiction-Filme greift der Film ein oft als Problem der Gegenwart diskutiertes Phänomen auf, spitzt es zu und projektiert es in die nicht allzu ferne Zukunft. ENDJÄHRIG spielt Mitte des 21. Jahrhundert und zeigt ein Land, das durch zunehmende Überalterung und Klimaveränderung in Krise und Verelendung gestürzt ist. Einer dubiosen politische Bewegung namens "Bündnis Jungbrunnen" ist es offenbar gelungen, die Krise der Gesellschaft zu nutzen, um an die Macht zu kommen. Mit diktatorischem Gestus werden Reformen angesetzt, von denen eine die die Einführung der sogenannten "Endjährigkeit" ist: Menschen, die über 80 sind, sollen sich künftig "freiwillig" fürs sozialverträgliche Frühableben entscheiden. Auf der anderen Seite wird das Eheschließen und Kinderkriegen mit geradezu pathetisch anmutender Vehemenz befördert und gefeiert.
Der Film erzählt von dieser Zukunft, indem er der Figur des 45-jährigen Karl folgt, der in einer Behörde arbeitet, wo er die Reformen des "Bündnis Jungbrunnen" durchsetzen muss. Es ist ein kluges, wenn auch nicht ganz neues Erzählverfahren: mit ihm und durch seine Augen lernt man diese Welt kennen, in der unsere Gegenwart eine ferne Vergangenheit darstellt und in der mit Ressourcen geprasst wurde, die in der Gegenwart des Films nun alle knapp geworden sind. Karl hat einen Vater, der mit 78 nah an der Grenze zur Endjährigkeit steht und sich überlegen muss, wie er sich verhält: flüchten oder aufgeben? Außerdem interessiert sich mit Lena eine Vorgesetzte für ihn, weniger wegen seiner Persönlichkeit, sondern mehr aufgrund einer potentiellen Chance auf das gemeinsame Erzeugen von Nachkommenschaft. Karl, ein zögerlicher, wie nie ganz erwachsen gewordener Charakter, muss sich entscheiden, ob er in dieser neuen Welt mitmachen möchte oder doch einen Ausweg suchen soll.
Mit seinen sichtlich bescheidenen Mitteln gelingt es dem Film überraschend effektiv, ein atmosphärisches Bild dieser Zukunft zu zeichnen, in der vom digitalen Wohlstand des frühen 21. Jahrhunderts nur noch Reste und Relikte übrig geblieben sind. Die populistische Bewegung des "Bündnis Jungbrunnen" erinnert unweigerlich an faschistische Bewegungen, wobei es dem Film gelingt, dem einen durchaus modernen Anstrich zu geben. Im Vater-Sohn-Paar wiederholt sich das vertraute Thema des Generationengegensatz zwischen dem Typus "Alt-68er"-Eltern mit kämpferischem Geist und Revoluzzer-Parolen auf den Lippen und einer zögerlicheren, zweiflerischen jüngeren Generation, die über weniger ideologische Gewissheit verfügt und passiver erscheint.
Während der Erzählbogen um die "Endjährigekeit" mit seinen Anklängen an aktuelle Diskussionen um Sterbehilfe durchaus angemessen ein heißes Thema der Gegenwart aufgreift, zeigt der Film nach Meinung der Jury doch einige Schwächen auf, was die kleineren Konflikte des Handlungsbogens ausmacht, die der Jury wenig nachvollziehbar erscheinen. Das Spiel der Schauspieler*innen in der absichtsvoll clean gehaltenen Atmosphäre wirkt für die Jury manchmal zu steif und zu wenig lebendig, die Figuren erscheinen nicht ausreichend plausibel oder rund. Auf der anderen Seite ist der Gang der Handlung fast allzu leicht vorauszusehen – es dominiert eine Ästhetik, die das Thesenhafte herausstellt, und dabei teilweise in Klischees abgleitet. Auch scheint die Gegenwartsebene des Films, die Mitte des 21 Jahrhunderts, zu wenig mit Details und Ideen ausgeschmückt – außer einer grunddepressiven Stimmung gibt es wenige Zwischentöne. So stellt der Film zwar interessante und berechtigte Fragen - Was ist ein gerechter Generationenvertrag? Wie sieht lebenswertes Leben in einer weniger von Reichtum und Wohlstand geprägten Zukunft aus? - , greift als mögliche Antworten aber nur auf vage und wenig originelle Ideen zurück. Nach ausführlicher Diskussion und in Abwägung aller Argumente erteilt die Jury dem Film gerne das Prädikat „wertvoll“.