Ein großer graublauer Vogel

Kinostart: 09.04.71
1969
Filmplakat: Ein großer graublauer Vogel

Kurzbeschreibung

Landstreicher Belotti erzählt dem Dichter Tom-X, er sei früher Wissenschaftler gewesen und habe mit vier Kollegen eine Formel zur Weltbeherrschung entwickelt. Man habe sie, um Unheil zu vermeiden, in ein Gedicht verschlüsselt, von dem er aber nur einen Vers kenne. Als Belotti bei einem Entführungsversuch ums Leben kommt, versucht Tom-X, die vier Wissenschaftler zu finden. Er gerät unter die Agenten von Herrn Cinque, denen sich Journalist Gio anschließt. Schließlich stellt sich heraus, dass alles der Fantasie von Tom-X entsprungen ist.

Oder auch nicht. Denn der Rätselfilm von Thomas Schamoni, mittlerer der Schamoni-Brüder Peter und Ulrich, ist so umständlich, sprunghaft und ziellos erzählt, dass die Handlung mysteriös und die Dramaturgie beliebig wirken. Sein Film erlebte nur wenige Festivalaufführungen. Schamoni inszenierte danach Fernsehfilme ("Platzangst"). Als Tom-X ist Regisseur Klaus Lemke ("48 Stunden bis Acapulco") zu sehen, als Killer Bill Marquard Bohm (aus Rudolf Thomes Filmen) und in einem Gastauftritt Regisseur Robert Siodmak.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Kategorie:Spielfilm
Gattung:Thriller; Spielfilm
Regie:Thomas Schamoni
Darsteller:Olivera Vuco; Klaus Lemke; Lukas Ammann; Umberto Orsini
Drehbuch:Thomas Schamoni
Weblinks:filmfriend.de;
Länge:95 Minuten
Kinostart:09.04.1971
Produktion: TS Film Thomas Schamoni, Thomas Schamoni

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Nach sehr eingehender Diskussion konnte sich die überwiegende Mehrheit des Ausschusses nicht entschließen, diesem Film ein Prädikat zu erteilen. Es wird keineswegs bezweifelt, dass der Film von hohen Ansprüchen ausgeht. Aber gerade nach diesen Ansprüchen muss der Film beurteilt werden. Es ist durchaus möglich, dass der Film selbst in seiner ungewöhnlichen filmischen Gestaltung jenes Geheimnis darstellen soll, um das es in diesem Film geht. Der Film bietet auch andere Interpretationsmöglichkeiten, zumal von der sehr filmischen Machart her. Es ist möglich, dass Thomas Schamoni mit den konventionell inszenierten Filmszenen am Lago Maggiore das Publikum ganz bewusst aufsitzen lassen wollte, indem er diese Szenen genau in dem Augenblick abbricht, in dem sie ein gewöhnliches Publikum zu faszinieren beginnen.

Der Ausschuss sah sich zu diesen Vorbemerkungen veranlasst, um darzulegen, dass er diesem Film nicht nur mit Respekt begegnet, sondern ihn in den einzelnen Interpretationsmöglichkeiten durchdiskutiert hat. Die überwiegende Mehrheit des Ausschusses ist der Meinung, dass selbst wenn man die angedeuteten Interpretationsmöglichkeiten unterstellt, der Film weitgehend missglückt ist, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil er diese Interpretationen nicht klar genug zum Vorschein gebracht hat. Der Betrachter wird nur ganz beiläufig auf die Formel aufmerksam gemacht, nach der die verschiedenen Gangster suchen. Auch hier liegt vielleicht eine bewusste Manipuilation der Regie vor, die eben insofern fehlgeht, als das Publikum dann im weiteren Verlauf uninformiert bleibt über die eigentlichen Absichten der rasch und hektisch wechselnden Bildfolgen.
Die einzelnen Bildfolgen sind so angelegt, dass man sie zwangsläufig für bare Münze nehmen muss, zumal sie sich ganz bewusst ohne jeden ironischen Abstand der gewohnten Kinomittel bedienen. Das gilt für alle Sachen an Lago Maggiore, aber auch für die Szenen mit den beiden Mädchen. Das ist überhaupt eine der größten Schwächen dieser Filme, dass er keinen ironischen Abstand zu halten vermag. Es fehlt die Souveränität in der Anwendung ungewöhnlicher filmischer mittel. Das aber wäre erforderlich gewesen, besonders gegenüber der so raschen Wechsel abgehackter Filmszenen.

Auch die Darsteller sind nirgends in eine ironische Distanz gebracht. Sie spielen wie in üblichen jugendlichen Gangsterfilmen. Dabei wird der Film noch belohnt dadurch, dass einige der Schauspieler schon allzu bekannt sind, so dass das Publikum meint, sie hier in ähnlicher Weise wieder zu sehen.

Gegen das Gestaltungsprinzip dieses Films spricht vor allem die Tatsache, dass eine Fülle von Sequenzen entbehrlich wären oder auch beliebig gegen andere hätten ausgetauscht werden können. Wirkliche Zusammenhänge - und sei es nur ästhetischer Art - finden sich kaum. Es fehlt oft genug die zwingende Notwendigkeit.

Es ist charakteristisch für die Machart dieses Films, dass von schauspielerischen Leistungen nicht gesprochen werden kann und wohl auch nicht soll. Schwieriger wird die Sache schon, wenn man die Qualität der Kameraarbeit und der Farbgebung bedenkt. Hier liegen einfach Schwächen in der Qualität vor, die selbst für den Fall, dass auch sie gewollt sein sollten, dem Film als mangelnde Qualität angelastet werden müssen. Augenscheinlich handelt es sich um einen Film, den ein eigenwilliges Talent ganz nach eigenem Muster durchgestalten wollte; doch dieses Talent ist bis zu Manieriertheit seiner Eigenwilligkeit verfallen, ohne sie mit Souveränität meistern zu können.


Der Hauptausschuß sieht in dem Film einen jener Fälle, in denen konventionelle Koordinatensysteme und Kriterien brüchig werden oder versagen. Um dem Film gerecht zu werden, muß man einen originellen und neuartigen Denkansatz ins Auge fassen. Der Ausschuß schließt sich in bezug auf viele Argumente dem Widerspruchsschreiben an, etwa dann, wenn darauf hingewiesen wird, es läge ein Versuch vor, „mit den Mitteln der absurden Kunst bestimmte Grundzeichen unserer Zeit bewußt zu machen". Oder bei jenem Hinweis, daß Phantasie Realität wird oder Realität durch Poesie erkennbar gewacht wird. Schließlich auch bei jener Bemerkung, daß es sich einen Film über die problematische Situation des Künstlers (Filmkünstlers) handle. Der Film berichtet von den Schwierigkeiten, eine Story zu erzählen - nun nicht etwa mit spezifisch filmischen Mitteln, wobei die von Thomas Schamoni gewählte Formensprache der Konzeption weitgebend entspricht.
Der Ausschuß ist der Auffassung, daß die Erkenntnisse, die der Film anbietet, bereits im ersten Drittel vorgetragen werden, daß es sich im weiteren Verlauf aber um nicht sehr wesentliche Variationen handelt. Diese dramaturgische Schwäche war unter anderen maßgeblich bei der Erwägung, von Prädikat "Besondere wertvoll* (über das ausgiebig diskutiert wurde) abzusehen.