FBW-Pressetext

Im Jahr 1959 soll ein Eigenheim entstehen. Dafür braucht es Baumaterial. Und jede Menge Papierkram. Denn kein Hausbau ohne Hausbaugenehmigung. In ihrem Kurzdokumentarfilm EIGENHEIM berichtet die Regisseurin Dagmar Scheibert von einem Bauprozess auf mehreren Ebenen. Auf der Tonebene werden Briefwechsel verlesen, zwischen der Bank, den Behörden und den Besitzern, zwischen der hoffnungsvollen Bauherrin und ihrer Familie. Währenddessen auf der Bildebene ein Abriss. Ein Haus, das zu Anfang noch felsenfest in einer Wohnhaussiedlung steht, wird von oben abgebaut. Ein Bagger reißt das Dach herab, Ziegelsteine werden abgetragen, Wände fallen in sich zusammen. Auf kunstvolle Weise verbindet der Film diese beiden Ebenen und erzählt über die reine Sachlichkeit eines Prozesses eine menschliche Geschichte. Denn in den Worten der Frau, die mit ruhiger Stimme spricht, spiegelt sich die Vorfreude auf das, was da kommen wird – und gleichzeitig das Nichtwissen von dem, was wir schon sehen: Dass alles, was aufgebaut wurde, nun wieder zerstört wird. Und dass all die Mühe und der bürokratische Irrsinn, den Scheibert trocken und lakonisch von gut besetzten Sprecher*innen wiedergeben lässt, letzten Endes nur Teil eines vergänglichen Prozesses ist. Durch seine unsentimentale Art des Erzählens und Inszenierens erreicht EIGENHEIM etwas Großartiges: Der Film berührt und macht neugierig auf die Geschichte einer Familie und eines Hauses, dem man beim Entstehen zuhört und beim Verschwinden zusehen kann.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Dagmar Scheibert
Drehbuch:Dagmar Scheibert
Kamera:Jakob Süß
Schnitt:Reinhard Eisener
Länge:12 Minuten
Produktion: 3-30 Film GbR Dagmar Scheibert

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Eine junge Frau erzählt im OFF ihren Eltern von ihrem großen Lebenswunsch, ein eigenes Haus zu bauen. Sie erzählt von der großen Aufgabe, dieses Traumhaus zur Realität werden zu lassen: Die Verhandlungen mit der Bank bezüglich der Finanzierung. Die Anträge zur Förderung durch einen Wiedereingliederungsfond geben den Hinweis, dass sie Vertriebene ist. Die Gespräche mit den Behörden, mit der Baufirma und den Handwerkern. Die Baudetails, wie Dachdämmung, Bodenfließen, Kacheln, Fenster, Türen und ein offener Kamin, der zum Sehnsuchtsort im Eigenheim werden soll….und schließlich der Einzugstermin am 31.Oktober 1959. Parallel zu diesem Bericht im Off erleben wir bildlich den Abbruch des Hauses, genau 50 Jahre später. So steht die Audio-Ebene des Films formal streng der Bildebene gegenüber, dramaturgisch perfekt aufgelöst und mit einer geschickten Montage geglückt. So hören wir Zitate der typischen Beamtensprache, wir hören von zahlreichen Bauelementen und sehen im direkten Kontext den Abbruch dieser Elemente.
Der Zuschauer spürt mit dem Sprachduktus des Zeitgeistes der 1950er Jahre, aber sehr persönlich, die Hoffnungen und Sehnsüchte der jungen Frau, ohne Sentimentalitäten und damit allgemeingültig. Erstaunlich das Fehlen von intimen Elementen des Familienlebens im Haus, wie Bilder, Tapeten oder vergessene Überbleibsel. Ein letzter Blick in ein Haus, das Heimat war. Letztlich ein Film des Abschieds, wie ein Vermächtnis. Ein großartiges und perfekt gestaltetes Filmwerk, das in nur 12 Minuten emotional zu packen vermag. Als letztes Abbruchelement steht noch der Sehnsuchtsort – das Kamin! Eine Frage bleibt, warum schon nach 50 Jahren ein Haus abgerissen werden muss?