Drei Etagen

Kinostart: 17.03.22
2021
Filmplakat: Drei Etagen

FBW-Pressetext

Ein herrlich italienischer Film: Mit Ruhe und Wärme erzählt, mit Verve und Leidenschaft gespielt.

Ein junger Mann rast mit seinem Auto durch die Straße eines Wohnviertels in Rom. Eine Frau wird angefahren, das Auto crasht in ein Haus. Ein Haus, in dem auf drei Etagen verteilt drei Familien wohnen, deren Leben von dieser Nacht an untrennbar miteinander verknüpft sind. Mit großer Ruhe und sensiblem Blick für die Fragilität zwischenmenschlicher Beziehungen entfaltet der Film einen Kosmos familiärer Abgründe und Abhängigkeiten.

Der italienisch-französische Spielfilm des Regisseurs Nanni Moretti (Drehbuch co-verfasst mit Federica Pontremoli und Valia Santella) basiert auf der Romanvorlage von Eshkol Nevos. Und der filmischen Adaption des Stoffes gelingt es, durch die Inszenierung das Interagieren des großen Ensembles wie einen Reigen wirken zu lassen, in dem sich Beziehungsdynamiken verschieben, Konstellationen ändern und Figuren ihren Antrieb und ihre Motivation zu wechseln scheinen. Als Zuschauende lässt man sich, auch aufgrund der gelungenen Ausstattung sowie der souveränen Regie und Schauspielführung gerne auf diesen Reigen ein und folgt den Charakteren über verschiedene Zeitebenen auf ihren Lebenswegen. Dass im Laufe der Handlung der Spannungsbogen nie abfällt, ist ein Verdienst der intensiven Dialoge und einer klaren dramaturgischen Struktur. Und wenn am Ende des Films eine Tango-Tanzgruppe durch die Straßen Roms zieht und der italienische Sommer mit seiner Wärme die Bilder des Films durchzieht, dann verlässt man die Szenerie als Teil der Schicksalsgemeinschaft. Und nimmt die wunderschönen Klänge der Musik aus dem Kinosaal mit sich.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Nanni Moretti
Darsteller:Nanni Moretti; Margherita Buy; Riccardo Scamarcio; Alba Rohrwacher; Anna Bonaiuto; Tommaso Ragno; Adriano Giannini
Drehbuch:Nanni Moretti; Federica Pontremoli: Valia Santella
Buchvorlage:Eshkol Nevo
Kamera:Michele D'Attanasio
Schnitt:Clelio Benevento
Musik:Franco Piersanti
Webseite:happy-entertainment.de;
Länge:121 Minuten
Kinostart:17.03.2022
Verleih:Happy Entertainment
Produktion: Sacher Film, Fandango; Rai Cinema; Le Pacte; France 3 Cinéma;
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Niemand sieht gutbürgerlichen Häusern an, was hinter ihren Fassaden vorgeht. So ist es überall auf der Welt, etwa in Tel Aviv, wo Eshkol Nevos Buchvorlage „Über Uns“ spielt und so ist es auch in den Straßen Roms, wohin Nanni Moretti die Verfilmung des Romans verlegt hat. Auf den drei Etagen eines römischen Mehrfamilienhauses enthüllt er eine Geschichte von Schuld und dem Auseinanderbrechen von Familien. Anders aber als Nevos Vorlage konzentriert sich Morettis Adaption nicht kapitelweise auf das jeweilige Geschehen in einer der drei Etagen, sondern verknüpft die Handlungsstränge immer wieder neu.
Im ersten Stock wohnen der herrschsüchtige Lucio und seine Frau Sara mit deren kleinen Tochter Francesca. Der Einfachheit halber geben sie die gerne bei ihren Nachbarn, einem Rentnerehepaar ab – wohlwissend, dass der Ehemann dement ist. In der zweiten Etage wohnt Monica, die gerade eine Tochter zur Welt gebracht hat, während ihr Mann sich durch häufige, beruflich begründete Abwesenheit auszeichnet. Im Stockwerk darüber können die Zuschauer dem Richterehepaar Dora und Vittorio beiwohnen. Deren Sohn wird gleich in der Eröffnungssequenz eine Frau überfahren. So schön und stolz das Haus in einer der Straßen Roms wirkt, für seine Bewohner sind die familiären Strukturen eine schwere Last.
Trotz vieler Spannungselemente ist DREI ETAGEN weder voyeuristisch noch reißerisch. Ganz allmählich entfaltet Moretti einen Kosmos familiärer Abgründe und Abhängigkeiten und immer eingeflochten dabei ist die Verantwortung der Eltern gegenüber ihren Kindern. Moretti ist mit größter Umsicht an seinen Film gegangen, er greift auf ein gut vorbereitetes Skript zurück, indem er sogar augenscheinlichen Nebensächlichkeiten im Verlauf große Wichtigkeit zukommen lässt.
Dass er dabei auf ein großartiges Ensemble zurückgreifen kann, ist sicherlich ein weiterer Pluspunkt dieses Films. Insbesondere Alba Rohrwacher als emotional vernachlässigte Mutter und Ehefrau Monica möchte die Jury hier erwähnt wissen, ähnlich die Leistung von Morettis Lieblingsschauspielerin Margherita Buy als Richterin Dora. Allein die Darstellung Lucios hat die Jury nicht vollständig überzeugt. Obgleich sich Riccardo Scamarcio wirklich Mühe gibt, wirkt seine Rolle doch etwas zu durchkonstruiert und bemüht, um wirklich authentisch zu scheinen.
Insgesamt scheint der Jury DREI ETAGEN von der zum Teil bis ins Pathologische reichenden Macht- und Ohnmachtsvorstellungen der männlichen Rollen beherrscht. Hinter der ansehnlichen Fassade eines gutbürgerlichen, römischen Hauses regieren die Männer. Neben der schon angesprochenen Rolle Lucios, der sich in die Überzeugung hineinsteigert, dass seine Tochter sexuell belästigt wurde, ist es auch die von Moretti selbst gespielte Rolle des Richters Vittorio, der seinen Sohn nach seinem Bild gestalten möchte, mit verheerenden Folgen für Sohn und Ehefrau. Um Ausgleich sind stets deren Ehefrauen bemüht, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
DREI ETAGEN ist ein herrlich italienischer Film, elegant geschnitten, schön bebildert, äußerst zurückhaltend. Ein durchaus auch schmerzhafter Film, der seine Botschaften genauso langsam wie beharrlich freigibt. In der Diskussion zeigte sich aber, dass genau dies innerhalb der Jury durchaus auch zwiespältig aufgenommen wurde. So souverän die Inszenierung auch ist, sie hat dennoch den Wunsch nach kleinen Pausen, nach erholsamen Ruhepunkten innerhalb der Jury geweckt. Ob dies an der zum Buch unterschiedlichen Erzählstruktur liegt, oder an der überaus treffenden Zeichnung nachgerade freudianisch-menschlicher Makel, konnte die Jury nicht ausmachen. Zeit für Tiefenpsychologie lässt der Film trotz seiner 120 Minuten Lauflänge jedenfalls nicht. Einen wirklichen Kritikpunkt hat die Jury lediglich in der Synchronisierung gesehen. Nicht nur weil die deutschen Stimmen hin und wieder zu deklamatorisch wirken, sondern vor allem weil die Atmosphäre des Raums nicht mitgenommen wurde, klingen die Texte allzu häufig gekünstelt – das ist schade für einen so großartigen Film. In Anerkennung der eindeutig dargelegten Qualitäten des Films und in Anbetracht aller dargebrachten Argumente vergibt die Jury gerne das Prädikat „besonders wertvoll.“