Die letzte Versuchung Christi

Kinostart: 10.11.88
1988
Filmplakat: Die letzte Versuchung Christi

Kurzbeschreibung

Seriöse und zum nachdenken herausfordernde Darstellung des Leidensweges Jesu Christi, der vor allem als Mensch gezeigt wird, der auch Anfrechtungen, Selbstzweifen, moralischen und politischen Verstrickungen ausgesetzt ist.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Martin Scorsese
Darsteller:Harry Dean Stanton; Harvey Keitel; Willem Dafoe; David Bowie; Barbara Hershey; Verna Bloom; Andre Gregory; Roberts Blossom
Drehbuch:Paul Schrader
Buchvorlage:Nikos Kasantzakis
Kamera:Michael Ballhaus
Musik:Peter Gabriel
Weblinks:filmsortiment.de;
Länge:163 Minuten
Kinostart:10.11.1988
Produktion: Universal Pictures Germany GmbH, Cineplex Odeon Films
FSK:16

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Bücher des Alten und Neuen Testaments bilden einen Erzählschatz, dessen Einfluss immer wieder weit über den christlichen und kirchlichen Kommunkationsboden hinausreicht. Die Gestalt Jesu Christi, für den Gläubigen der als Mensch unter Menschen lebende Sohn Gottes, der Gnade und Erlösung verheißt, artikuliert sich in der "weltlichen" Literatur und anderen Kunst seit Jahrhunderten auch als eine Erzählgestalt der herausfordernden Widersprüche. Bewusst christliche Überlieferung und die Traditionen narrativer Vielfalt befruchten sich seit nun bald zwei Jahrtausenden gegenseitig immer wieder von neuem; ohne ihr facettenreiches Zusammenspiel wäre die abendländische Kulturgeschichte so gar nicht vorstellbar.

In diesen großen, unauflösbaren Zusammenhang gehören Nikos Kasantzakis Roman von 1955 und der auf diesen zurückgehende Film von Martin Scorsese, der dem Ausschuss in der deutschen Fassung vorgeführt wurde. Das Leben Jesu wird hier unter einer Perspektive gezeigt, die zu neuem Nachdenken über den Mensch in dieser erlösenden Heilsgestalt einlädt: in seinen Anfechtungen, auch in seinen zeitgenössisch-politischen Verstrickungen, Selbstzweifeln, seinem Ringen um ein Bild von seinem Vater und sich selbst, an dessen Ende das Geheimnis um die Letzten Dinge für den Menschen an nachvollziehbarem Sinn gewonnen haben sollte. Damit ist eine Spur gelegt, die zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Christusbild führen mag. Der bereits Gekreuzigte durchlebt hier in seinen Schmerzen und in seiner Todesangst eine Überlieferung und Bekenntnis verfremdende, nur allzu menschlich geträumte Vision "letzter Versuchung", durch deren "Verirrungen" ihm sein eigentlicher, göttlicher Auftrag schließlich um so deutlicher vor Augen steht, ja: befreiend annehmbar wird. Eine unerwartete Interpretation erfährt dabei im übrigen auch der Jünger Judas, dessen Verrat den Charakter eines ganz eigenen, unabwendbaren, schwer lastenden Dienstes gewinnt, ohne den der erlösende Heilsplan Gottes nicht vollendet werden könnte.

Der Film lebt von großer Kinodramaturgie, von einer ästhetisch herausragenden "Raum-Rhetorik des Choreographischen", von souveränen, erzählerisch dichten Wechseln zwischen nahen und halbnahen Einstellungen, von Elementen des Opernhaften nicht weniger als von einem Musik-Rhythmus, dessen Kompositionsvielfalt geradezu "ökumenische", kulturverbindende Knüpfpunkte anklingen lässt. Schnell-Sequenzen in der Atemlosigkeit eines Videoclips wechseln sich ab mit ruhigen, langen Einstellungen und Panoramafahrten, vor deren Hintergrund die Liebe der Kamera zu den physiognomischen Eigenwilligkeiten der Gesichter erst ihre große Entdeckerkunst zeigen kann. Dies korresponidert mit schauspielerischen Leistungen, die von den Hauptdarstellern bis hin zu den Akteuren der Massenszenen meisterhafte Personenführung und Regie bekunden.

Angesichts so vieler filmätsthetischer Positivgesichtspunkte führte der Ausschuss dann eine quellen- und darstellungskritische, außerordentlich engagierte Diskussion über die Frage, ob der gläubige Christ sich durch die erzählerisch folgerichtige "Banalität", in die hier einige seiner persönlichen Überlieferungsbilder versetzt werden, nicht in zu hohem Maße irritiert und sich in seinem religiösen Selbstverständnis verletzt sehen könnte. Dabei gewann schließlich die Ansicht Oberhand, dass gerade der nach Schrift und Bekenntnis Lebende in seinem unerschütterlichen Erlösungsglauben Toleranz zu üben weiß, dem "rein Weltlichen" mit der verständnisvollen Offenheit des Mehrwissenden zu begegnen versteht - und dass ein solcher Mensch nun um so entschiedener die ihm anvertraute Frohe Botschaft christlicher Erlösung kommunizieren wird.

Eine besondere Erwähnung verdient im übrigen die deutsche Synchronisation, die dem Dialogischen, Fragenden des Films in hohem Maße gerecht wird. Dem hier angestoßenen, weiterführenden Gespräch zwischen praktizierenden Christen und den Glaubensfernen unter den Zuschauern dürfte auch von dorther ein guter Boden bereitet sein.