Der Phönizische Meisterstreich
FBW-Pressetext
In seinem neuen Film erzählt Regisseur Wes Anderson die Geschichte eines Tycoons, der um sein Leben fürchten muss und nun mit Hilfe seiner Tochter seine Angelegenheiten in Ordnung bringen möchte. Formvollendet, farbenfroh, mit Witz und Tempo geschrieben, inszeniert und gespielt. Ein filmischer Meisterstreich in jeder Beziehung.Unzählige Anschläge auf sein Leben, eine Familie, der man nicht trauen kann und unerledigte Geschäfte – für den Business-Tycoon Zsa-Zsa Korda wird es Zeit, seine Angelegenheiten zu regeln und für Ordnung in den eigenen Reihen zu sorgen. Hierfür beordert er seine Tochter Liesl zu sich, die sich gerade auf ein Leben als Nonne vorbereitet. Nun aber macht Zsa-Zsa Liesl zur Haupterbin – auf Probe. Sie soll ihn auf diverse Dienstreisen zu all seinen Partnern und möglichen Feinden begleiten. Im Gepäck: Der etwas spleenige norwegische Hauslehrer Bjorn, jede Menge Geheimpläne und eine Tasche voller Handgranaten - als Gastgeschenke natürlich.
Auch mit seinem neuen Film beweist der Regisseur Wes Anderson seine Sonderstellung als Meister des filmischen Tableaus. Jede einzelne Einstellung ist so reich an Details, an Farben und ungewöhnlichen Blickwinkeln, dass es eine wahre Freude ist, in diese klar abgezirkelte und gleichzeitig verspielte Bilderwelt einzutauchen. Das Kunststück Andersons liegt jedoch darin, die inszenatorisch reiche Form mit einer darstellerischen und erzählerischen Raffinesse zu verbinden, sodass genug Platz bleibt für eine hoch amüsante und spannende Geschichte, die bis zuletzt auf überraschende Clous setzt und der hochkarätigen Darstellerriege Raum lässt, um zu glänzen, ganz egal, wie klein die Rolle auch ist. Ob Tom Hanks, Bryan Cranston, Michael Cera, Scarlett Johannson oder Benedict Cumberbatch – man merkt jedem an, wie groß der Spaß sein muss, in einem Wes Anderson-Film agieren zu können. Angeführt wird das Ensemble von einem herrlich selbstironisch agierenden Benicio del Toro und Mia Threapleton, die als Liesl eine absolute Entdeckung ist. Wie sie mit stoischer Miene in die skurrile Welt ihres Erzeugers tritt und von Station zu Station immer mehr das Heft – und die Handgranate – in die Hand nimmt, ist beeindruckend und ein riesengroßer Spaß. Ausstattung, Kostüm, Montage, das pointierte Drehbuch (das auch in der großartigen Synchronfassung wunderbar funktioniert) und die gesamte Mise-en-Scène greifen perfekt ineinander, genau wie der verspielte Score von Alexandre Desplat. Und so gelingt es dem Film, genau das zu sein, was schon der Titel vorgibt: Ein Meisterstreich.
Filminfos
Gattung: | Komödie; Spielfilm |
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Regie: | Wes Anderson |
Darsteller: | Scarlett Johansson; Tom Hanks; Benedict Cumberbatch; Bill Murray; Bryan Cranston; Rupert Friend; Benicio del Toro; Jeffrey Wright; Michael Cera; Charlotte Gainsbourg; Richard Ayoade; Hope Davis; Riz Ahmed; Mathieu Amalric; Mia Threapleton |
Drehbuch: | Wes Anderson; Roman Coppola |
Kamera: | Bruno Delbonnel |
Schnitt: | Barney Pilling |
Musik: | Alexandre Desplat |
Länge: | 102 Minuten |
Kinostart: | 29.05.2025 |
Verleih: | Universal |
Produktion: | American Empirical, Indian Paintbrush; Focus Features; Studio Babelsberg; |
Jury-Begründung
Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll verliehen.Sind es die animierten Stillleben, die unverwechselbar komponierten Tableaus, sind es die beinahe poetischen Dialoge, oder ist es etwa der handverlesene Cast, der Wes Andersons Filme so unvergleichlich unterstützt? Über den besonderen Stil Wes Andersons, sprich: über dessen filmische Handschrift, wurde auch hier schon viel geschrieben. Andersons Werke stellen eine Quasi-Kategorie für sich dar, so einzigartig erscheinen sie.
Interessanterweise wird immer wieder behauptet, dass der amerikanische Regisseur mit jedem Film, der neu herausgekommen ist, die Varianz seines Schaffens endgültig ausgekostet hat und interessanterweise schafft er es immer wieder Kritiker Lügen zu strafen. So auch bei DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH. Zwei Jahre nach seinem ASTEROID CITY geht er diesmal dem grundlegenden Verständnis von Ethik und Kapitalismus nach, aber auch den Machtstrukturen innerhalb familiärer Verhältnisse. Natürlich so, wie man es von Anderson gewohnt ist: immer mit einem unverkennbaren Augenzwinkern.
DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH unterscheidet sich aber auch von vorherigen Produktionen. Nämlich dahingehend, dass er das Publikum gleich zu Anfang mit Rasanz zu überraschen weiß. Mit einem Mal wohnt es dem abenteuerlichen Leben von Multimillionär Zsa Zsa Korda bei. Bevor dessen Privatjet aus allen Wolken fällt, fehlt seinem Adlatus kurzerhand der Oberkörper, während der Unterkörper brav auf dessen Stuhl sitzen bleibt. Das ist so skurril, dass nicht einmal im entferntesten Denken die Frage nach Rohheit und Gewalt formuliert werden kann, aber dennoch hinterlässt die Szene nachhaltigen Eindruck. In der Tat überlässt Anderson nichts dem Zufall. Vermutlich ist DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH sogar der bestkomponierte Film seines Œuvres. Jede Szene sitzt, jede Einstellung hat Bedeutung, Langeweile kann so niemals aufkommen, auch wenn Wes Andersons Filme eher für ihr Ebenmaß bekannt sind.
Tatsächlich liebt Anderson Symmetrien. Sein Bildaufbau, seine Ausstattung, seine Kostüme, ja im Prinzip der Großteil seiner Ästhetik geht aus symmetrischen Elementen hervor. In DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH findet sich dazu sogar ein Äquivalent in den Rollen. Wo Zsa Zsa Korda auftaucht, ein ebenbürtiger Antagonist wird ihm zur Seite gestellt. Das gipfelt in der finalen Begegnung Zsa Zsas mit dessen Bruder und deren, allen Ernstes, symmetrisch choreografierten Duell. Das ist weder fade noch unoriginell. Die Jury hatte großen Spaß, nicht nur bei der Sichtung, sondern auch in der Diskussion. Tatsächlich fordert DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH nachgerade zu Gesprächen auf.
Ähnlich genial konstruiert auch die Story: Nach der einen oder anderen Nahtoderfahrung beschließt Andersons Protagonist, Korda, einen Nachfolger für seinen immensen Besitz zu suchen. Er findet ihn, wie kann es anders sein, in seiner Tochter Liesl. Natürlich wäre es kein Andersonfilm, wenn die Sache so einfach wäre. Liesl ist Novizin. Ihr Weg zum rechten Leben und damit ins Kloster soll über Enthaltsamkeit führen. Und abermals denkt zu kurz, wer glaubt, hier stünden sich fortan das fiese Kapital und der Glaube an das Gute gegenüber. Tatsächlich zeigt Anderson aber, dass sich Spiritualität und Kapital so unähnlich nicht sind. Beide treten eine gefahrvolle Reise um den halben Globus antreten, eine Reise an der am Ende ein tolles Projekt zum Wohle der Menschheit oder die Vermehrung des Kordaschen Kapitals oder vielleicht auch gar nichts stehen wird.
Wie Anderson an seinen brillanten Cast kommt, soll sein Geheimnis bleiben. Dass ein solch exzentrisches Gemengelage aber gelingt, ist mit Sicherheit auch der genauso hochkarätigen, wie herausragenden Besetzung zu verdanken. Allen voran sei hier Benicio del Toro in der Rolle des Korda genannt. Ausnahmsweise frisch rasiert und mit Maßanzug ausstaffiert spielt er den umstrittenen Magnaten mit so viel Kultiviertheit, wie schmieriger Arroganz, dass sein nächster Schachzug kaum abzusehen ist. Stets reist er mit einer Stiege Handgranaten, von denen er gern seinen Geschäftspartnern anbietet, wie andere Menschen edle Pralinen, fortwährend den nächsten Anschlag auf sein Leben erwartend. Ihm zur Seite Mia Threapleton, die sich als Tochter Liesl keine Blöße gibt. Aber natürlich ist auch wieder Bill Murray mit dabei und Tom Hanks und Scarlett Johansson, Benedict Cumerbatch, Willem Dafoe, Charlotte Gainsbourg, Matthieu Amalric, Michael Cera und, und, und… Anderson ist sicherlich ein Kontrollfreak, aber so, wie sich solch bekannte Namen Andersons Regie unterzuordnen wissen, scheint offensichtlich nicht allzu viel Zwang dahinter zu stehen.
Passend zu den Pastellfarben von Andersons Tableaus liefert Alexandre Desplat Arrangements, die immer wieder so kitschig werden, dass ein Lalo Schifrin neidisch werden könnte. Das schreckt nicht ab, sondern passt ungemein gut in das „Yesterday“-Ambiente, das Wes Anderson seinem Publikum bietet. Kein Wunder, dass die Jury Andersons DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH, nach einer recht launigen Diskussion, außerordentlich gerne das Prädikat Besonders Wertvoll verliehen hat.