Der amerikanische Soldat

1970

Jurybegründung

In der eingehenden Diskussion wurde u.a die Frage behandelt , ob der Film etwa eine Parabel über den amerikanischen Imperialismus sein möchte.

Sollte diese Absicht, wenn auch nur nebenbei, bestanden haben, wäre sie in der Durchführung äußerst schwach, mit zu wenig Material unternommen und mit zu vielen Möglichkeiten des Missverstehens.

Man muss jedoch Sinn und Absicht keineswegs in dieser Richtung suchen.

Der Bewertungsausschuss sah bedeutendere und weniger vordergründige Elemente im Inhalt des Films. So ist die Thematik des Heruntergekommenen mehrfach variierrt, nicht nur beim ehemaligen amerikanischen Soldaten, sondern auch bei seinen Verfolgern. Die Grenze zwischen Kriminellen und Kriminalern (der Auftraggeber) ist bis zur Gleichgültigkeit verwischt. Dann ist das die Thematik des Tötens, auch die alte klassische Kombination von Tod und Freiheit. Das Schicksal als absolute Determination ist in diesem Film immer gekoppelt mit der Frage nach der Freiheit oder wenigstens nach einem Ausweg. Kennzeichnend ist ein gewisser melancholsicher Mechanismus, der einer Handlung nur in Abschnitten oder Bruchstücken als Vehikel für ganz anderes, Dahinterliegendes, bedarf. Dabei werden berühmte Kriminal- und Westernfilme ebenso " zitiert" wie beispielsweise Büchner ( Woyzeck) oder Brecht ( die Szene im Hotelzimmer, wo das Zimmermädchen unmittelbar dem Zuschauer eine Geschichte erzählt). Dabei geling es Fassbinder Theaterelemente, oder besser: elementares Theater in seinem Film noch zu verdichten. Die Behandlung der Story und die Konsequenz des Stils werden erreicht in einer interessanten Abstraktion der Realität durch genaue Wiedergabe verkürzter Wirklichkeit; dabei bleibt die Story oft in der Schwebe, ohne einen im einzelnen zu überblckenden Zusammenhang; doch weiß man in jedem Augenblick, dass dieser Zusammenhang ganz konkret besteht, wenn er auch nicht konsekutiv aufgedeckt wird. Dies ermöglicht überraschende Wirkungen mit scheinbar ganz konventionellen Mitteln, und dies lässt auch das Abgleiten in Banalität nicht zu. sogar das gar nicht so neue Ausdehnen einer Todessekunde glaubt man neu zu sehen. Was anderwärts kaum mehr ist als ein modischer Effekt, z.B die Verwendung überlanger Schnitte, führt hier( gleich in der ersten Szene) zur Aufladung mit Spannung. Stoff und Story, immer wieder verschleiert oder durchbrochen, scheinen präzise durchdacht zu sein, während die Realisation durch Regie, Kamera- und Darstellerführung unmittelabr einem sehr ausgeprägten filmischen Instinkt folgt. Durch die Wegnahmen oder Vorenthaltung vordergründiger Orientierungsmöglichkeiten, etwa durch lückenlos gereihte Handlungspunkte, wird die Frage nach wesentlicherer Orientierung provoziert, ohne für Orientierung irgendwelcher Art einen Leitfaden anzubieten. Es gibt auch keine gängige Stellungnahme: statt Anklage, Kritik oder dergleichen wird lediglich notiert, aber mit einem nachhaltigen und bohrenden Effekt, der wiederum auf die Frage nach Orientierung veweist. Auch in diesem Film zeigt Fassbinder ein äüßerst realistisches und zugleich dichterisches Gefühl für Millieu. Dekoration ist zwar da und stimmt, doch hat man das Gefühl, dass ganz unabhänging von Dekoration das Millieu erst durch die Akteure geschaffen wird, durch sie erst entsteht, einfach dadurch, wie sie sich darin bewegen, wie sie ihre Umgebung anschauen. Dadurch ergibt sich so etwas wie Indentifikation von Personen und Millieu, die erst im Zusammenhang mit der Geschichte jeweils entsteht. Das ist nur möglich durch konsequenten Gebrauch aller stilistischen Mittel und mit Hilfe einer feinfühligen Kamera; das setzt selbstverständlich auch voraus, dass die Darsteller richtig gewählt sind und der Intention der Regie zu folgen vermögen. In gewisser Weise ist das Bestechende an diesem Film und überhaupt an Fassbinders bisherigen Filmen das Gewöhnliche, das nicht gewöhnlich ist, und das Konventionelle, das, möglicherweise mit der nicht genau zu definierenden Begabung des Außenseiters, Wirkungen außerhalb der Konvention erzielt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Spielfilm
Regie:Rainer Werner Fassbinder
Darsteller:Karl Scheydt; Elga Sorbas; Jan George; Hark Bohm; Marius Aicher; Ingrid Caven
Drehbuch:Rainer Werner Fassbinder
Kamera:Dietrich Lohmann
Schnitt:Thea Eymèsz
Musik:Peer Raben
Länge:79 Minuten
Produktion: X Filme Creative Pool GmbH
FSK:18

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

In der eingehenden Diskussion wurde u.a die Frage behandelt , ob der Film etwa eine Parabel über den amerikanischen Imperialismus sein möchte.
Sollte diese Absicht, wenn auch nur nebenbei, bestanden haben, wäre sie in der Durchführung äußerst schwach, mit zu wenig Material unternommen und mit zu vielen Möglichkeiten des Missverstehens.
Man muss jedoch Sinn und Absicht keineswegs in dieser Richtung suchen.
Der Bewertungsausschuss sah bedeutendere und weniger vordergründige Elemente im Inhalt des Films. So ist die Thematik des Heruntergekommenen mehrfach variierrt, nicht nur beim ehemaligen amerikanischen Soldaten, sondern auch bei seinen Verfolgern. Die Grenze zwischen Kriminellen und Kriminalern (der Auftraggeber) ist bis zur Gleichgültigkeit verwischt. Dann ist das die Thematik des Tötens, auch die alte klassische Kombination von Tod und Freiheit. Das Schicksal als absolute Determination ist in diesem Film immer gekoppelt mit der Frage nach der Freiheit oder wenigstens nach einem Ausweg. Kennzeichnend ist ein gewisser melancholsicher Mechanismus, der einer Handlung nur in Abschnitten oder Bruchstücken als Vehikel für ganz anderes, Dahinterliegendes, bedarf. Dabei werden berühmte Kriminal- und Westernfilme ebenso " zitiert" wie beispielsweise Büchner ( Woyzeck) oder Brecht ( die Szene im Hotelzimmer, wo das Zimmermädchen unmittelbar dem Zuschauer eine Geschichte erzählt). Dabei geling es Fassbinder Theaterelemente, oder besser: elementares Theater in seinem Film noch zu verdichten. Die Behandlung der Story und die Konsequenz des Stils werden erreicht in einer interessanten Abstraktion der Realität durch genaue Wiedergabe verkürzter Wirklichkeit; dabei bleibt die Story oft in der Schwebe, ohne einen im einzelnen zu überblckenden Zusammenhang; doch weiß man in jedem Augenblick, dass dieser Zusammenhang ganz konkret besteht, wenn er auch nicht konsekutiv aufgedeckt wird. Dies ermöglicht überraschende Wirkungen mit scheinbar ganz konventionellen Mitteln, und dies lässt auch das Abgleiten in Banalität nicht zu. sogar das gar nicht so neue Ausdehnen einer Todessekunde glaubt man neu zu sehen. Was anderwärts kaum mehr ist als ein modischer Effekt, z.B die Verwendung überlanger Schnitte, führt hier( gleich in der ersten Szene) zur Aufladung mit Spannung. Stoff und Story, immer wieder verschleiert oder durchbrochen, scheinen präzise durchdacht zu sein, während die Realisation durch Regie, Kamera- und Darstellerführung unmittelabr einem sehr ausgeprägten filmischen Instinkt folgt. Durch die Wegnahmen oder Vorenthaltung vordergründiger Orientierungsmöglichkeiten, etwa durch lückenlos gereihte Handlungspunkte, wird die Frage nach wesentlicherer Orientierung provoziert, ohne für Orientierung irgendwelcher Art einen Leitfaden anzubieten. Es gibt auch keine gängige Stellungnahme: statt Anklage, Kritik oder dergleichen wird lediglich notiert, aber mit einem nachhaltigen und bohrenden Effekt, der wiederum auf die Frage nach Orientierung veweist. Auch in diesem Film zeigt Fassbinder ein äüßerst realistisches und zugleich dichterisches Gefühl für Millieu. Dekoration ist zwar da und stimmt, doch hat man das Gefühl, dass ganz unabhänging von Dekoration das Millieu erst durch die Akteure geschaffen wird, durch sie erst entsteht, einfach dadurch, wie sie sich darin bewegen, wie sie ihre Umgebung anschauen. Dadurch ergibt sich so etwas wie Indentifikation von Personen und Millieu, die erst im Zusammenhang mit der Geschichte jeweils entsteht. Das ist nur möglich durch konsequenten Gebrauch aller stilistischen Mittel und mit Hilfe einer feinfühligen Kamera; das setzt selbstverständlich auch voraus, dass die Darsteller richtig gewählt sind und der Intention der Regie zu folgen vermögen. In gewisser Weise ist das Bestechende an diesem Film und überhaupt an Fassbinders bisherigen Filmen das Gewöhnliche, das nicht gewöhnlich ist, und das Konventionelle, das, möglicherweise mit der nicht genau zu definierenden Begabung des Außenseiters, Wirkungen außerhalb der Konvention erzielt.