Chichinette - Wie ich zufällig Spionin wurde

Kinostart: 17.09.20
2019
Filmplakat: Chichinette - Wie ich zufällig Spionin wurde

FBW-Pressetext

Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der Marthe Cohn, die während des Zweiten Weltkriegs für die Alliierten als Spionin in Nazi-Deutschland lebte. Durch den Raum, den Nicola Alice Hens ihrer Protagonistin bietet, ist CHICHINETTE mehr als ein faszinierendes Porträt einer charismatischen und inspirierenden Frau. Es ist ein filmisches Dokument einer wichtigen Zeitzeugin.

Der dffb-Absolventin Nicola Alice Hens gelingt mit dem Dokumentarfilm CHICHINETTE ein wunderbares Langfilmdebüt. Als Ergebnis einer bis ins Detail genauen Recherche präsentiert der Film nicht nur die facettenreiche Biografie einer faszinierenden Frau, sondern begleitet diese auch im Hier und Heute bei ihren Reisen. Mit stimmungsvollen Animationen werden Fotos und Erinnerungen in die Sequenzen eingebaut und die Art und Weise, wie Hens, die als gelernte Kamerafrau mit für die Kameraarbeit verantwortlich zeichnete, ihrer Protagonistin gleichzeitig nahe kommt und sie dennoch mit respektvollen Abstand porträtiert, zeugt von großem filmischen Feingefühl, wozu auch die fein miteinander abgestimmte Bild- und Tonebene beitragen. Auch dem Ehemann wird ein erzählerischer Platz eingeräumt - und gerade seine Sicht auf seine Frau offenbart noch eine weitere privatere Facette von ihr. Als Erzählerstimme ist nur Marthe Cohn selbst zu hören, Hens überlässt ihr die Bühne, hält sich mit einem eigenen Kommentar immer zurück. Gerade für jugendliche Zuschauer ist dieser Film ein besonders wertvolles Zeitdokument, denn die Zeit, von der Marthe Cohn erzählt, darf, gerade in Bezug auf aktuelle Ereignisse, nie in Vergessenheit geraten.

Zum Inhalt: Mit mittlerweile 99 Jahren ist Marthe Cohn mit dem Spitznamen „Chichinette“ („Kleine Nervensäge“) eine Art Weltstar. Zusammen mit ihrem Mann reist sie durch die ganze Welt, um vor allem jungen Menschen ihre Geschichte zu erzählen. Denn als junge Frau war Marthe eine Spionin für die Alliierten. Sie arbeitete in geheimer Mission gegen das Nazi-Regime. Eine Geschichte, über die sie 60 Jahre lang geschwiegen hatte.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Nicola Alice Hens
Drehbuch:Nicola Alice Hens
Kamera:Gaetan Varone; Nicola Alice Hens
Schnitt:Michelle Barbin
Musik:Raphael Bigaud; Vincent David
Länge:86 Minuten
Kinostart:17.09.2020
Verleih:missingFILMs
Produktion: Amos Geva Produktion, Merovee Films; DFFB; RBB;
FSK:0
Förderer:FFA; BKM; MBB

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Marthe Cohn gehört zu den letzten noch lebenden Zeitzeugen von Holocaust und Nazi-Diktatur. Unermüdlich reist sie durch die Welt und gibt Erfahrungen und Erlebnisse weiter an nachfolgende Generationen. Nicola Alice Hens begleitet Marthe Cohn mit ihrem Mann auf diesen Reisen und dokumentiert die faszinierende Frau und ihre so wichtige Arbeit. Ins Zentrum der Erzählung stellt die Filmemacherin jedoch das titelgebende Erlebnis Cohns aus den letzten Kriegstagen, über das sie Jahrzehnte lang nicht gesprochen hat.
Eine große Stärke des Films liegt zweifelsohne in der Zeichnung dieser beeindruckenden Protagonistin. Die Perspektive auf sie als Holocaust-Überlebende erschöpft sich nicht ausschließlich darin, großen Respekt zu zollen, was ja in erster Linie Distanz bedeuten würde. Vielmehr arbeitet die Montage auf sehr erfolgreiche Weise zusätzlich Martha Cohns persönlichen Eigenarten heraus, lässt Blicke auf Befindlichkeiten zu und schafft durchaus persönliche Momente, die aber immer darauf abzielen, die öffentliche Person Martha Cohns näher zu ergründen. So etwa bietet der Einbezug ihres Mannes „Major“ Cohn und die damit später im Film verbundene Erkenntnis, wie sich im Laufe des Lebens ihre Rollen innerhalb der Beziehung komplett getauscht haben, eine weitere neue und sehr spannende Perspektive auf die Protagonistin.
Auch dramaturgisch überzeugt die Montage des Films, indem sie sehr geschickt die Spannung aufrechterhält. Gerade die Hinführung zur titelgebenden Geschichte gelingt sehr gut. Die Geschichte selbst zeigt sich dann wie ein eigenständiges und in die Erzählung eingebettetes Kapitel gestaltet. Marthe Cohn wird via O-Ton zur Erzählerin, Fotos entwickeln sich zur Grundlage wunderbar organischer Animationen, und impressionistisch anmutende Landschaftsaufnahmen unterstützen zusammen mit der sehr aufwändigen Ton- und Musikebene diese nacherzählte Abenteuergeschichte, die „Chichinette“, so Cohns Spitzname, zu spätem Ruhm verholfen hat. Der Filmtitel selbst, der sich vielleicht etwas zu effektvoll auf eben diese eingebettete Geschichte bezieht, führt damit ein klein wenig in die Irre. Denn Nicola Alice Hens‘ Film ist weit mehr als das Re-Enactment einer Anekdote. Der Regisseurin ist das vielschichtige Porträt einer wichtigen Zeitzeugin gelungen, mehr noch: Der Film vermag es, diesen ungeheuren Drang Martha Cohns zu konservieren, ihre persönliche Perspektive auf die Verbrechen der Nazis zu teilen. Die Zeitzeugen mögen versterben, doch Filme wie diese halten ihre Erinnerungen am Leben.