Filmplakat: Blue Boy

FBW-Pressetext

Am Tresen sitzen junge Männer. Sie schauen auf einen Bildschirm. Dort sind sie selbst zu sehen. Sie erzählen darüber, wie sie anfingen, als Callboys zu arbeiten. Wie die ersten Begegnungen mit den Männern waren, die für ihre sexuellen Dienste bezahlten. Wie sie selbst zu ihrer Sexualität stehen. Oder zu dem, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Filmemacher Manuel Abramovich lässt die Kamera auf die Männer gerichtet, wie sie sich selbst zuhören und zusehen. Und genau dieser Blick und diese Rahmung offenbart viel vom Empfinden der jungen Männer, ohne dass weitere Hintergrundinformationen dafür nötig wären. Seine interessante und originelle Vorgehensweise macht BLUE BOY zu einem formstarken Kurzfilm, der einen ungeschönten und Blick auf das wahre Leben wirft, dem Betrachter einen reflexiven Spiegel vorhält und sich traut, die vielen Facetten und Ambivalenzen der Menschen aufzuzeigen, die er porträtiert. Ohne sie vorzuführen.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Manuel Abramovich
Drehbuch:Manuel Abramovich
Kamera:Manuel Abramovich
Schnitt:Catalin Cristutiu
Länge:18 Minuten
Produktion: Manuel Abramovich
FSK:16
Förderer:Kulturstiftung Sachsen

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Berliner Blue Box Bar ist ein beliebter Treffpunkt in der Berliner Kleiststraße, ein Stricherlokal für Männer, die Sex suchen, und solche, die ihn gegen Geld anbieten. In dieser Umgebung hat der Filmemacher Manuel Abramovich seinen Dokumentarfilm angesiedelt, in dem überwiegend sieben rumänische Sexarbeiter von ihren Erfahrungen erzählen, ihren Wünschen und Hoffnungen, von dem, was sie dazu brachte, diesen Beruf zu ergreifen, von ihren Neigungen und dem, was ihnen nicht daran gefällt. Und damit gewährt der Film Einblicke in Themen wie Homosexualität und Homophobie, Sexarbeit, Toleranz, Migration und Integration.

Ein Interviewfilm also, und doch hat der Filmemacher sich einiges einfallen lassen, um die geschriebenen wie ungeschriebenen Regeln, die dafür gelten, aufzubrechen. So beginnt der Film damit, dass der Vertrag, den der Filmemacher mit den Porträtierten und Interviewten schließt, zu Beginn des Films verlesen wird, und verdeutlicht, dass das Filmen ähnlich wie der käufliche Sex vor allem eine Art von Geschäftsbeziehung ist, bei der es darum geht, eine vereinbarte Leistung gegen eine Entlohnung zu erbringen. Ein genialer Einfall, den der Film am Ende noch einmal wiederholt, als über die genaue Ausgestaltung des Vertrags teils sehr kontrovers diskutiert wird. Denn auf diese Weise wird auch das Publikum aus seiner Komfortzone hinausbefördert und wird zum Voyeur, zum Geschäftspartner und zum unmittelbar Beteiligten.

Doch dies ist keineswegs der einzige Verfremdungseffekt, den Manuel Abramovich sich hat einfallen lassen. Der zweite besteht in der radikalen Trennung von Bild- und Tonebene, die dadurch erreicht wird, dass die Interviews mit den Beteiligten zuerst aufgezeichnet wurden und der Filmemacher deren Reaktionen filmt, als sie sich selbst zuhören bei dem, was sie zuvor gesagt haben. Und nicht immer sind die Reaktionen auf das zuvor Gesagte so, wie man das vermuten würde – manchmal sieht man zustimmendes Nicken, dann wieder fast einen Ausdruck von Ungläubigkeit, Erstaunen, dann wieder fast schon Heiterkeit. Und so sind die Reaktionen fast ebenso interessant und vielschichtig, manchmal auch entlarvend wie die verbal geäußerten Einblicke in das Gefühlseben selbst.

Mittels dieser Brechungen wirft Abramovich einen ebenso klugen wie vielschichtigen Blick auf das Leben von Sexarbeitern und ihren Kunden und letzten Endes auf uns alle als Konsumenten und Voyeure, als Beteiligte an verschiedensten Ausbeutungssystemen und
-verhältnissen, vor denen es kein Entkommen gibt.