vorher/nachher

Filmplakat: vorher/nachher

FBW-Pressetext

Jedes Kind weiß, dass man nicht mit Fremden mitgehen soll. Und doch gibt es die Situation der spontanen Sympathie, auf die sich auch die sportliche Maren ohne Bedenken einlässt. Allerdings wird der nette Flirt für sie schlagartig zur einschneidenden Erfahrung. Konsequent beleuchtet Filmemacherin Sonja Marie Krajewski das Erlebnis der sexuellen Gewalt aus der Opferperspektive und lässt den Zuschauer durch einen gut gewählten Off-Kommentar an den vielschichtigen Gedanken der jungen Frau, ihren Selbstvorwürfen und der Ohnmacht teilhaben. Realistische Momente, offensive Bilder und eine subtile Erzählweise konkretisieren diesen Blick auf das Innenleben der Protagonistin, das auf gründlichen Recherchen basiert. Die Darsteller Florian Lukas und Pauline Knof stellen sich mutig und mit eindrucksvoller Überzeugungskraft diesen schweren Rollen und verhelfen dem Kurzfilm zu einer Authentizität, die unter die Haut geht.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Sonja Marie Krajewski
Darsteller:Florian Lukas; Peter Ender; Pauline Knof
Drehbuch:Sonja Marie Krajewski
Kamera:Manuel Mack
Schnitt:Steven Wilhelm
Musik:Peter Hinderthür
Länge:15 Minuten
Produktion: Element E Filmproduktion
FSK:16
Förderer:BKM; FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Maren ist eine junge Frau von heute: Anfang 20, hübsch, zielstrebig, unabhängig und sportlich erfolgreich. Sie hat die Schule beendet, ist von zu Hause ausgezogen, im Herbst will sie ihr Sportstudium aufnehmen. Vorher gibt es noch einen Wettkampf, bei dem sie Aussichten auf den Sieg hat, denn sie ist gut in Form. Die Welt liegt vor ihr und sie ist bereit, sie zu erobern. Beim Lauftraining an der Elbe kreuzt ein Läufer ihre Strecke: Tobias, etwas älter als sie, weniger fit, aber umso charmanter. Nach einem spielerischen Wettlauf lädt er sie zum Eis ein. Er muss nur noch Geld holen und sie begleitet ihn in seine Wohnung. Hier wendet sich die Situation schlagartig. Was als harmloser Flirt begann, endet in einer Katastrophe.

Die Regisseurin Sonja Marie Krajewski behandelt das Thema sexueller Gewalt konsequent aus der Sicht der Frau. Sie zeigt den Tag der Vergewaltigung, den Tag zuvor und den Tag danach. Schon allein dadurch macht sie deutlich, dass die junge Frau, auch wenn sie „wieder aufsteht“, nach der ihr zugefügten Gewalt nie mehr die Gleiche sein wird wie zuvor. Dabei konzentriert sich die Regisseurin ganz auf das unmittelbare Erleben der Frau, ihre Ohnmacht und ihren Versuch, nach der Tat wieder Fuss in ihrem Leben zu fassen. Die Frage einer Anzeige oder Reaktionen der Umwelt spielen zu diesem Zeitpunkt keine Rolle. Es geht um die Innenwelt der Protagonistin, die durch den sehr präzisen Off-Kommentar erfahrbar wird. Auch wenn der Film wunderbar in Bildern erzählt ist, kommt dem Kommentar in diesem Kontext besondere Bedeutung zu, weil nur so die vielschichtigen Gedanken und widerstrebenden Gefühle „im Kopf“ der jungen Frau ihren Ausdruck finden.

Von der gesamten Anlage her bewegt sich der Film fernab aller Klischees, die mit der Darstellung des Themas in den Medien häufig verbunden sind. Es geschieht an einem sonnigen Tag in einer Umgebung, in der die jungen Frau sich auskennt, wahrscheinlich trainiert sie hier regelmäßig. Der junge Mann, dem sie bei ihrem Lauf begegnet, ist sympathisch, teilt ihre sportlichen Interessen. Warum sollte sie ihn nicht für einen kurzen Moment in die Wohnung begleiten?

Man merkt, dass die Regisseurin ihre Geschichte sehr gut recherchiert hat. Der Film ist aber alles andere als thesenhaft gestaltet. Die Geschichte ist auf der Basis eines guten Drehbuchs sehr klar und ausgesprochen filmisch erzählt. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und die Inszenierung ist äußerst präzise. Wenige Szenen genügen, um das Milieu, in das die Handlung eingebettet ist, sehr stimmig zu skizzieren. Die Beziehung der jungen Frau zu ihrem Trainer ist sehr genau gezeichnet. Ihre Begegnung mit dem späteren Täter und das Kräfteverhältnis zwischen den beiden sind sehr subtil inszeniert. Kleine Ambivalenzen („du bist wohl eher der Fruchteistyp“) deuten auf einen Wechsel („jetzt bestimme ich das Tempo“) hin. Die Vergewaltigung wird klar als Akt der Gewalt gezeigt, aber nicht voyeuristisch ausgekostet. Hervorzuheben ist die ausgezeichnet Kamera, die an zwei Stellen des Films ihre Beobachtungsperspektive verlässt und in die subjektive Sicht der Frau wechselt. In der Vergewaltigungsszene spiegelt sie das Geschehen durch ein heruntergefallenes Glas, beim Wettkampf am Ende des Films zeigt sie die Strecke, die vor ihr liegt.

Große Authentizität und Überzeugungskraft gewinnt der Film durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen. Pauline Knopf und Florian Lukas stellen sich mutig den Herausforderungen ihrer schweren Rollen und gestalten ihre Charaktere sehr nuancenreich und mit großer Intensität. VORHER/NACHHER ist ein ausgezeichneter Film, der unter die Haut geht, Empathie auslöst und zu vielen Gesprächen Anlass gibt.