Vergiss mein nicht

Kinostart: 31.01.13
2012
Filmplakat: Vergiss mein nicht

FBW-Pressetext

Gretel Sieveking war wunderschön, charismatisch und ein unabhängiger Freigeist. Durch die Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern war sie starke Ehefrau und Mutter, doch durch ihren Sinn für Gerechtigkeit auch immer Kämpferin für Gleichberechtigung in jedem Zusammenhang. Doch die Mutter von Regisseur David Sieveking erleidet im Alter dasselbe Schicksal wie so viele Menschen: Alzheimer. Die Krankheit schreitet mehr und mehr voran, die Erinnerungen, auch an die Familie, schwinden. Gretel schließt sich in ihren eigenen Kokon des Vergessens ein. David Sieveking entscheidet sich, seine Mutter, seinen Vater und seine ganze Familie bei dem Prozess des langsamen Abschiednehmens zu begleiten und findet in seinem Film darüber berührende Bilder, die verdeutlichen, dass Lieben auch hier Loslassen bedeuten muss. Die persönlichen Momentaufnahmen, die Sieveking dabei gelingen, gehen dem Zuschauer schmerzlich nahe und geben Einblick in eine Krankheit, die grausam und unaufhaltsam Bereiche des Bewusstseins löscht. Doch der Film tröstet auch in seinem ehrlichen und zugleich behutsamen Umgang mit dem Gezeigten und den sehr persönlichen Einblicken. Sieveking ist nicht nur eine Liebeserklärung und Verbeugung vor einer beeindruckenden Frau gelungen, sondern auch eine realistische Darstellung über eine Krankheit, die immer mehr Menschen trifft und vor der wir die Augen nicht verschließen können.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:David Sieveking
Drehbuch:David Sieveking
Kamera:Adrian Stähli
Schnitt:Catrin Vogt
Musik:Jessica de Rooij
Weblinks:;
Länge:88 Minuten
Kinostart:31.01.2013
Verleih:Farbfilm Verleih
Produktion: Flare Film GmbH, Lichtblick Film;
FSK:0
Förderer:FFA; MBB; DFFF; Film- und Medienstiftung NRW

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Wenn ein Leben zu Ende geht, ist die Trauer meist unermesslich. Wenn ein Leben jedoch zu Lebzeiten ausgelöscht wird, verlangt es den Nahestehenden und später Hinterbliebenen eine so unermessliche Kraft ab, die nicht jeder aufbringt: Wir sprechen von Alzheimer.
David Sievekings Dokumentarfilm VERGISS MEIN NICHT macht diese Krankheit zu seinem Thema. Er geht einen so ungeheuren Schritt, indem er nicht Analysen, Statistiken oder neueste Forschungsergebnisse präsentiert, sondern Gretel, seine an Alzheimer erkrankte Mutter auf ihrem letzten Weg begleitet – der mehrere Jahre andauert. David, der Sohn, übernimmt die Pflege der Mutter, während sich der Vater eine Auszeit von der Pflege seiner Frau Gretel nimmt.
Gezeigt werden die Schwierigkeiten, aber auch die freudigen Momente dieser immer anstrengender werdenden Aufgabe. Es wird nach Erleichterungen gesucht. Pflegepersonal wird eingestellt und wieder entlassen. Ein Heim wird gefunden – und wieder verlassen. Neben diesen, das äußere Leben bestimmenden Momenten, steht jedoch auf einmal etwas ganz anderes im Mittelpunkt dieser Familie: Das Leben. David erlebt voller Freude die lichten Momente seiner Mutter. Er hat sich JETZT die Zeit genommen, bei ihr zu sein. Der Zuschauer erfährt viel über die Vergangenheit seiner Eltern. Die Mutter war eine Schönheit, erfolgreich im Beruf und politisch zusammen mit ihrem Mann in der 68er Bewegung so sehr engagiert, dass er als Mathematikprofessor keine Verlängerung seiner Stelle in der Schweiz erhielt. Alte Fotos, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Weggefährten, Freunde und Freundinnen kommen zu Wort. Manchmal fehlen jedoch die Worte angesichts der Situation, in der sich Gretel jetzt befindet. Diese Rückblenden und Interviews, das Erzählen einer Lebensgeschichte, eingebettet in einen aufregenden Abschnitt deutscher Zeitgeschichte, machen diesen Film so besonders wertvoll. Damit geht sie einher, die Annäherung Davids an seine Mutter. Er zeigt eine Protagonistin, die nicht das hilflose Häufchen Unglück ist. Vielleicht ist sie sogar glücklich in ihrer „neuen“, eigenen Welt. Niemand kann das beurteilen.
Dieser Film ist kein Film nur über eine Krankheit. Seine Stärke ist die radikal subjektive Sicht eines Sohnes auf seine Mutter. Der Schrei: „Meine Mutter geht mir verloren!“ – ist allgegenwärtig. David rettet sich, indem er ihre Lebensgeschichte erzählt. Die Arbeit mit dem Filmteam objektiviert diese Situation. Gretels Schwiegermutter ist 96, chic. Sie lebt in einem gepflegten Seniorenheim und verkörpert das, was Gretel verlorengeht: auch im hohen Alter noch ein klarer – und wie der Zuschauer hört – gesunder Menschenverstand. Ihren Sohn Malte fragt sie. „Lohnt sich das alles? Ist dieses Opfer sinnvoll?“ Die Antwort von Malte und David zeigt der Film: ein eindeutiges „Ja“. Der Zuschauer wird dem zustimmen. Je mehr sich Gretel von der Familie entfernt, geistig und körperlich, desto näher kommt Sohn David ihr.
Am Ende wissen es alle: Niemand wird Gretel vergessen. Nicht David, nicht der Zuschauer. Es ist ein optimistischer Film, dem auch in seiner leisen Melancholie Humor nicht fremd ist. Und außerdem ist es ein berührender Film – auch und in erster Linie - über die Liebe.