Playing Hooky - Getting Old is not for Sissies

Filmplakat: Playing Hooky - Getting Old is not for Sissies

FBW-Pressetext

Mitten in Arizona liegt die Stadt Sun City. Von ihren Einwohnern sind die jüngsten Ende fünfzig. Es gibt keine Schulen, keine Kindergärten. Sun City ist eine Renterstadt. Die Filmemacherin Susan Gluth hat sich bereits 2004 aufgemacht, um diese Stadt zu besuchen. Über sieben Jahre hat sie die Bewohner gefilmt, sie in ihrem Alltag begleitet und Fragen gestellt. Sie hat sich Zeit genommen, um sich den Menschen anzunähern, sie kennenzulernen und etwas über ihre Haltung und ihren Umgang mit dem Alter zu erfahren. Dabei ist es ihr auf besondere Weise gelungen, sich auf das Tempo und die Mentalität der Menschen und der Stadt einzulassen. Man spürt das Vertrauen, denn die Antworten auf ihre Fragen sind erstaunlich offen und geben tiefe Einblicke in die Menschen, die wissen, dass sie an diesem Ort ihr Leben beenden werden. PLAYING HOOKY ist ein Dokumentarfilm, der versucht, die Wirklichkeiten des Alterns und Sterbens zu zeigen, am Beispiel von Menschen, die damit täglich konfrontiert sind. So bringt der Film unterschiedlichste persönliche Haltungen zu Tage, Ausschnitte aus Biografien, Berührendes, Überraschendes und Anregendes. Bemerkenswert dabei ist, wie viel Lebensmut und Fröhlichkeit die Porträtierten in sich haben. Doch Gluth verschweigt nicht die schwierigen Seiten des Alterns, den Tod des Partners, den Verlust der Selbständigkeit, Krankheit und Tod. Ein unterhaltsam zu schauender, anregender Dokumentarfilm, der auf Kommentare verzichtet und sich somit einer Wertung enthält. PLAYING HOOKY verhandelt sein Thema facettenreich und veranlasst damit den Zuschauer, selber darüber nachzudenken, wie er sich ihm stellt.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Susan Gluth
Drehbuch:Susan Gluth
Kamera:Susan Gluth
Schnitt:Susan Gluth; Andreas Zitzmann
Musik:A. Weidinger
Länge:96 Minuten
Produktion: gluth film I Dokumentarfilmproduktion Susan Gluth
Förderer:FFF Bayern; KJDF; FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Alt werden ist nichts für Feiglinge, aber es gibt immer mehr positive Beispiele von Menschen, die zeigen, dass man auch im Alter aktiv und voller Lebensfreude sein kann, ohne Leiden und Verlust auszublenden. Solche Menschen stellt Susan Gluth in ihrem Film vor: Sie fahren Motorrad, singen in einer Rockband, geben Sprachunterricht oder proben für die Aufführung einer Tanzrevue. Sie leben in Sun City, einer Stadt in der Wüste von Arizona, die speziell für alte Menschen konzipiert wurde. Die Jury hat den Film, das Erstgutachten und den Widerspruch eingehend zur Kenntnis genommen und ausgiebig diskutiert. Sie stellt fest, dass das Erstgutachten tatsächlich in weiten Passagen auf die Stadt Sun City eingeht und dabei einige Aussagen enthält, die im Film so nicht getroffen werden. Allerdings bezweifelt die Jury, dass dies die Bewertung negativ beeinflusst haben könne. Die Stadt weckt nun einmal das Interesse des Betrachters, und der Film selbst gibt eingangs viele Informationen, angefangen vom Lageplan über die Ausführungen des Polizisten bei seiner Fahrt durch die Stadt bis zur Vorstellung der diversen Aktivitäten, die hier möglich sind. Mehrfach wird (sinngemäß!) erwähnt, dass es keine andere Stadt wie diese gäbe – und das hat zu tun mit dem Lebensgefühl der Menschen, die hier zusammenkommen. Auch, wenn im Film nie gesagt wird, dass die Stadt „bei der weißen Mittelschicht bei denjenigen beliebt [sei], für die das Alter nicht bedeutet, ihre Aktivitäten und Unternehmungen einzuschränken“, so ist dies im Bild deutlich zu sehen. Die Protagonisten und die Menschen in ihrem Umfeld gehören offensichtlich der weißen Mittelschicht an, und obwohl wir wenig über ihr Vorleben erfahren, macht ihre Haltung deutlich, dass sie den Wert eines aktiven Lebens nicht erst in Sun City erkannt haben.

Um diese Attitüde geht es der Filmemacherin in ihrem Essay über „das Alter und den Tod am Beispiel von Menschen, die damit täglich konfrontiert sind“. In einer Stadt, in der das Alter Eingangsvoraussetzung ist und alte Menschen unter sich sind, kann man diesen Themen, die in anderen Umgebungen häufig ausgegrenzt werden, nicht ausweichen. Das wird auch von den Protagonisten immer wieder direkt angesprochen. Immer wieder muss Abschied genommen werden. Einige beklagen den Verlust des geliebten Ehepartners, andere sind mit schweren Erkrankungen oder zunehmender Demenz konfrontiert und der damit einhergehenden Einbuße der Eigenständigkeit. Die Filmemacherin nimmt sich viel Zeit, in das Thema einzuführen und ihre Protagonisten vorzustellen. Dabei enthält sie sich jeglichen Kommentars oder erklärender Worte. Nur im Prolog ist im Gespräch mit dem 100-jährigen Abraham im OFF eine Frage zu vernehmen. Über ihn, der seine Mitbürger in Deutsch und Hebräisch unterrichtet, erfahren wir, dass er Überlebender eines Konzentrationslagers ist. Das Vorleben der übrigen Personen bleibt wohl bewusst ausgespart, es zählt nicht mehr, wenn sie nach Sun City kommen. Wir lernen sie bei ihren Aktivitäten in der Stadt kennen. Die Filmemacherin hat sie über längere Zeit beobachtet und kehrt immer wieder zu ihnen zurück. Über längere Zeit bleibt unklar, worauf der Film zuläuft, aber allmählich schälen sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten heraus, und gegen Ende verdichten sich die Eindrücke. Dabei kommt man den Menschen zwar nicht lebensgeschichtlich nahe, aber ihre Haltung wird glaubhaft vermittelt. Ihre Entspanntheit und ihr weitgehend positives Lebensgefühl überzeugen. Das Tempo des Films ist sehr ruhig, was anfangs irritiert, aber dem Thema angemessen ist. Die Kamera schafft Nähe zu den Personen, die Bilder sind gut aufgelöst und kadriert. Die Musikstücke sind passend ausgewählt und haben häufig einen direkten Bezug zur Stadt und zu den Protagonisten.
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Familiäre Bindungen zeigen sich am Beispiel von Mutter und Tochter, die beide bereits in Sun City leben. Wegen der fortschreitenden Demenzerkrankung der Mutter sucht die Tochter nach einem Haus, wo beide gemeinsam leben können, was aber schließlich nicht nur am sanften Widerstand der Mutter scheitert. In anderen Fällen lassen sich familiäre Zusammenhänge erahnen, wenn ein Ehepaar Besuch von seinen Enkelkindern erhält, oder wenn ein anderes Paar erzählt, dass es Besuche bei den Kindern und Enkeln zwar genieße, aber immer wieder nach kurzer Zeit merke, dass jeder sein eigenes Leben lebe. Ihr eigenes Leben und ihre Zweisamkeit genießen sie mehr denn zuvor: sie unternehmen Fahrten auf der Harley Davidson (zumindest noch bis sie 80 sind) und berichten, dass ihr Sexualleben intensiver sei, seitdem der Stress durch Beruf und Familie weggefallen sei. Die offenen Aussagen zur Sexualität im Alter, sonst häufig tabuisiert, beeindrucken auch im Fall einer anderen Protagonistin, die sich ihrem verstorbenen Partner immer noch sehr nähe fühlt, aber auch ein intimes Verhältnis zu einem anderen (verheirateten) Mann unterhält. Krankheit und Verlust der Eigenständigkeit sind auch in Sun City ein Problem, obwohl (von entleihbaren Gehhilfen bis zur stationären Versorgung im Krankenhaus) optimale medizinische und sanitäre Vorkehrungen getroffen sind. Das wird deutlich am Beispiel einer Frau, die sich rührend um ihre erkrankte Freundin kümmert, dadurch aber keine Zeit mehr für die von allen Bewohnern geforderte ehrenamtliche Arbeit aufbringen kann und daraus Nachteile zu erleiden hat. Professionelle Krankenpfleger und Ärzte werden im Film zwar gezeigt, werden aber eher als zeitweilige Dienstleister wahrnehmbar. Wo Aktivität im Mittelpunkt steht, wirkt Krankheit wie eine vorübergehende Erscheinung. Personen, die auf dauerhafte Betreuung oder intensivmedizinische Pflege angewiesen sind oder im Sterben liegen, werden im Film nicht gezeigt. Der Tod wird zwar immer wieder erwähnt, bleibt aber letztlich ein vorübergehender Schatten unter der Sonne Arizonas.

So ist „Playing Hooky – Getting Old is not for Sissies” kein Film über das Sterben, sondern über das Alter und eine (sehr amerikanisch ausgeprägte) Art, damit umzugehen: Er zeigt Menschen, die das Alter „einfach schwänzen“. Dennoch hat sich die Jury in ihrer Gesamtbeurteilung gegen die Erteilung des höchsten Prädikats entschieden, weil der Film über seine Dauer nicht die dafür erforderliche Stringenz und Komplexität aufweist. Gerade im ersten Teil wirken einzelne Passagen redundant und aneinander gereiht, ohne dass deutlich wird, worauf der Film sich zuspitzt.