Lilly

Filmplakat: Lilly

FBW-Pressetext

Lilly, jung, gutaussehend, hat das Leben vor sich. Welcher Kraftakt verbirgt sich hinter dem Schönheitsideal, ihrem persönlich angestrebten Schönheitsbild? Das Leben stellt hohe Anforderungen, denen sich Lilly nicht gewachsen fühlt. Dennoch wahrt sie das Gesicht und funktioniert. Sie will unbedingt die Kontrolle behalten, auch wenn sie regelrecht von Frust, Angst und ihrer Sehnsucht überrollt wird. Sie schluckt ihren Ärger immer wieder mit viel Essen herunter und spuckt ihn routiniert wieder aus. Ebenso schluckt sie ihr bitteres Geheimnis und gaukelt ihren Eltern Normalität vor. Sie wirkt wie in sich selbst gefangen, es gibt keinen erkennbaren Hilferuf, weil die Welt um sie herum mit eigenen Problemen und Frust zu kämpfen hat. Ihr persönliches Wohlbefinden hängt nur von der Grammangabe der Waage ab. Und damit ist sie nicht alleine, denn sie ist Teil einer Community, die an diese Art zu leben glaubt und die sich gegenseitig anfeuert. Gina Wenzel hat die Betroffenen und ihr Krankheitsbild gut beobachtet und behutsam gefilmt. Die ungekünstelte Inszenierung, stimmige Dialoge und die Alltäglichkeit der Szenerie, die ohne große Dramatik sanft von der komplexen Problematik erzählt, erzeugt eine ungemeine Authentizität, die gefangen nimmt. Auch ein Plädoyer für das genauere Hinhören und Hinsehen, das Wahrnehmen unter uns.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Gina Wenzel
Darsteller:Marie Mayer; Jana Konietzki; Carole Schmitt; Ulrich Schmissat
Drehbuch:Gina Wenzel
Kamera:Leander Ott
Schnitt:Julian Oettel
Musik:Moby
Länge:24 Minuten
Produktion: Gina Wenzel
Bildungseinsatz:;
Förderer:Fachhochschule Dortmund

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Lilly lebt in einer Art Schwebezustand. Sie hat die Schule beendet und möchte Grafikdesign studieren, scheitert aber mit ihrer Bewerbung. Sie wohnt zu Hause, aber mit ihren Eltern findet keine echte Kommunikation statt. Lilly gibt nur wenig Persönliches preis, wirkt bei Gesprächen am Küchentisch abwesend, auch als sie scheinbar einwilligt, ein von den Eltern favorisiertes BWL-Studium aufzunehmen. In ihren Gedanken ist sie ganz woanders, denn Lilly leidet an Bulimie, denkt an Essen und Erbrechen und zieht sich von ihrer Umwelt zurück, um ihre Krankheit zu verheimlichen. Ihre Zuflucht ist das Internet. Im Chat mit Gleichgesinnten der Pro-Ana- bzw. Pro-Mia-Bewegung bekommt sie Bestätigung und Bestärkung. Ganz besonders von ihrer magersüchtigen Chatpartnerin Anna, die nach abgebrochener Therapie bereit ist, zum Äußersten zu gehen, und die Lilly in einen folgenschweren Strudel hineinzieht.
LILLY ist ein gut recherchierter und sensibel inszenierter Film über Essstörungen und die Gefahren, die von der Pro-Ana- und Pro-Mia-Bewegung auf die Betroffenen ausgehen. Die Regisseurin Gina Wenzel nähert sich dem Thema sehr behutsam an. Sie verzichtet auf jegliche äußere Dramatik, die sonst häufig mit der Problematik Essstörung verbunden ist, und konzentriert sich auf ihre Protagonistin und deren Alltag. Der Zuschauer bleibt längere Zeit im Ungewissen darüber, was mit Lilly nicht stimmt, und wird ganz allmählich immer tiefer in die komplexe Thematik hineingezogen. Das ist ein Verdienst der sensiblen Beobachtung und des intensiven Spiels der Hauptdarstellerin Marie Mayer, die Lillys Sehnsucht und Ängstlichkeit und ihren steten Kampf um Kontrolle schmerzhaft nachvollziehbar macht. Mit ihren Fressattacken füllt sie die innere Leere, schluckt Ärger und Frustration hinunter, um hinterher alles wieder herauszubrechen. Dabei ist sie ständig auf der Lauer, zu viel von sich preiszugeben. Die bewegliche Kamera unterstreicht ihre innere Unruhe und macht in frontalen Großaufnahmen ihre Verletzlichkeit deutlich. In Szenerie und Musik ist der Film sehr zeitlos gestaltet, was die Allgemeingültigkeit der Problematik nachdrücklich betont.
LILLY ist ein intensiver Film mit einer starken Hauptfigur, die viel Gefühl ausstrahlt und zur Identifikation einlädt. Er vermittelt eine große Authentizität, die betroffen macht und dazu auffordert, genau Hinzusehen und Fragen zu stellen. Ein Film, der generationsübergreifend zur Kommunikation und Diskussion anregt.