How to Sell Drugs Online (Fast)

VÖ-Datum: 27.07.21
2021
Filmplakat: How to Sell Drugs Online (Fast)

FBW-Pressetext

In der dritten Staffel der Netflix-Erfolgsserie HTSDO(F) steht Moritz völlig allein da und versucht verzweifelt sich als CEO von MyDrugs an der Macht zu halten. Doch als sich Lennys Gesundheitszustand plötzlich verschlechtert und er Moritz' Hilfe braucht, kommen die beiden besten Freunde (und aus irgendeinem Grund auch Dan) für einen letzten Job wieder zusammen – mit explosiven Folgen.

Dass der Erzählfluss und das World Building von HTSDO(F) auch in der dritten Staffel noch so gut funktionieren, liegt an den exzellenten Drehbüchern von Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann, der souveränen Inszenierung durch Regisseur Arne Feldhusen, den cleveren visuellen Ideen und in dem aufeinander bestens eingespielten Ensemble. Die Entwicklung der Nebenfiguren steigert sich zunehmend, immer mehr erhalten Charaktere wie Lenny und Dan durch die Darsteller Raum, um eigene Storylines glaubwürdig zu tragen. Danilo Kamperidis verleiht Lenny eine anrührende und nie pathetische Verletzlichkeit, die ihn auch in der dritten Staffel immer wieder zweifeln lässt, auf welche Seite er sich nun schlagen soll. Dass mit Lenny ein krebskranker Junge im Rollstuhl eine der zentralen Figuren ist, gehört schon seit Beginn der Serie zu den eindeutigen Stärken, die nie auf die Mitleids- und Tränendrüse drückt, sondern Diversität und Inklusion als Selbstverständlichkeit miterzählt. Damian Hardung stellt als Dan sein großes komisches Talent unter Beweis, was schon in den ersten zwei Staffeln für witzige One-Liner sorgte. Und die Figur des Moritz, der nie als Sympathieträger angelegt war, ist dank Maximilian Mundts Spiel auch in der dritten Staffel ein ambivalenter Protagonist, der zwar egoistisch und rücksichtslos handelt, aber im entscheidenden Moment weiß, was das Richtige ist. Die schnellen und pointierten Dialoge wenden sich klar an ein Young-Adult-Publikum, wirken mit ihrem trockenen Humor immer authentisch und lassen auch ältere Zielgruppen nie außen vor, unterstützt durch unzählige popkulturellen Anspielungen auf Bild- und Dialogebene. Die Montage ist so rhythmisch und schnell, dass sich ein wiederholtes Ansehen definitiv lohnt. Der Umgang mit den sozialen Netzwerken in der Welt der „Digital Natives“, die damit ganz selbstverständlich interagieren, wirkt glaubwürdig natürlich. Mit unverkrampfter Leichtigkeit erzählt HWSDO(F) von einer typisch deutschen Kleinstadt-Piefigkeit, dem Alltag an einem deutschen Gymnasium und der Lebensrealität der Schüler. Und trotz dieser sehr geerdeten Erzählhaltung gelingt gerade in der dritten Staffel der Serie ein meisterhafter Showdown, bei dem alles stimmt: Action, Spannung und jede Menge Humor.

Fazit: Welcome back to Rinseln! Auch die dritte Staffel von HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST) ist der beste Beweis dafür, wie leichtfüßig, originell, spannend und authentisch man eine Geschichte aus Deutschland mit den Mitteln und Möglichkeiten eines Serienformates erzählen kann.
Prädikat besonders wertvoll

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Netflix Original-Produktion How to Sell Drugs Online (fast) richtet sich inhaltlich und formal dezidiert an die Zuschauerschaft der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Mit sechs halbstündigen Folgen pro Staffel reiht sie sich ein in die Tradition der "Dramedy"-Serien, die eine dramatische Handlung mit flottem Erzähltempo und pointenreichen Dialogen zur Comedy zuspitzen. Was How to Sell Drugs Online (fast) zusätzlich auszeichnet und aus dem Rahmen hebt, ist die Tatsache, dass die Handlung ihre Inspiration von einem wahren Fall erhielt: Mitte der 2010er Jahre war in Leipzig ein Jugendlicher verhaftet worden, der sozusagen aus seinem Kinderzimmer heraus einen Online-Drogenhandel betrieben hatte.

Statt eine Kriminalerzählung daraus zu machen, wie sie im deutschen Fernsehen dutzendfach zu sehen ist, haben Philipp Käßbohrer, Matthias Murmann, Stefan Titze und Sebastian Colley aus dem Stoff eine, so das Urteil der Jury, ausgesprochen unterhaltsame, schnelle und innovative Serienerzählung geschaffen, die die Lebenswelt und vor allem das Lebensgefühl der jungen Generation, und dabei speziell deutscher Schüler im Abiturienten-Umfeld, erstaunlich authentisch trifft. Den Machern gelingt es, die an sich haarsträubende Geschichte von Teenagern, die aus verschiedenen Motiven heraus ins Online-Drogenbusiness einsteigen, zum cineastisch-stilisierten, sich mit vielerlei Zitaten aus der Film- und TV-Geschichte bedienenden Handlungsgerüst zu machen, in dem gleichzeitig wiedererkennbare und zur Identifikation einladende Figuren agieren.

Hauptperson ist Moritz Zimmermann (Maximilian Mundt), der zugleich als Erzähler in der Rahmenhandlung auftritt, die ihn in einer verhör-ähnlichen Situation zeigt. Wobei sich der Zuschauer erst in der dritten Staffel ganz sicher sein kann, von wo aus Moritz tatsächlich berichtet.
Staffel 1 und Staffel 2 erzählten davon, wie Moritz aus Enttäuschung und Eifersucht darüber, dass seine Freundin Lisa (Lena Klenke) sich nach der Rückkehr vom Austauschjahr in den USA von ihm trennt und stattdessen Interesse am Klassenschönling Dan (Damian Hardung) zeigt, in den Handel mit synthetischen Drogen involviert wird. Wertvolle Hilfe leistet ihm dabei Lenny (Danilo Kamperidis), Moritz' bester Freund seit Kindertagen. Lenny sitzt im Rollstuhl und leidet an einer weiter fortschreitenden Krankheit, die seine Lebenserwartung stark einschränkt. Was das Programmieren angeht, ist er Moritz allerdings überlegen. Der Einstieg in den Drogenhandel fällt den beiden auch deshalb so leicht, weil sie seit Jahren bereits an einem Online-Shop für Videospiel-Accessoires mit dem Titel "Mytems" arbeiten. "Mytems" dient jedoch bald nur noch als Cover für "Mydrugs", der Seite, auf der sie verschiedenfarbige Pillen gegen Bitcoin anbieten.

Sehr einfallsreich, mit zahlreichen Wendungen, führt die Handlung der ersten zwei Staffeln zunächst das Trio Moritz, Dan und Lenny zu einer unwahrscheinlichen Interessengemeinschaft zusammen, um sie dann durch mehrere Loyalitätskonflikte hindurch wieder auf verschiedenen Seiten stehen zu lassen. Das Auf und Ab der Freundschaft zwischen Moritz und Lenny bildet dabei den Focus; die Frage, ob Moritz und Lisa wieder zusammenkommen, ordnet sich dem unter. Lenny ist der Gutmütigere, der sich aber auch schnell ausgenutzt fühlt, vor allem als mit Kira (Lena Urzendowsky) ein Mädchen in sein Leben tritt, die ihm neue Perspektiven, unter anderem auch auf seine Beziehung zu Moritz, ermöglicht. Dan wiederum zeigt, dass er mehr drauf hat, als viele von ihm denken. Auch die Mädchen-Figuren – zu Lisa kommen noch die Schulbeste Gerda (Luna Schaller) und das Partygirl Fritzi (Leonie Wesselow) hinzu – werden weiter ausdifferenziert.

Die dritte Staffel, die der Jury zur Bewertung vorgelegt wurde, knüpft wieder unmittelbar an das Geschehen an. Die Freunde sind nach dem Ausgang der zweiten Staffel zerstritten. Auf der einen Seite steht Moritz, der "Mydrugs" weiter betreiben will und deshalb nun allein für die "Holländer", den Zulieferern mit schickem Büro in Rotterdam, arbeitet. Auf der anderen Seite wollen Dan, Lenny und dessen neue Freundin Kira einen eigenen Drogenhandel aufmachen, um die Kosten für Lennys Operation zu beschaffen, die ihm ein um Jahrzehnte verlängertes Überleben sichern soll. Es stellt sich bald heraus, dass die eine Seite ohne die andere nicht kann: Lenny und Co. fehlt der Zulieferer, Moritz schafft es alleine nicht, die Webseite von Mydrugs wieder zum Laufen zu bringen. Während sich Konflikte mit wechselnden Allianzen weiter zuspitzen und sich der Kreis der "Informierten" weitet, geht gleichzeitig das "normale" Leben der Abiturienten weiter mit Schulausflügen, den letzten Prüfungen und schließlich dem Abi-Ball. Aus dem Kontrast der beiden Welten zieht die Serie einen Großteil ihres Humors. Mit dem Ende der Staffel kommen dann erstmals Rahmenerzählung und Handlung zusammen.

Nach Einschätzung der Jury gelingt es How to Sell Drugs Online (fast) auch in der dritten Staffel, die zuvor etablierten Qualitäten zu halten: Rasantes Erzähltempo, geschliffene Dialoge mit authentischer Nähe zur "echten" Jugendsprache, handwerklich einfallsreiches und innovatives Erzählen mit Visualisierung von Internet-Vorgängen und Sozialen-Medien-Prozessen. Was den Informationsgehalt angeht, arbeitet die Serie eher mit Über- als mit Unterforderung ihrer Zuschauerschaft. Der spielerische Umgang mit Genre-Zitaten aus der Serien- und Filmwelt besitzt eine Dichte, die besonders dadurch besticht, dass es Anspielungen für alle Generationen gibt, mithin eine Art Augenzwinkern sowohl an die älteren als auch an die jüngeren Zuschauer stattfindet. Der Generationenkonflikt, eines der Themen, die immer mitschwingen, wird hier auf amüsante Weise mitreflektiert. Als ausgesprochen positiv bewertete die Jury, dass sämtliche Figuren in der dritten Staffel eine weitere Vertiefung erfahren, was vor allem am Beispiel von Danilo Kamperidis' Lenny auch an den immer befreiter aufspielenden jungen Darsteller*innen liegt.

Gleichzeitig bleibt auch die dritte Staffel den Coming-of-Age-Themen Freundschaft, Loyalität, Verantwortung treu und bewegt sich weiter im bereits etablierten Erzählkosmos der fiktiven deutschen Kleinstadt Rinseln. Erneut gelingt den Machern eine in ihren "Crime"-Elementen stilisierte Erzählweise, die sich an internationalen Vorbildern orientiert, mit einer ausgesprochen realitätsnahen Darstellung spezifisch deutscher, spezifisch kleinstädtischer und jugendlicher Verhältnisse zu verbinden. Das lässt How to Sell Drugs Online (fast) auf besondere Weise lebendig und zeitgemäß erscheinen.

Die Qualität des Drehbuchs, die Stimmigkeit der Orte, die gut aufgelegten Darsteller und der Mut und der Einfallsreichtum der eingesetzten Erzählmittel wiegen zwei Aspekte auf, die die Jury vorwiegend kritisch sieht. Was bereits in der ersten Staffel etwas als Schieflage erscheint – der Umgang mit Gewalt – gerät in der dritten in den Augen der Jury tatsächlich aus dem Gleichgewicht und passt nur wenig zum komödiantisch-authentischen Ton der Serie. So ist zwar immer klar, dass die Toten, zu denen es in der Handlung kommt, zur intendierten Stilisierung gehören und Genre-Zitat sind, das oft genug auch irritieren soll. Die Integration dieser Aspekte in die durchaus ernstgenommene Welt der Schüler gelingt jedoch aufgrund ihrer erhöhten Schlagzahl weniger als noch in den Staffeln zuvor und lässt die Serie zwischendurch unnötig zynisch erschienen.

Noch schwerer stieß der Jury der Umgang mit der Drogenfrage auf, vor deren ernsthafter Thematisierung sich die Serie nach gerade drückt. Hier wird nach Ansicht der Jury eine Chance vertan, etwas ernster und komplexer zu beleuchten, was Party-Drogen und ähnliches tatsächlich heute lebensweltlich ausrichten. Zwar trifft der Vorwurf der Verharmlosung nicht unbedingt zu – auch hier schützt das Etikett der Stilisierung und intendierter Nachahmung –, jedoch gehen die Macher der Schwierigkeit der Fragen von Sucht- und Gesundheitsgefahr aus dem Weg, sodass die Serie ein wenig naiv wirkt - was im Gegensatz zu ihrer ansonsten klaren „Cleverness“ steht.

Im Anschluss an eine sehr spannenden Diskussion und in Abwägung aller Argumente zeichnet die FBW-Jury die dritte Staffel von HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST) mit dem höchsten Prädikat „besonders wertvoll“ aus.