FBW-Pressetext

Selma ist sechs Jahre alt. Heute ist ihr Geburtstag, den sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer großen Schwester feiert. Ihr Vater kann leider nicht da sein, doch er schickt ein ganz besonderes Geschenk: Ein lebendiges Huhn. Selma freut sich sehr. Doch dann begreift sie, dass ihre Mutter das Huhn schlachten will und beschließt, dem armen Tier die Freiheit zu schenken. Dass sie damit fast eine Katastrophe auslöst, konnte Selma doch nicht wissen. Denn durch die Luft fliegen Schüsse. Und in der Ferne sind die Panzer zu hören. Wo und wann die Geschichte von DAS HUHN spielt, lässt die Filmemacherin Una Gunjak bis zum letzten Bild offen. Doch der Zuschauer ist von der ersten Minute in angespannter Erwartungshaltung gefangen. Iman Alibalic als Selma spielt mit einer so unglaublichen Intensität, dass man gar nicht anders kann als in ihre Welt und ihre Kindersicht einzutauchen. Mit wachem aufmerksamem Blick betrachtet sie die Welt um sich herum und hinter den großen Kinderaugen verbirgt sich Neugier und Angst in einem. Die Kamera ist ganz nah bei den Figuren, der Film konzentriert sich auf die kleine aber sichere Welt im Inneren und lässt den Schrecken von außen nur gefiltert durch. Erst gegen Ende werden das ganze Ausmaß und die Nähe einer Kriegssituation deutlich. Der Film selbst basiert auf Gunjaks Kindheitserinnerungen und wirkt gerade deshalb so unglaublich nah, intensiv und authentisch. DAS HUHN ist ein ganz besonderer Kurzfilm, der in nur 15 Minuten einen ganz großen Horizont eröffnet. Durch die Augen eines unschuldigen Kindes.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Kinderfilm; Kurzfilm; Fiktion
Regie:Una Gunjak
Darsteller:Iman Alibalic; Esma Alic; Mirela Lambic; Mano Knezovic
Drehbuch:Una Gunjak
Kamera:Matthias Pilz
Schnitt:Anja Siemens
Musik:Bernd Schurer
Länge:14 Minuten
Produktion: ZAK Film Productions UG, Nukleus Film;

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Una Gunjaks Film behandelt den Bosnienkrieg, der zwischen 1992 und 1995 Europa ins Wanken brachte. Ist es an sich schon schwierig genug, vom Krieg zu erzählen, so steht ein Kurzfilm vor dem Problem, keine andere Chance zu haben, als das Große im Kleinen darzustellen. Es kommt also stark auf diesen Ausschnitt an, auf die gewählte Situation, die etwas über den Krieg erzählt.
Klugerweise wird in DAS HUHN weniger von Kriegshandlungen, die das Genre des Kriegsfilms definieren, erzählt, als vielmehr vom Leben in Zeiten des Krieges. In Sarajewo im Jahre 1993 bekommt die sechsjährige Selma von ihrem Vater ein Huhn zum Geburtstag. Statt es zu essen, will Selma dem Huhn das Leben schenken. Daraus entwickelt der Film den Konflikt, denn was Selma vorhat, ist nicht im Interesse ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester. Diese Situation wird dramaturgisch nahezu optimal genutzt, um Wesentliches über den Krieg zu erzählen. Selma ist vom Krieg noch kaum infiziert; wenn sie mit ihrem selbstgebastelten Spielzeuggewehr spielt, wirkt dies noch unschuldig. Die ältere Schwester ist vom Krieg schon deutlich gezeichnet, das Huhn nimmt sie gar nicht mehr als Lebewesen wahr. Die Mutter liebt ihre Kinder über alles, doch gelingt es ihr nicht mehr, die kleine Selma vor Dingen zu bewahren, die sie eigentlich nicht erleben sollte. Als Selma dem Huhn die Freiheit schenkt, rennt die Mutter dem Huhn hinterher und begibt sich draußen in Lebensgefahr. Dabei beobachten sie Selma und ihre Schwester aus dem Fenster. Als sie das Huhn letztlich schlachtet, kümmert sich die Mutter nicht darum, dass Selma diesem Vorgang besser nicht zusehen sollte. Später isst Selma aber das Huhn, als habe sie gar kein Problem damit. So spielt der Film mit Ambivalenzen, mit zentralen Elementen der Conditio humana und nutzt damit auf beeindruckende Art und Weise die Chancen, die Erzählungen vom Krieg bieten. Hierzu verwendet der Film eine kongeniale Kameraästhetik, die die extrem gespannte Atmosphäre fast körperlich spürbar macht.