Die Ermittlung

Kinostart: 25.07.24
2024
Filmplakat: Die Ermittlung

FBW-Pressetext

Mit der Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Peter Weiss inszeniert RP Kahl die Protokolle und Aufzeichnung aus dem ersten Frankfurter Auschwitzprozess für das große Kino. Dabei ermöglicht er durch einen klug-reduzierten Einsatz der Mittel einen sachlichen und doch tief erschütternden Zugang zur Aufarbeitung der unfassbaren Verbrechen an der Menschlichkeit. Ein gewaltiges Werk, in jeder Beziehung.

Ein Richter, ein Verteidiger, ein Ankläger, 39 Zeugen und 18 Angeklagte bilden das Figurenpersonal von „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“. Das Stück basiert auf dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965), der zu den wichtigsten gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Gräueltaten der NS-Herrschaft im Konzentrationslager Auschwitz gehört. Geschrieben hat es im Jahr 1965 Peter Weiss, der als Zuschauer dem Prozess selbst beiwohnte Als Grundlage für das Stück wählte Weiss die Protokolle der Zeugen- und Angeklagtenaussagen, die Berichte der Presse und die Erinnerungen der Beteiligten. Als Aussagen vor Gericht sind diese geprägt von Sachlichkeit und – auf der Seite der Angeklagten – einer unmenschlichen Kälte und Überheblichkeit. So legen sie ein tief erschütterndes Zeugnis ab über ein barbarisches Verbrechen ungeahnten Ausmaßes.

DIE ERMITTLUNG inszeniert RP Kahl äußerst reduziert im Stil eines Gerichtsdramas. Die Konzentration auf die wie auf einer Theaterbühne agierenden Menschen, auf ihre Gesichter und ihre Augen, vermittelt nachvollziehbar, gerade in Verbindung mit der protokollhaften Sachlichkeit, das pure Grauen der NS-Verbrechen. Licht- und Farbsetzung sind bewusst kühl gesetzt. So entsteht eine distanzierte Reflektion, die die Zuschauenden immer wieder zwingt, sich dem Gehörten zu stellen. Dass es sich bei DIE ERMITTLUNG nicht um abgefilmtes Theater handelt, zeigt die ausgefeilte Dramaturgie der Kamera-Einstellungen und Montage. Neben dem klugen und minimalistischen Einsatz der Stilmittel sind es die Darstellenden, die mit den protokollierten und schier unaussprechbaren Aussagen die Menschen von damals zum Leben erwecken. Da ist der Aufsichtsbeamte am Verladebahnhof, der vorgibt, nicht geahnt zu haben, wohin die Reise für die eingepferchten Menschen in den übervollen Waggons gehen sollte. Da ist die junge Frau, die den Arzt, der bei der Ankunft in Auschwitz direkt aussortierte, wer leben und wer sterben sollte, im Gerichtssaal wiedererkennt. Und da sind der Richter, der Verteidiger und der Ankläger, die das Publikum als Mittelsmänner in vier Stunden durch das führen, was sich damals über 20 Monate hinzog. Die Informationen, die man aus den Aussagen zieht, sind schockierend, sind abstoßend und machen das unmenschliche Grauen des Ortes Auschwitz als Betrieb der Vernichtung klar und deutlich. Mit seinem durchdachten inszenatorischen Konzept trägt RP Kahl zu einem Wandel der filmischen Erinnerungskultur bei und eröffnet durch eine sachliche Darstellung des eigentlich Unfassbaren einen neuen Zugang zu diesem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Das Drama DIE ERMITTLUNG - basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Weiss - schildert die Auschwitz-Prozesse anhand detaillierter Protokolle.
Im Mittelpunkt stehen ein Richter, ein Verteidiger und ein Ankläger, die während der Verhandlung auf insgesamt 39 Zeugen treffen, die ihre Erinnerungen schildern, darunter 28 Menschen, die von ihrer Zeit im Lager berichten.

Dabei fügt der Regisseur RP Kahl mit seinem Film dem Grauen von Auschwitz eine neue Dimension hinzu.

DIE ERMITTLUNG ist in verschiedene Kapitel gegliedert, die sich an der Landkarte des Lagers orientieren. Es ist die Vermessung des Unvorstellbaren, die hier gelingt. Auschwitz, das zeigt der Film, war nicht nur eine Massentötungsanstalt, sondern auch ein in sich gut funktionierender Betrieb.

Die Überlänge von 240 Minuten empfindet die Jury als stimmig, um dem Ausmaß des Themas gerecht werden zu können. Dass sich der Film den herkömmlichen Verwertungsketten der Filmbranche entzieht und dennoch in dieser kompromisslosen Form auf die Leinwand kommt, wird in der Diskussion lobend hervorgehoben.

Die Leistung sämtlicher Darsteller (sowohl bekannter Akteure wie Christiane Paul als auch zahlreicher weniger prominenter Gesichter) ist durchweg gelungen. Ihr Spiel tritt vor dem Inhalt in den Hintergrund – und ist gleichzeitig glaubhaft und eindringlich.

Neben den drei Hauptdarstellern mit hohem Sprechanteil sind es vor allem die Männer auf der Anklagebank, deren Darstellung die Jury hervorhebt. Obwohl sie nur kurze Verhöre absolvieren, sprechen sie über ihre Mimik und Gestik die gesamte Filmdauer über. Gelangweilte Abgeklärtheit, fehlendes Schuldbewusstsein, eigennützige Verbrüderung sind für den Zuschauer als Subtext fortwährend spürbar.
Wie schmal manchmal der Grat zwischen Opfern und Tätern ist, auch davon vermittelt dieser Film eine Ahnung.

DIE ERMITTLUNG ist weitaus mehr als ein abgefilmtes Theaterstück. Ganz bewusst hat sich der Regisseur für diese künstlich-strenge Inszenierung entschieden. Nichts lenkt ab von der Ungeheuerlichkeit des Grauens, manche Sätze erschüttern gerade durch ihre Schlichtheit.
Kamera, Ton und Licht unterstützen die künstliche Szenerie von DIE ERMITTLUNG.
Dies ist ein Film, der es in jeglicher Hinsicht wagt, sich den Zuschauenden zuzumuten, urteilt die Jury.

DIE ERMITTLUNG reiht sich ein in eine thematische Häufung der filmischen Aufarbeitung der NS-Zeit. Mit Blick auf aktuelle Film wie etwa THE ZONE OF INTEREST kann man durchaus von einem Wandel der Erinnerungskultur sprechen.
Auch in dieser Hinsicht ist DIE ERMITTLUNG ein wichtiger Film. Ein mutiger Film. Ein Film, der noch lange nachhallt.

Nach ausführlicher Diskussion entscheidet sich die Jury einstimmig für die Vergabe des Prädikates BESONDERS WERTVOLL.