Filmplakat: Teenland

FBW-Pressetext

Sally weiß nicht, was mit ihr nicht stimmt. Aber sie weiß, dass sie etwas Schlimmes getan hat. Deswegen ist sie jetzt auch hier, in einer geschlossenen Anstalt, in der Medikamente die Stimmung regulieren und die Angst vor Bestrafung die Wut und den Trotz unterdrückt. Doch eines Tages ruft ein mutiges Mädchen namens Tingeling zur Rebellion auf und ermuntert alle, sich gegen die Unterdrückung zu wehren. Aber sie hat keine Chance und wird weggesperrt. Doch eines Nachts, als Sally allein in ihrem Zimmer ist, hört sie eine Stimme. Es ist Tingeling, die nach ihr ruft. Sally folgt ihr. Und erkennt dadurch ein klein wenig mehr, wer sie wirklich ist. Der 30-minütige Kurzspielfilm der dänischen Filmemacherin Marie Grathø Sørensen nimmt den Zuschauer schon von der ersten Minute an gefangen. Ein ausgeklügeltes Bild- und Sounddesign erschafft eine bedrohlich sterile Atmosphäre des Grauens, in der man sich nie sicher sein kann, ob hier Realität oder Fiktion gespiegelt wird. Doch je länger die Handlung andauert, desto transparenter werden die Grenzen, desto vielschichtiger werden die Blicke, die Worte, die Aktionen der Protagonisten. Sowohl Frederikke Dahl Hansen als Sally als auch Victoria Carmen Sonne als Tingeling sind fantastisch in ihren Rollen. Beide Mädchen verkörpern elfengleiche und fragile Wesen, die in ihrer Blässe und ihrer gehemmten Körperlichkeit fast androgyn erscheinen und dann von einer Sekunde zur anderen dermaßen explodieren in ihrer Gestik und Mimik, dass es den Zuschauer schier überwältigt. Dazu kommt eine gelungene und auf den Punkt gesetzte Songauswahl, die die Stille des Moments mit lautem Gothic Rock unterbricht und so die Wut sicht- und hörbar macht, die unter der Oberfläche vor sich hin brodelt. TEENLAND ist ein Kurzspielfilm, der mit seinem Thema, seinem Spiel, seiner Inszenierung und seiner Stimmung restlos überzeugt. Ein großartiger Trip!
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

In den ersten 888 Dezimalstellen der Zahl PI kommt die Ziffer 8 genau 88 Mal vor. in der chinesischen Kultur wird die Zahl acht mit Wohlstand und Selbstvertrauen in Verbindung gebracht. Die Chinesen sehen deshalb die acht in ihrer Telefonnummer, in Autonummern oder auch in den Preisen sehr gerne. Daher wurden die Olympischen Sommerspiele auch am 8.8.2008 eröffnet. Westliche Verschwörungstheoretiker werteten das Datum dagegen als unheilvolles Omen.
Warum die Teenagerin Sally in diesem Science-Fiction Film ausgerechnet die Nummer 888 auf ihrem Anzug trägt, ist eines der vielen Details, deren Deutung die dänische Regisseurin dem Zuschauer überlässt. Nur eins scheint klar. Sally leidet selbst unter einem Verbrechen, das sie begangen haben soll und das sie versucht zu verdrängen. Sie ist mental angeschlagen und hat übernatürliche Kräfte – wobei nie ganz klar ist, ob sie angeboren sind, Folge ihrer Krankheit oder einfach nur eine Wahnvorstellung.
Ihre Umgebung reagiert mit Ablehnung auf ihren labilen psychischen Zustand und steckt sie in die psychiatrische Einrichtung „Teenland“, wo die Jugendlichen „normalisiert“ werden sollen. Zur Charakterisierung ihrer Seelenlage haben die Insassen dort „Teenangst“ in schreienden roten Lettern an die Wand gesprüht. Der Denglisch-Begriff steht für einen Depressionszustand bei Teenagern, der durch Stress in der Schule und das Verrücktspielen der Hormone ausgelöst wird.
Sally nimmt ihre Tabletten brav, bis die Gleichaltrige Ting-e-Ling- Nummer 999 - das System mit Berufung auf Gott in Frage stellt. Der Name Ting-e-Ling ist wohl nicht zufällig gewählt, die Wortgruppe steht im Englischen umgangssprachlich für zerbrochene Zuckerstäbe, die Kinder lieben. Der Abschied von der Kindheit und die verworrenen Gefühle der Pubertät, in der Teenager rebellieren und die Umwelt darauf oft keine adäquate Antwort findet, stehen im Zentrum des Films.
Mehrmals wird verbal betont, dass Sally und die anderen Insassen von „Teenland“ Auserwählte und Außergewöhnliche seien. Was die Deutungsmöglichkeiten des Films in mehreren Ebenen ausbaut. Da ist zum einen die uralte biblische Frage nach dem Willen Gottes und dem eigenen Willen, aber auch der des Umgangs mit einer Schuld, die schwer auf der Seele lastet.
In der modernen Filmpopkultur sind aber auch die Anspielungen auf all die Mutanten-Comic-Verfilmungen unübersehbar, von X-Men bis Super- oder Spiderman. In ihnen werden Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten zu Helden, im normalen Leben landen sie wohl in der Psychiatrie.
Für ihre Fabel findet die Regisseurin eindrucksvolle Bilder, die verstören und sich ins Gedächtnis einbrennen. Lobenswert auch ihr unverkrampfter Umgang mit Sexualität und Nacktheit.