L'Chaim! - Auf das Leben!

Kinostart: 27.08.15
VÖ-Datum: 10.06.16
2014
Filmplakat: L'Chaim! - Auf das Leben!

FBW-Pressetext

Chaim Lubelski ist 63 Jahre alt, als er sich entscheidet, mit seiner Mutter zusammen in ein Ein-Zimmer-Appartment in einem Altenwohheim zu ziehen. Er will nicht, dass sie allein leben muss, fühlt sich verantwortlich und will sich um sie kümmern. Er selbst war Zeit seines Lebens immer in der ganzen Welt unterwegs. Er hat viel Geld gemacht, mehr noch verloren. Doch immer gingen ihm seine Eltern über alles. Die Eltern, die das Konzentrationslager überlebt haben und unter dem Trauma litten. Dieses Trauma hat auch Chaim verinnerlicht. Und er nimmt es an. So wie alles im Leben. Der Filmemacher Elkan Spiller ist der Cousin von Chaim und war schon immer von der Geschichte seines nahen Verwandten fasziniert. Ausgehend von Chaims ganz besonderer Lebenssituation mit seiner Mutter gibt er ihm in dem Film den Raum, nicht nur von sich selbst zu erzählen. Denn es geht Chaim gar nicht so sehr um sich selbst. Er redet viel über die Eltern, über ihre Einstellung zum Leben, das Erlebnis der Shoah, die jiddischen Traditionen, die Bürde der ständigen Sorge. Und über seine Verpflichtung, diese Bürde anzunehmen. Im Zusammenspiel von Filmemacher und Porträtiertem ist eine große Vertrautheit spürbar, ohne die ein solch intimer und hochspannender Dokumentarfilm nicht hätte entstehen können. Die Kamera nähert sich oft von hinten, hält respektvollen Abstand, der Film konzentriert sich auf Chaims Worte und lässt dem Zuschauer anhand einer ruhigen Erzählweise Zeit, diese klugen Aussagen sacken zu lassen. Nach dem Tod der Mutter reist Chaim noch einmal an die Cote d’Azur, wo er lange Zeit lebte. Er will sich treiben lassen. Ziele habe er nicht mehr. Einfach nur leben. Ein bewegender Dokumentarfilm über eine faszinierende charismatische Persönlichkeit, deren Name auch einen Wunsch beinhaltet: L’Chaim! Ein Film als ein Hoch auf das Leben.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Elkan Spiller
Darsteller:Chaim Lubelski; Nechuma Lubelski
Drehbuch:Elkan Spiller
Kamera:Ron Ramirez; Simon Arazi; Asaf ben Ami; Virgine Saint Martin; Elkan Spiller
Schnitt:Günter Heinzel
Musik:Michael Benhayon
Länge:92 Minuten
Kinostart:27.08.2015
VÖ-Datum:10.06.2016
Verleih:Mindjazz Pictures
Produktion: Elkan Spiller Filmproduction Elkan Spiller
FSK:0
Förderer:FFA; Filmstiftung NRW
DVD EAN-Nummer:4042564163834
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Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Film zeichnet sich durch große Nähe zu seinem Protagonisten aus und schafft so Momente beeindruckender Intensität. Er stellt einen außergewöhnlichen Menschen vor, der eine bemerkenswerte Biografie und Lebenshaltung aufweist und über großes Charisma verfügt. In seiner sprunghaften Struktur entspricht der Film dem ruhelosen Charakter Chaims, der überall in der Welt zu Hause ist, aber dennoch keine Heimat hat. Die längere Eingangssequenz, die ihn bei einer Fahrt nach Holland und beim Besuch eines Coffeeshops zeigt, stimmt gut auf seine Persönlichkeit ein und deutet darauf hin, dass er immer in Bewegung und die meiste Zeit bekifft ist. Das Motiv der Autofahrt wird auch am Ende wieder aufgenommen und rundet den Film ab, der die verschiedenen Stationen von Chaims Lebens schildert und, ohne zu werten, die unterschiedlichen Facetten seiner Persönlichkeit beleuchtet.

Aber es geht nicht um ihn allein, sondern auch um das Verhältnis zu seiner Mutter, um die er sich aufopfernd kümmert. Die Geschichte der Familie, die von den Nazis aus der Heimat vertrieben und ins Konzentrationslager geschickt wurde und großes Leid erfahren musste, ist stets präsent. Auch Chaim hat das familiäre Trauma verinnerlicht; es prägt sein Denken und Handeln. Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, dass er der Mutter den Selbstmord der Schwester verheimlicht und ein Lügengebilde über deren angeblichen Aufenthalt in Israel aufbaut. Der Zuschauer erkennt die Zweifel der Mutter, teilt aber mit Chaim ein Wissen, das sie nicht hat, und wird damit in ein Familiengeheimnis hineingezogen, welches das Ausmaß einer griechischen Tragödie hat.

L’CHAIM – AUF DAS LEBEN! ist ein Film von großer Integrität, der einen tiefen Einblick in ein singuläres Schicksal erlaubt, das gleichzeitig ein Massenschicksal ist. Er lässt mitfühlen mit den Überlebenden des Holocaust und zeigt die Wurzellosigkeit der nachfolgenden Generation, die vom Trauma der Eltern und Großeltern geprägt ist. Dabei macht er nachvollziehbar, dass Menschen, die ihre Angehörigen und ihre Heimat verloren haben, ihre Zuflucht, Stärke und Verpflichtung in der Familie sehen – ein Thema, welches in Film und Forschung bisher nur unzureichend behandelt wurde.