Caché

Kinostart: 26.01.06
2004
Filmplakat: Caché

FBW-Pressetext

Eine Seh-Erfahrung im reinsten Sinne. Intensiv, psychologisch stimmig, geradezu musikalisch gebaut. Ein flammender Aufruf, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Solche radikalen Filme braucht das Kino, sie sind das Salz in der Suppe.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Kategorie:Arthouse
Gattung:Drama
Regie:Michael Haneke
Darsteller:Juliette Binoche; Daniel Auteuil; Annie Girardot
Drehbuch:Michael Haneke
Weblinks:;
Länge:119 Minuten
Kinostart:26.01.2006
Verleih:Prokino Filmverleih
Produktion: Les Films du Losange
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Schuld der Vergangenheit mit ihrer Ausstrahlung bis in die Gegenwart, das ist Michael Hanekes hochinteressantes Thema, meisterlich inszeniert und von einem hochkarätigen Schauspielerensemble faszinierend umgesetzt.
„Caché“ ist ein streng und geradezu musikalisch komponierter Film, der in langen Einstellungen ohne Musik und ohne große „action“ auskommt und so eine unbehaglich, bedrohliche Stimmung erzeugt, der man sich nicht entziehen kann. Die Rückblenden in die Vergangenheit rufen auf, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Dies gilt für die persönliche wie auch für die nationale Lage. Vor dem aktuellen Hintergrund brennender Autos in den französischen Vorstädten, die von Jugendlichen meist afrikanischer Herkunft angesteckter wurden, mutet Hanekes Film geradezu prophetisch, jedenfalls gesellschaftlich äußerst scharfsichtig an.

Ein in Paris lebendes Intellektuellenpaar Mitte Vierzig wird zum Stalking-Opfer. Videos werden vor die Tür gelegt, auf denen stundenlang nichts anderes zu sehen ist als ihre enervierend abgefilmte Wohnung in einem bürgerlichen Stadtteil. Beigefügt sind kindlich-naive Zeichnungen, bei denen die Farbe Rot einen zunehmenden Eindruck von Gefährdung hinterlässt.

Der bekannte Fernsehredakteur George Laurent, der sich in seiner Literatursendung nicht anmerken lässt, dass er und seine Familie sich verfolgt fühlen, kramt in seiner Vergangenheit nach dem Hintergrund für die beängstigenden Ereignisse. Er erinnert sich an Majid, einen Jungen algerischer Herkunft, dessen Eltern bei einer Demonstration Anfang der sechziger Jahre in Paris vermutlich von der Polizei verfolgt und getötet wurden. Nachdem Majids Eltern spurlos verschwunden waren, wollten Laurents Eltern den Waisen auf ihrem Hof aufnehmen und ihn sogar adoptieren. Laurent aber fühlte sich damals als Sechsjähriger bedroht, schwärzte den unliebsamen Waisen bei seinen Eltern an und entledigte sich so seines Rivalen. Auf der Suche nach seinem ehemaligen Beinahe-Stiefbruder Majid folgt er den in weiteren Videos ausgelegten Spuren, bis er ihn schließlich aufspürt. Dann aber nimmt das Drama erst recht seinen Lauf.

Langsam, aber sicher mündet der sorgsam, klug und sensitiv aufgebaute Spannungsbogen explosionsartig in einer so nicht erahnten Katastrophe. Während man sich als Betrachter zunächst wohl auf ein Bergmann’sches Beziehungsdrama einstellt, in dem vor allem die Frage, wer wem (noch) vertraut, eine übergeordnete Bedeutung zu haben scheint, strickt Regisseur Michael Haneke ein Thrillergeflecht, das bald die scheinbar dokumentarische Ebene zugunsten eines immer dichter werdenden Spannungsbogens verlässt, um nach seiner Entladung wieder zur kühl-nüchternen Dokumentation einer Beziehung am Rande des Scheiterns zurückzukehren.

In geradezu eiskalten Einstellungen erzeugt Haneke eine Stimmung der Ausweglosigkeit, die sich zum Beispiel in einer einzigen Einstellung im Aufzug des Fernsehsenders widerspiegelt: George will nach dem Tod Majids einem Gespräch mit dessen Sohn aus dem Weg gehen und versucht, sich durch Betreten des Aufzugs der unangenehmen Begegnung zu entziehen. Majids Sohn aber drängt sich in den vollbesetzten Aufzug. Ein Kameraschwenk genügt - und beide stehen sich in den Wandspiegeln des Aufzugs in einem Bild einander unentrinnbar gegenüber.
Selbst dieser kunstvoll arrangierten Sequenz mutet der Hauch des „zufälligen“, unabsichtlichen Bildes an. Während andere Regisseure und Kameraleute ihr Können sozusagen stets mit Ausrufezeichen versehen, ist hier ein demütiger, aber auch äußerst scharfsichtiger Regisseur am Werk. Ein De-Konstrukteur. Den eigene Augen nicht ganz trauen zu können, den eben gefassten Eindruck korrigieren zu müssen, das mutet Haneke seinen Zuschauern zu. Der Kinobesuch wird so zu einem erkenntnisreichen Seh-Erlebnis. Zum Beispiel die flimmernden Rollbalken des Videobildes, die plötzlich eine scheinbar so klare und banale Einstellung wie die Straßenszene mit dem Haus der Laurents trüben, sie wirken als würde plötzlich das Netz weggezogen, das jeder Kinogänger so gerne für gegeben hält: Ich sitze in der Wirklichkeit, dort oben auf der Leinwand aber ist die Fiktion...

Hoffnung keimt auf in der Schlusssequenz von „Caché“, als sich nach Schulschluss Schüler verschiedenster Herkunft, Völker und Rassen treffen und unbefangen miteinander umgehen. Doch halt – trifft sich dort nicht auch der Sohn Majids mit dem Sohn von George? Ist das ein Zeichen der Hoffnung oder die Fortsetzung der überwunden geglaubten Bedrohungsgeschichte? Haneke lässt dies ebenso offen, wie die Frage, ob George und seine Frau Anne ihre Krise überwinden.